Neuer Glücksspielstaatsvertrag: Marktbeherrschende Stellung für die Ländergesellschaften?

von Andreas Schultheis

– Dachanstaltsmodell der Bundesländer und so genannte Experimentierklausel stoßen auf kartellrechtliche Bedenken

Die Absicht der Ministerpräsidentenkonferenz, im Rahmen des neuen Glücksspielstaatsvertrages (GlüStV) eine gemeinsame „Dachanstalt“ aller Länder als Lotterie-Veranstalter nach § 10 Abs. 2 Satz 1 zu begründen, stößt bei Experten auf Bedenken, und das insbesondere mit Blick auf kartellrechtliche Fragestellungen. Zudem ändere die rein schematische Umgestaltung des staatlichen Lotterie- und Wettmonopols durch eine Übertragung auf eine Dachanstalt der Länder nichts an den grundsätzlichen Einwänden des Europäischen Gerichtshofes (EuGH), der dem Glücksspielstaatsvertrag aus dem Jahr 2007 mit Blick auf Einschränkungen der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit innerhalb der Europäischen Union (EU) eine nicht kohärente und unsystematische Ausgestaltung des deutschen Glücksspielmonopols attestierte.

Darüber hinaus ist es nach Ansicht von Rechtsanwalt Maximilian Riege fraglich, ob tatsächlich „hoheitliche bzw. ordnungsrechtliche Gründe für die Umstrukturierung ausschlaggebend sind. Denn nur hoheitliche Maßnahmen könnten dem Kartellrecht entzogen sein.“ Für ihn ist es „zweifelhaft, ob die Suchtprävention als ordnungsrechtliches Argument das ausschlaggebende für die Neugestaltung des Lotteriewesens in Deutschland ist.“ Er verweist in diesem Zusammenhang auf eine Äußerung aus dem Finanzministerium von Baden-Württemberg, wonach das Konzept der gemeinsamen Dachanstalt „der Erhaltung des Lotteriemonopols und der damit verbundenen Landeseinnahmen und dem Erhalt der Lottogesellschaften der Länder“ dient. Demnach sind die Gründe für eine Dachanstalt vorwiegend auf ökonomischem und fiskalischem Terrain zu suchen und nicht, wie es das Argument der Suchtprävention suggeriert, auf ordnungsrechtlichem.

Kartellrechtlich besonders problematisch sei die in § 10a Absatz 3 GlüStV vorgesehene Beschränkung auf sieben zeitlich befristete Sportwetten-Konzessionen für gewerbliche Anbieter, die so genannte Experimentierklausel. Weder gebe es eine sachliche Begründung bzw. Rechtfertigung für die grundsätzliche Notwendigkeit einer Begrenzung der Konzessionenanzahl noch würden nachvollziehbare Erläuterungen für die festgelegte Zahl von genau sieben Konzessionen gegeben. Insofern erscheine diese Festlegung schlicht willkürlich. Überdies stelle die Begrenzung auf sieben Konzessionen solange eine Diskriminierung zulasten weiterer gewerblicher Sportwettenanbieter dar, die keine Konzession erhalten, bis eine den rechtstaatlichen Ansprüchen genügende Begründung für die Begrenzung der Konzessionenanzahl vorliege.

Schließlich führt Riege auch den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) an, wonach gemäß Artikel 106 auch öffentlich-rechtliche Unternehmen – und somit auch eine Dachgesellschaft und die Landeslottogesellschaften – den europäischen Wettbewerbsregeln unterliegen. „Die Dachgesellschaft hat in ihrer Funktion als alleiniger Veranstalter der bundesweiten Lotterien sowie als alleiniger Konzessionsgeber für gewerbliche Anbieter von Sportwetten eine Monopolstellung inne und ist daher absolut marktbeherrschend“, so Riege. „Als marktbeherrschendes Unternehmen ist die Dachgesellschaft Adressat des Missbrauchs- und Diskriminierungsverbots aus den Paragrafen 19 und 20 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkung bzw. Artikel 102 AEUV und ist damit in besonderem Maße der Einhaltung der Wettbewerbsregeln verpflichtet.“ Der Dachanstalt der Länder drohe daher der Vorwurf des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung, wenn gewerbliche Anbieter gegenüber den staatlichen Anbietern benachteiligt würden.
Dies scheint nach Riege der Fall zu sein. Während gewerbliche Sportwettenanbieter um die vorgesehenen sieben Konzessionen konkurrieren und dann auch nur 350 Vertriebsstellen eröffnen dürfen, unterliegen der staatliche Sportwettenanbieter Oddset sowie die auf Länderebene bestehenden Lotteriegesellschaften keiner solchen strikten Regulierung. Hierin sieht er eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung von privaten und staatlichen Anbietern. „Anstelle einer kartellrechtswidrigen Ungleichbehandlung bei der Konzessionsvergabe sollte vielmehr eine staatliche Regulierung anhand transparenter und diskriminierungsfreier Vergabekriterien, ohne Begrenzung der Konzessionenanzahl, erfolgen“, so die Forderung Rieges. In der begrenzten Marktöffnung mit einer festgelegten Anzahl von Konzessionen sieht er letztlich die Gefahr oligopolistischer Marktstrukturen und damit ein erhöhtes Risiko abgestimmter Verhaltensweisen der Marktteilnehmer.

Auch die Europäische Kommission habe mehrfach darauf hingewiesen hat, dass die nationale Regulierung eines Marktes weder die Kompetenzen der Europäischen Kommission als europäische Wettbewerbsbehörde beschneide noch von den betroffenen Unternehmen als Rechtfertigung für Verstöße gegen europäisches Kartellrecht herangezogen werden könne. Ebenfalls bedenklich: Die Aufteilung des Vertriebsgebietes wie sie das Regionalitätsprinzip im Rahmen des Blockvertrages vorsah, wurde bereits vom Bundeskartellamt und dem Bundesgerichtshof (BGH) als Verstoß gegen das Kartellverbot eingestuft. „Nichts anderes wäre unter Geltung des geänderten GlüStV anzunehmen, wenn zwar die Veranstalterfunktion auf eine Dachgesellschaft konzentriert würde, die Landeslottogesellschaften ihren Vertrieb des Sportwetten- und Lotterieangebotes aber weiterhin entsprechend abstimmten und ihr Angebot auf das jeweilige Bundesland beschränkten.“

Das Konzept einer Dachanstalt, so Rieges Resümee, müsse sich letztlich den gleichen Begründungsanforderungen stellen wie der bisher geltende Glücksspielstaatsvertrag mit dem staatlichen Wettmonopol. Seine Prognose: „Je weniger hoheitliche Aufgaben als Begründung für die Umstrukturierung geltend gemacht werden können und je weniger den vom EuGH aufgestellten Anforderungen einer kohärenten und systematischen Ausgestaltung des Monopols begegnet wird, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich das Dachanstaltsmodell und die Experimentierklausel kartellrechtlichen Vorwürfen ausgesetzt sehen wird.“

TIME Law News 2/2011