Glücksspiel in der Schweiz – Früherkennung von Problemspielern in Casinos

In Zukunft können spielsüchtige oder problematische Spielerinnen und Spieler frühzeitig identifiziert werden. Die Hochschule für Soziale Arbeit in Luzern entwickelte dafür ein Instrument, was weltweit ein Novum ist. Jetzt soll dieses Instrument in drei Schweizer Kasinos getestet werden.

Caroline Schneider und Jörg Häfeli*

Auch Dostojewski konnte es nicht lassen: „Mir aber stieg etwas Seltsames auf: Ich glaube, es war das Verlangen, das Schicksal herauszufordern, ihm ein Schnippchen zu schlagen, ihm einfach die Zunge zu zeigen! Ich setzte die grösste Summe, die dem Spieler gestattet wird: Viertausend Gulden, und verlor.“** So schildert der grosse russische Schriftsteller seine erste Erfahrung am Spieltisch. Das war vor mehr als hundert Jahren. Doch wie sieht die Situation heute aus? Welche Glücksspielangebote gibt es?

Die aktuelle Situation auf dem Glücksspielmarkt

Der Schweizer Glücksspielmarkt ist seit einigen Jahren stark in Bewegung. Der Auftakt dieser Entwicklung geht auf die eidgenössische Volksabstimmung von 1993 zur Aufhebung des seit 1928 geltenden Spielbankenverbotes zurück. Das Spiel um Geld ist in Artikel 106 der Bundesverfassung verankert. Der Glücksspielmarkt der Schweiz gliedert sich einerseits in den Markt der Lotterien und Wetten, anderseits in den Spielbankenmarkt. Die Lotterien und Wetten sind geregelt durch das Bundesgesetz über die Lotterien und die gewerbsmässigen Wetten von 1923, der Spielbankenmarkt durch das Bundesgesetz über die Glücksspiele und Spielbanken aus dem Jahr 1998, das so genannte Spielbankengesetz (SBG). Dem Spielbankenmarkt zugerechnet werden auch die Geldspielautomaten, die während einer Übergangsfrist von fünf Jahren (bis März 2005) in öffentlichen Lokalen noch erlaubt sind. Weder unter das SBG noch unter das Lotteriengesetz (LG) fallen die Geschicklichkeitsspielautomaten mit Geldgewinnmöglichkeit. Das sind Geräte, bei
denen die manuelle oder mentale Geschicklichkeit eines Spielers über Gewinn oder Verlust entscheidet, sowie die Unterhaltungsspielautomaten (Fahrsimulatoren, Videokonsolen, Flippergeräte etc.).

Die folgende Tabelle gibt eine Übersicht über das Glücksspielangebot in der Schweiz nach dessen Strukturmerkmalen.

Spielbanken Lotterien- und Wetten Geldspiel- automaten ausserhalb der Kasinos
Rechts-
grundlage
Spielbankengesetz (SBG) vom 18.6.98; Spielbankenverordnung (VSBG) vom 28.2.2000 / rev. 24.9.2004 Gesetz über die Lotterien und Wetten (LG) vom 8. Juni 1923 Zulassung der Geräte durch den Bund; Aufstellbewilligung resp. –verbote durch kantonale Gesetze
Markt-
angebot
Stand Ende 2003
19 Spielbanken, davon 7 mit einer A- und 12 mit einer B Konzession*** / 3’200 Geldspielautomaten und 230 Tischspiele 42 unterschiedliche Produkte wie Zahlenlotto, Sport-Totto, sporttip, Millionenlos etc. 5’882 Automaten (Stand 1.4.2003) in 13 Kantonen
Umsatz 2003**** 561 Mio. Bruttospielertrag***** (BSE) davon entfallen 405 Mio. (72,2 ) auf die Geldspielautomaten und 156 Mio. (27,8 ) auf den Tischspielbereich. Ca. 700 Mio. BSE****** (300 Mio. durch die LoRo; 400 Mio. durch die ILL), davon fallen ca. 88 Mio. auf die Tactilo-Geräte in der Westschweiz; der Rest verteilt sich auf das Zahlenlotto, Sport-Toto, sporttip, Millionenlos und diverse andere v.a. Rubbellosprodukte. Unbekannt
Steuer-
abgaben 2003
260 Mio. Davon fliessen 223 Mio. in den Ausgleichsfonds der AHV und 37 Mio. gehen an die Standortkantone. *******Knapp 400 Mio. Die Kantone verfügen über den Lotteriefonds, welcher in der Regel für sportliche, soziale und kulturelle Zwecke verwendet wird. Unbekannt. Die Kantone partizipieren i.d.R. an einer fixen Jahresgebühr pro aufgestelltes Gerät.
Gewinn-
besteuerung
Steuerfrei Lotteriegewinne unterliegen der Verrechnungssteuer und sind steuerpflichtig. Steuerfrei



Gespanntes Verhältnis zwischen Spielbanken- und Lotteriebranche

Im Bereich des Spielbankengesetzes herrscht heute Klarheit über das Angebot. Die gesetzlichen Auflagen bezüglich Prävention und Früherkennung sind in der revidierten Spielbankenverordnung******** umfangreich und differenziert geregelt. Die Aufsicht über die Spielbanken in der Schweiz liegt bei einer unabhängigen Kommission, der Eidgenössischen Spielbankenkommission (ESBK). Sie ist dem Bundesrat unterstellt und verfügt über ein ständiges Sekretariat mit rund 30 Angestellten.

Ganz anders präsentiert sich die Situation im Lotteriebereich. Die im Nachgang zum neuen Spielbankengesetz vorgesehene Revision des Lotteriegesetzes wurde nach heftigen Protesten der Kantone gestoppt. Am 18. Mai 2004 entschied der Bundesrat, die Revision des Lotteriegesetzes vorläufig zu sistieren. Die Kantone sollen nun bis
Anfang 2006 Massnahmen ergreifen, um die Mängel im Lotteriewesen zu beheben.

Gleichzeitig beauftragt der Bundesrat das Eidgenössische Justiz.- und Polizeidepartement (EJPD) zu überprüfen, ob die von den Kantonen getroffenen Massnahmen ausreichen, um die Missstände zu beheben. Bis Anfang 2007 hat das
EJPD darüber Bericht zu erstatten*********.

An dieser Stelle ist anzufügen, dass der Lotterien- und Wettbereich im Hoheitsgebiet der Kantone liegt. Das bedeutet, dass die Kantone die Bewilligung für die Ausgabe und Durchführung von grossen Lotterie- und Wettveranstaltungen erteilen. Die Westschweizer Kantone sind in der Loterie Romande (LoRo) zusammengeschlossen, die deutschsprachige Schweiz und der Kanton Tessin in der Interkantonalen Landeslotterie (ILL). Die ILL bietet ihre Produkte unter dem Markennamen „SWISSLOS“ an.

Die Kantone haben in den letzten Jahren zwei Glücksspielprodukte eingeführt, die rechtlich umstritten sind. Zum Teil werden Lotteriespiele angeboten, die in ihrem praktischen Funktionieren kaum zu unterscheiden sind von Spielen, die nur in Spielbanken angeboten werden dürfen. Zu erwähnen sind hier die Tactilo-Geräte.

600 Stück dieser Lotterieautomaten stehen in den Westschweizer Kantonen in Bars und Restaurants. Mit 880 Mio. Franken Jahresumsatz gehören sie zu den Spitzenprodukten der Lotteriebranche. In den Deutschschweizer Kantonen ist die Markteinführung von 400 Geräten (unter dem Namen Touchlot) geplant.

Überraschenderweise hat die ESBK den Kantonen im Sommer 2004 einen Strich durch die Rechnung gemacht, indem sie mittels einer superprovisorischen Verfügung das Aufstellen der Touchlot-Geräte verboten hat. Über die weitere
Entwicklung werden die Gerichte entscheiden. Das zweite umstrittene Angebot ist der „sporttip“, eine Sportwette, die in den ersten drei Monaten nach der Markteinführung im Oktober 2003 einen Umsatz von rund 14 Mio. Franken erzielte.
Täglich können mit einem Maximaleinsatz von 500 Franken pro Wettschein an jedem Kiosk Sportwetten getätigt werden.

Es ist ein offenes Geheimnis, dass sich die Spitzen der Lotterie- und Spielbankenbranche hart bekämpfen. Jede Seite sieht in der anderen eine mit unlauteren Methoden kämpfende Konkurrenz.

Geldspielautomaten – per 2005 aus dem Verkehr gezogen

Mit leiseren Tönen vollzieht sich gleichzeitig ein Strukturwandel, über den in den letzten Jahren wenig gesprochen wurde. Es geht um die Geldspielautomaten in Bars und Restaurants. Ende März 2005 müssen knapp 6000 „Slot machines“, welche ausserhalb der konzessionierten Kasinos aufgestellt wurden, aus dem Verkehr gezogen werden. Lediglich so genannte Geschicklichkeitsautomaten dürfen danach noch in Bars und Restaurants stehen. Bei diesen Geräten entscheidet nebst dem Zufallsprinzip die Geschicklichkeit des Spielers über den Ausgang des Resultats.

Die Kompetenz für die Zulassung von Geschicklichkeits-Geldspielautomaten liegt zwar beim Bund, respektive bei der ESBK. Die Kantone entscheiden jedoch unabhängig, ob sie die neuen Automaten anerkennen, beziehungsweise ob sie diese
überhaupt zulassen wollen. Die meisten Kantone sind daran, entsprechende gesetzliche Anpassungen vorzunehmen. Ende Juni dieses Jahres verbot z.B. das Parlament des Kantons Bern das Aufstellen solcher Apparate. Im Kanton Fribourg
hingegen sollen bis zu 10 Geräte pro Ort mit höheren Einsätzen und höheren Gewinnmöglichkeiten erlaubt sein.

Nach diesem Überblick über die Glücksspielsangebote wenden wir uns den möglichen Nebenwirkungen und Folgen des Glücksspiels zu – der Glücksspielsucht.

Welche Angebote stehen auf der Behandlungsseite zur Verfügung?

Versorgungssituation von Glücksspielsüchtigen

Mit der Neueröffnung der Kasinos befürchteten Experten einen Anstieg von Glücksspielsüchtigen in der Schweiz. Dies veranlasste die Hochschule für Soziale Arbeit (HSA) Luzern dazu, die Situation von bestehenden Angeboten für
Glücksspielsüchtige im Beratungs- und Behandlungsbereich genauer unter die Lupe zu nehmen.

So führte sie im letzten Jahr eine gesamtschweizerische Bestandesaufnahme über die Versorgungslage von Glücksspielsüchtigen in der Schweiz********** durch. Zur Erfassung der Versorgungssituation wurden standardisierte Telefoninterviews mit kantonalen Suchtbeauftragten, Kantonsärzten sowie ausgewählten Beratungsstellen durchgeführt. Die Evaluation weist auf einige Lücken im Versorgungsnetz von Glücksspielsüchtigen hin. Insbesondere im Bereich der Behandlung mangelt es an spezialisierten stationären Angeboten. Kliniken, die keinen Schwerpunkt im Bereich Glücksspielsuchtbehandlung führen, nehmen dennoch Glücksspielsüchtige auf.

Glücksspielsüchtige stossen daher in den meisten Fällen auf ein nicht speziell auf sie zugeschnittenes Behandlungsangebot. Diese Klientengruppe wird im ungünstigsten Fall suboptimal behandelt, d.h. nicht nach neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen einer Spielsuchtbehandlung. Häufig werden Spielsüchtige zusammen mit anderen Suchtkranken behandelt, und zwar nach deren Behandlungsmethoden. „Wir haben es mit einer quantitativen wie auch einer qualitativen Unterversorgung zu tun“, so das Fazit der Studie.

Das Spektrum im Bereich der Beratungen präsentiert sich von Kanton zu Kanton unterschiedlich. Der Hauptgrund: Die Versorgungsleistungen im Suchtbereich werden in fast jedem Kanton anders finanziert. Substanzungebundene Süchte, wie
die Spielsucht, werden im Idealfall explizit im Leistungsauftrag erwähnt, teils werden sie implizit mit eingeschlossen, d.h. nach mündlicher Übereinkunft. Im schlechtesten Fall wird die Spielsucht in den neuen Leistungsaufträgen zwischen Fachstelle und Kanton explizit ausgeschlossen. Dennoch weisen Beratungsstellen Klienten und Klientinnen mit einer Glücksspielsucht nicht weg, sondern beraten und begleiten sie, ohne dafür einen entsprechenden Auftrag vom Kanton zu haben. Wie die Beratungsleistungen finanziert und verbucht werden, ist ihnen überlassen. Die Interviews, die für die Studie geführt wurden, verdeutlichen weiter, dass bei kantonalen Schlüsselstellen wenig Know-how in Bezug auf Fragen und Aspekte des Glücksspiels vorhanden ist.

Die Studie der HSA kommt zum Schluss, dass eine einheitliche Politik fehlt, um Hilfeleistungen flächendeckend, systematisch und koordiniert zu organisieren. Fachleute beklagen die Inkohärenz der bisherigen Suchtpolitik, so z.B. die Trennung zwischen legalen und illegalen Drogen oder die Nichtbeachtung weiterer Suchtformen, insbesondere der substanz-ungebundenen Suchtformen. Es liegen erhebliche Defizite in der Kommunikation, Vernetzung und Koordination vor. Die fragmentierte Suchtpolitikstrategie des Bundes wird im Zug der Vernetzungs- und Integrationsbemühungen zunehmend hinterfragt.

Aktuelle Suchtpolitik des Bundes

Laut einer Studie von Spinatsch aus dem Jahr 2004 beschäftigt sich die bisherige Suchtpolitik des Bundes vorwiegend mit den Problemen, welche im Zusammenhang mit illegalen Drogen, Alkohol und Tabak stehen. Aus fachlicher Sicht besteht der suchtpolitische Handlungsbedarf in erster Linie bei der Verhinderung von Suchtproblemen, die in Zusammenhang mit dem Missbrauch von Alkohol und Tabak stehen. In zweiter Linie sollte sich die staatliche Suchtpolitik mit den Problemen beschäftigen, die sich durch den Missbrauch von Heroin, Cannabis und Medikamenten, durch Adipositas sowie durch Spiel-, Kauf- und Arbeitssucht ergeben. Der Spielsucht wird eine mittlere Problemlast zugeschrieben. Man schätzt, dass es 44’000 spielsüchtige Menschen gibt, was einer Prävalenzrate von 0.8% der
über 17-Jährigen entspricht. Der Anteil an Spielsuchtgefährdeten wird auf 123’000 Personen geschätzt, was einer Prävalenz von 2.2% entspricht. Diese statistischen Angaben wurden der Studie von Osiek, Bondolfi & Ferrero (1999) entnommen. Im Zuge der Neueröffnung der Kasinos und des ungebremsten Wachstums des Glücksspielmarktes kann davon ausgegangen werden, dass sich die genannten Zahlen künftig weiter nach oben entwickeln werden. Die fachliche Perspektive kontrastiert mit der Sichtweise von Politik und Öffentlichkeit, deren Aufmerksamkeit sich auf die durch den Konsum von Alkohol, Tabak und illegalen Drogen ergebenden Probleme beschränkt. Der Bund unternimmt bei der Bekämpfung von anderen Suchtformen, bei denen aus fachlicher Sicht ein Handlungsbedarf besteht, wenig oder nichts. Die Ausblendung bestimmter Suchtformen wie der Spielsucht, bei denen ein ebenso grosser Handlungsbedarf besteht wie bei den illegalen Drogen, ist fachlich nicht vertretbar.

Die Studie von Spinatsch empfiehlt deshalb eine integrative Suchtpolitik, welche mehrere Suchtformen umschliesst und in kleinen pragmatischen Schritten angestrebt werden sollte. Immerhin darf das Spielbankengesetz mit seinen entsprechenden Ausführungsbestimmungen im Bereich Prävention, Früherkennung und Behandlung als wegweisend bezeichnet werden.

Früherkennung in Kasinos; Gesetzliche Grundlagen

In der revidierten Verordnung zum Spielbankengesetz werden die Massnahmen und Anforderungen des Sozialschutzes, die ein Kasino erbringen muss, näher erläutert. Artikel 38 ff. (siehe Kasten) regelt die Massnahmen der Prävention und
Früherkennung. Darin werden folgende Massnahmen vorgeschrieben:

  • Das Kasino legt die Beobachtungskriterien (Checkliste) fest, anhand derer die spielsuchtgefährdeten Spielerinnen und Spieler erkannt werden können.
  • Das Kasino ergreift aufgrund dieser Kriterien die notwendigen Massnahmen.
  • Das Kasino dokumentiert die Beobachtungen und die ergriffenen Massnahmen zur Früherkennung.

Damit dieses Vorhaben überhaupt gelingen kann, ist die Kasinobranche auf die externe Zusammenarbeit mit Präventionsfachleuten angewiesen. Die Spielbank arbeitet mit einer externen Suchtpräventionsstelle und einer Therapieeinrichtung zusammen. Sie kann sich mit anderen Spielbanken oder mit Dritten zusammenschliessen.

Auszug aus der revidierten Spielbankenverordnung: in Kraft seit 1. Nov. 2004

Art. 38 Massnahmen der Prävention und Früherkennung

1) Im Rahmen der Prävention stellt die Spielbank leicht zugängliche und leicht verständliche Informationen bereit über:

  1. die Risiken des Spieles;
  2. Hilfsmassnahmen wie Spielsperren, Adressen von Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen für spielsuchtgefährdete Spielerinnen und Spieler;
  3. Selbsterhebungsbogen zur Suchtgefährdung.

2) Im Rahmen der Früherkennung legt sie die Beobachtungskriterien (Checkliste) fest, anhand derer spielsuchtgefährdete Spielerinnen und Spieler erkannt werden können und ergreift die auf Grund dieser Kriterien notwendigen Massnahmen. Sie dokumentiert ihre Beobachtungen und die getroffenen Massnahmen.

Art. 39 Aus- und Weiterbildung

1) Die für das Sozialkonzept verantwortlichen Personen und die mit dem Spielbetrieb oder dessen Überwachung betrauten Personen müssen eine Grundausbildung und jährliche Weiterbildungskurse (Refresher) absolvieren.

2) Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erhalten die ihrer Funktion angemessene Ausbildung; die Ausbildung muss insbesondere die frühzeitige Erkennung spielsuchtgefährdeter Spieler und die Intervention gemäss den im Sozialkonzept vorgesehenen Verfahren ermöglichen.

3) Sie müssen spätestens sechs Monate nach Arbeitsbeginn die Grundausbildung absolviert haben. Sie erhalten dafür eine Bestätigung.

4) Für die Grundausbildung müssen qualifizierte Personen oder Institutionen eingesetzt werden.

5) Für die Weiterbildung des für das Sozialkonzept verantwortlichen Personals müssen qualifizierte Personen oder Institutionen eingesetzt werden; diese Weiterbildung umfasst insbesondere:

  1. Erfahrungsaustausch;
  2. praxisbezogene Beratungen;
  3. Praxisbegleitung.



Praktische Umsetzung der Früherkennung in Kasinos

Die praktische Umsetzung der gesetzlichen Auflagen erweist sich als äusserst anspruchsvoll, wie sich am Beispiel der Früherkennung zeigen lässt. Früherkennung in den Kasinos bedeutet, dass das Personal problematische Entwicklungen systematisch erfasst und es Strukturen gibt, mit deren Hilfe die Beobachtungen und Erhebungen ausgetauscht und weitergeleitet werden können. Die systematische Beobachtung muss mit einfachen Mitteln möglich sein. Schliesslich gilt es, die gemachten Beobachtungen von problematischen Gästen zu dokumentieren und zu evaluieren.

Eine funktionierende Früherkennung bedingt, dass verbindliche Regelungen vereinbart werden, wie mit bestimmten Beobachtungen umgegangen werden soll und welche weiteren Massnahmen für eine Frühintervention getroffen werden müssen.

Kasinos sind herausgefordert, standardisierte Abläufe zu entwickeln und diese in ihren Betrieben verbindlich umzusetzen und einzuhalten. Dies bedingt eine gezielte Schulung des gesamten Kasinopersonals. Der Grundgedanke der Früherkennung sollte dabei in das Denken und Handeln der Kasinoangestellten einfliessen. Gelingt es nicht, das Prinzip der Früherkennung von der obersten bis zur untersten Hierarchiestufe zu verankern, wird die ganze Umsetzung des Sozialschutzes schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Die bisherigen Erfahrungen in den Kasinos zeigen, dass sich motivationale Prozesse auf die Umsetzung entscheidend auswirken können. Die Einführung neuer Prozesse braucht zudem Zeit, bis sie greifen.

Die weltweit einzigartige gesetzliche Situation in der Schweiz im Bereich Sozialschutz führt dazu, dass Kasinounternehmen auf keine entsprechenden „Bestpractise-Modelle“ zurückgreifen können. Sie müssen deshalb die Abläufe sowie die entsprechenden Strukturen und Instrumente für eine erfolgreiche Umsetzung von Früherkennung selbst entwickeln.

Ausserdem sind Kasinounternehmen wie in keinem andern Land gefordert, eine entsprechende Balance zwischen ökonomischem Gewinnstreben und sozialer Verantwortung zu finden, was aufgrund des harten wirtschaftlichen Wettbewerbs nicht einfach ist.

Problemfälle frühzeitig erkennen

Diesen Handlungsnotstand hat die HSA Luzern zum Ausgangspunkt ihres neusten Forschungsprojekts „Identifikation von Problemspielern in Kasinos“*********** gemacht. Die HSA setzte sich zum Ziel, ein Screeninginstrument zu entwickeln, welches den Anspruch erfüllt, Problemspielerinnen und -spieler aufgrund äusserer Merkmale und Verhaltensauffälligkeiten frühzeitig zu erkennen. Damit soll den Betreibern eines Kasinos ein wissenschaftlich entwickeltes Instrument zur Verfügung gestellt werden. Dieses Forschungsprojekt wird durch die drei Grand Casinos Baden, Bern und Luzern sowie durch die weltweit tätigen Kasinounternehmen Casinos Austria International und die Fachhochschule Zentralschweiz finanziert.

Das Screeninginstrument verfolgt folgende Aufgaben und Ziele:

  • Die Identifikation von Problemspielern soll zu einem möglichst frühzeitigen Zeitpunkt erfolgen.
  • Aus einem Screeninginstrument leiten sich konkrete Massnahmen ab. Nur so können entsprechende Interventionen geplant und umgesetzt werden. Mit Frühinterventionen soll einer weiteren Ausbreitung von Spielsucht vorgebeugt werden.
  • Das Instrument soll dem Kasinopersonal eine Systematisierung der Beobachtungen ermöglichen.
  • Das Instrument erfüllt die gesetzlich geforderten Auflagen.
  • Ein Screeninginstrument muss ökonomisch einsetzbar sein. Es soll kurz, praktisch handhabbar und robust sein. Das Instrument soll einen möglichst geringen Zeit- und Organisationsaufwand beanspruchen und einer Ökonomisierung des Betriebsablaufs dienlich sein.

Entwicklung des Screeninginstruments „Identifikation von Problemspielern“ (ID-Ps)

Bis heute existieren weltweit noch keine empirischen Studien, die die Validität und der Reliabilität von Verhaltensmerkmalen bei pathologischen Spielern untersucht haben. Das Australian Gaming Council hat eine erste Voruntersuchung (2002) getroffen, wie Problemspieler in Kasinos identifiziert werden können. Das Council führte dazu eine Expertenbefragung durch. Das Fazit war einhellig: Es ist unabdingbar, valide Erkennungsmerkmale zu identifizieren, um Problemspieler und -spielerinnen im Kasino möglichst frühzeitig erfassen zu können.

Die Befragten

In der Folge hat die HSA ein Screeninginstrument „Identifikation von Problemspielern“ (ID-Ps) entwickelt. Dazu führte sie problemzentrierte Interviews mit verschiedenen Gruppen durch, um Genaueres über beobachtbare äussere Verhaltensmerkmale eines spielsuchtgefährdeten Gastes in Erfahrung zu bringen. Die erste interviewte Gruppe bestand aus ehemaligen Spielerinnen und Spielern. Diese wurden über Beratungsstellen rekrutiert, die auch im Bereich Glücksspielsucht tätig sind (Beratung von Glücksspielsüchtigen, Spielerselbsthilfegruppe). Den folgenden Beratungsstellen gelang es, ihre Klientinnen und Klienten für die Teilnahme am Projekt zu gewinnen: Sozialberatungszentrum (SoBz) in Luzern, Perspektive Fachstelle Mittelthurgau in Kreuzlingen, Basellandschaftliche Beratungsstelle für Alkohol- und andere Suchtprobleme in Münchenstein, Stiftung Suchthilfe in St. Gallen sowie die Berner Gesundheit in Bern. Die Psychiatrische Universitätsklinik in Zürich ermöglichte weitere Kontakte. Weiter wurden Personen befragt, die eine Spielsperre in einem der drei am Forschungsprojekt beteiligten Kasinos beantragt haben. Insgesamt konnten 28 Spieler und Spielerinnen befragt werden. Mit den Probanden wurden persönliche Gespräche geführt. Mit einigen Spielenden, die mehr Anonymität bevorzugten, fanden Telefoninterviews statt.

Die nächste Gruppe bildete die so genannte ExpertInnengruppe, d.h. das Kasinopersonal. Es wurden sowohl KasinomitarbeiterInnen aus dem Tischspielbereich wie aus dem Automatenspielbereich interviewt. Dabei wurde darauf geachtet, dass Personen aus allen Hierarchiestufen mit unterschiedlich langer Spielkasinoerfahrung befragt werden konnten (Kasinoassistentinnen/Croupiers, Shift-Manager, Cash Desk Manager, Saalchefs sowie Personen aus der Technik und Sicherheit und Sozialkonzeptverantwortliche). Insgesamt nahmen 23 Kasinoangestellte an den Interviews teil.

Als Kontrastgruppenvergleich befragte die HSA einige Stammgäste. Dies diente der Generierung von Hypothesen bezüglich der Frage, worin sich eigentlich Problemspielerinnen und -spieler von regelmässig spielenden Gästen unterscheiden, welche nicht spielsüchtig sind. Jeder Stammgast wurde am Ende des Interviews mit Hilfe der DSM-IV Kriterien************ auf eine mögliche Spielsuchtproblematik hin getestet. Bei keiner/-em der sieben befragten Spielerinnen und Spieler ergaben sich Anhaltspunkte, welche auf eine Spielsucht hinwiesen.

Die Auswertung der Befragung

Die Interviews wurden zusammengefasst und nach Themen gegliedert. Danach wurden Kategorien für die Auswertung gebildet und zu einem Codierleitfaden zusammengestellt. Mit diesem Leitfaden wurden die Interviews codiert.

Häufigkeitsangaben zu bestimmten einzelnen Auswertungskategorien gaben einen Überblick über die Verteilungen der Kategorien. In einem nächsten Schritt wurden die Kategorien ausformuliert. Dabei mussten bestimmte Anforderung an die Formulierung der Items berücksichtigt werden. Die Items sollten konkret, klar, unmissverständlich, verhaltensnah und eindeutig formuliert werden, damit die Gefahr von Interpretationen ausgeschlossen werden konnte.

Der ID-Ps besteht aus insgesamt 38 Items aufgeteilt in die folgenden 6 Oberkategorien:

  • die Besuchsfrequenz und Besuchsdauer
  • die Geldbeschaffung
  • das Einsatzverhalten
  • das Sozialverhalten
  • das (Spiel)-Verhalten und die Reaktionen beim Spielen
  • die äussere Erscheinung.

Die Items werden mit „Trifft zu“ oder „Trifft nicht zu“ beantwortet. Einzig bei der Besuchsfrequenz, der Besuchsdauer sowie der Einsatzhöhe sind mehrstufige Antwortkategorien vorgegeben. Ausserdem hat das Kasinopersonal die Möglichkeit über weitere Auffälligkeiten zu berichten, die im ID-Ps unerwähnt blieben.

Abschliessende Bemerkungen

Der ID-Ps wird sowohl im Automatenbereich wie auch im Tischspielbereich eingesetzt. Es ist geplant, dieses Screeninginstrument in den Früherkennungsprozessen der drei Grand Casinos Bern, Baden und Luzern einzusetzen. Als nächstes gilt es, den ID-Ps zu validieren, d.h. ihn mittels wissenschaftlicher Methoden auf seine Tauglichkeit hin zu testen. Die Items werden daraufhin geprüft, ob sie genügend Aussagekraft besitzen, Problemspieler von Nichtproblemspielern zu unterscheiden. Mit der Validierung entstehen wissenschaftlich gestützte Auswertungsanleitungen für die Praxis. Es wird dann klar, bei welchen und ab wie vielen Kriterien man von einem Problemspieler sprechen kann. Die Validierungsphase wird ungefähr ein Jahr in Anspruch nehmen.

Am Ende dürfte ein weltweit einzigartiges praxistaugliches und wissenschaftlich getestetes Instrument zur Früherkennung von Problemspielern in Kasinos vorliegen.

„Überall habe ich die Grenzen überschritten, überall!“ schrieb Dostojewski in „Der Spieler“. So bleiben wir am Schluss mit der Frage beschäftigt, wie sich das Verhältnis zwischen der Verantwortung von Spielerinnen und Spielern und denjenigen Menschen präsentiert, welche mit einem gesellschaftlichen Auftrag versuchen, Glücksspiele nach möglichst fairen Regeln anzubieten.

Literaturverzeichnis

Australian Gaming Council (Hrsg.), 2002: Identifying the Problem Gambler in the gambling venue. South Australian Centre for Economic Studies

Häfeli, Jörg & Schneider, Caroline, 2003: Versorgungssituation von Glücksspielsüchtigen in der Schweiz – Eine Bestandesaufnahme 2003. Luzern.

Meyer, Gerhard; Bachmann, Michael, 2000: Spielsucht, Ursachen, und Therapie. Berlin/Heidelberg

Osiek, Christian; Bondolfi, Guido; Ferrero, Francois, 1999: Etude de prevalence du jeu pathologique en Suisse. Département de Psychiatrie. Hôpitaux Universitaires de Genève.

Spinatsch, Markus 2004: Eine neue Suchtpolitik für die Schweiz? Bericht zuhanden des Bundesamtes für Gesundheit. Bern. Erhältlich unter www.m-spinatsch.ch




* Lic. phil. Caroline Schneider, wissenschaftliche Assistentin. Prof. MAS Jörg Häfeli, Dozent und Projektleiter von careplay. www.careplay.ch, Hochschule für Soziale Arbeit (HSA) Luzern Kontaktadresse: Hochschule für Soziale Arbeit, Werftstr. 1, 6002 Luzern. Tel: 041 367 48 48, E-mail: cschneider@hsa.fhz.ch, jhaefeli@hsa.fhz.ch;

** aus: F.M. Dostojewski: Der Spieler, Roman, 1866

*** A-Konzession: unbeschränkte Anzahl Spiele und unbeschränkte Einsatz- und Gewinnhöhe; BKonzession: beschränkte Anzahl Spielangebote, beschränkte Einsatz- und Gewinnhöhe. Nach der neuen Spielbankenverordnung gelten neu erhöhte Grenzen betreffend Maximaleinsatz und Höchstgewinn bei Geldspielautomaten. Siehe Pressemitteilung vom 24.09.2004

**** Glücksspielangebote in der Schweiz erzielen einen Bruttospielertrag von rund 1,3 Milliarden. Der Gesamtumsatz, d.h. das Total des investierten Geldes durch Spielende ohne den Abzug der Gewinnausschüttung, beläuft sich auf gut 10 Milliarden Schweizer Franken. Bei einer durchschnittlichen Gewinnausschüttung von ca. 93% ergibt sich ein Umsatz von 8 Mia. Schweizer Franken aller Kasinos. Der Lotterieumsatz beträgt gemäss der offiziellen Statistik 2,3 Mia.

***** BSE = Total aller eingesetzten Beträge abzüglich aller ausbezahlten Gewinne. Pressemitteilung der ESBK vom 6.02.2004 (www.esbk.admin.ch)

****** In der offiziellen Lotteriestatistik des Bundesamtes für Justiz werden die reinen Umsätze angegeben. 2003 betrug die Gesamtsumme gut 2,3 Mia. Um einen Vergleich herzustellen, wurden die entsprechenden BSE den Geschäftsberichten der LoRo (www.loterie.ch) und der ILL (www.swisslos.ch) entnommen.

******* Es handelt sich hier nicht um eigentliche Steuerabgaben. Im Lotteriebereich werden gemäss Gesetz die Nettogewinne nach einem Verteilschlüssel an die Kantone abgeführt.

******** Der BR hat am 24.9.04 die Spielbankenverordnung (VSBG) revidiert. Sie tritt am 1. November 2004 in Kraft.

********* Pressemitteilung des EJPD vom 19. Mai 2004: „Die Kantone haben vorgeschlagen, auf freiwilliger Basis mit einer interkantonalen Vereinbarung die heute bestehenden Mängel im Lotteriewesen zu beheben. Konkret sollen das Bewilligungsverfahren und die Aufsicht von Grosslotterien zentralisiert werden, die Transparenz und Gewaltenteilung verbessert und die Suchtbekämpfung und -prävention verstärkt werden. Die Fachdirektorenkonferenz sichert dem Bund zu, dass ein entsprechender Entwurf an der Fachdirektorenkonferenz im Januar 2005 verabschiedet und die Vereinbarung am 1. Januar 2006 in Kraft treten wird. Im Gegenzug sistiert der Bundesrat die Revision des Lotteriegesetzes.“

********** Häfeli, Jörg; Schneider, Caroline, 2003.

*********** Der Bericht „Identifikation von Problemspieler in Kasinos“ erscheint Anfang 2005.

************ Das Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen (DSM-IV) wurde von der American Psychiatric Association (APA) entwickelt. Die aktuelle Fassung, das DSM-IV, erschien 1994 und ist heute das meistbenutzte Klassifikationssystem in den Vereinten Staaten.