In eisigen Höhen. Zu Gast beim Bundesverwaltungsgericht.

Zu BVerwG 8 C 14.12 u.a., Urteile vom 16.5.2013; PM BVerwG Nr. 27/2013

Ein Artikel von Kai Stuht

Die Luft ist dünn, extrem dünn. 9 Männer in eisigen Höhen. Jahrelange Vorbereitung, perfekte Ausrüstung. Nichts dem Zufall überlassen, die besten acht Sherpas angeheuert. Beißender Gegenwind, bei jedem Schritt zum Gipfel. Zwei Tage Schnappatmung. Und Durst, viel Durst. Die Zunge brennt. Willkommen in der Todeszone. Der Gipfel ist erreicht. Dennoch, nichts erreicht. Ein Blizzard. Unerbittlich, die Sicht ist Null, die Aussicht auf den Abstieg in wärmere Gefilde auch. Archipel Gulag. Kein Entrinnen, kein Zurück. Optimismus bei Einigen. Reine Unerfahrenheit. Alle 9 werden erfrieren, jämmerlich. Auf dem Gipfel und trotz der Hilfe ihrer Sherpas.

Standortbestimmung: Himalaya? Der K2, Schicksalsberg der Deutschen? Oder der Everest? 9 Menschen starben 1996 auf dem Gipfel, in der Todeszone, heldenhaft. Ein Drama, ein Bestseller, John Krakauer.

Geschichte wiederholt sich überall, heißt es, nicht nur im Himalaya. Schnappatmung, eisiger Gegenwind. Mitten in Deutschland. Die erfahrensten 8 Sherpas. Bestens gerüstet. Dennoch, keiner der 9 überlebt. Das wusste man doch vorher.

Nicht der Himalaya. Leipzig, Bundesverwaltungsgericht, 8. Senat. Deutschland. 9 Kläger und 8 Anwälte in der Todeszone des Rechts. Das Gebäude ist groß, sehr groß. Eine Demonstration der Macht. Der Sitzungssaal ist riesig. Größenwahn? Hier tagte einst das Reichsgericht. Erwin Blumke war sein Präsident. Bis zu seinem Selbstmord am 20. April 1945. Viel Vergangenheit. Der Bundesgerichtshof wollte nicht hierher. Zuviel dunkle Vergangenheit.

Das Bundesverwaltungsgericht wollte. Das Gebäude passt. Der Staat hat schließlich Anspruch auf effektiven Rechtsschutz vor dem Bürger. Wo kämen wir sonst hin. Da könnte ja jeder kommen, irgendwann auch mit Migrationshintergrund. Rechtsschutz für den Bürger? Wieso?
Wir sind beim 8. Senat. Es führt Prof. Dr. Dr. Rennert. Das funktioniert, für den Staat. Staatliche Beihilfen sollen verboten sein? Wieso? EU-Recht und Vorrang der Dienstleistungsfreiheit? Unabhängigkeit der Richter, Bindung an Recht und Gesetz. Ach was. Wo kämen wir da hin, wir Deutschen, und was würde aus der Richterkarriere?

Der 8. Senat. Hier bekommen Sie kein Recht, hier bekommen Sie ein Urteil. Erinnerungen werden wach. Schnappatmung. Die 9 Kläger werden belehrt. Zwei Tage lang. Eisiger Gegenwind.

Ein vernünftiges Interesse an der Rechtsfindung bestehe nicht. Die Klagen sind unzulässig. Das erfährt man hier, auf dem Gipfel des Rechts – oder doch der Macht? Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof sei zu großzügig mit dem knappen Gut Recht umgegangen. Das ist neu. Der Staat darf den Bürger jahrelang europarechtswidrig an der Ausübung seiner Dienstleistungs- und Berufsfreiheit hindern und kriminalisieren. Wozu eine gerichtliche Bestätigung im Namen des Volkes? Der Bürger weiß doch, dass ihm Unrecht widerfuhr. Unrecht, wieso überhaupt Unrecht? Die Verwaltung mag das nicht hören. Der Staat hat immer Recht, er ist jung und braucht das Geld.

Was der Verwaltung Recht ist, sollte das dem 8. Senat nicht billig sein? Unrecht, Nein, wir haben ja den Erlaubnisvorbehalt. Das Allheilmittel, seit Jahrzehnten. Unerlaubtes Glücksspiel ist verboten, eine Erlaubnis gibt es aber nicht, und wenn, dann gilt sie nur für Ost-Berlin und die 5 neuen Länder. Deutschland bleibt geteilt und inakzeptabel ist, was der Richter sagt. Das weiß man doch, über Münster bis nach Luxemburg.

Apropos EuGH? Da war doch was. Letzte Instanz, Vorlagepflicht? Nein, wir sind schließlich beim Bundesverwaltungsgericht, nicht beim Bürgergericht. Luxemburg, das macht man nicht. Das macht ja auch das Bundesverfassungsgericht nicht. Zeitverschwendung und noch dazu ein Risiko. Man könnte in Luxemburg ja das Recht finden, als Staat und als Bundesverwaltungsgericht. Das will man nicht. Nur das Ergebnis zählt.

Das berechtigte Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit fehle; heißt es beim 8. Senat. Der falsche Vorwurf strafbaren Verhaltens sei keine Stigmatisierung. Auch keine Wiederholungsgefahr. Und Staatshaftungsansprüche. Niemals, da könnte ja jeder kommen.

Keine Widerrede. Der Vorsitzende muss es wissen. Es geht schließlich um Sportwetten, um die Dienstleistungsfreiheit und um die fiskalischen Interessen des Staates. Fiskalische Interessen des Staates? Gibt es nicht bei Sportwetten und bei Lotto. Das hatte uns der 8. Senat schon 2011 gelehrt. Staatliche Sportwetten gegen Entgelt: Das ist Altruismus und Daseinsvorsorge, rein und pur. Wir wussten es schon immer. Lottochefs und Ministerpräsidenten in Luxuslogen der 1. Bundesliga. Das ist Altruismus und Daseinsvorsorge. Rennert muss es wissen. Er ist Vorsitzender und Vizepräsident des Bundesverwaltungsgerichts, aus Altruismus, selbstredend. Und er will mehr. Die volle Macht in Leipzig. Zum Wohle Deutschlands, im Namen des Volkes.

Prof. Dr. Dr. Rennert. Ein Gerechtigkeitsfanatiker. Mal verliert der Bürger, mal gewinnt der Staat. Er ist Doktor. Nicht nur einmal, zweimal! Doktor Doktor, give me the news. Ein Doppeldoktor, das gibt ihm Recht. Recht aufs Recht am Recht.

Und er ist Professor. Einer dieser Halbgötter, sozusagen, mit weißer Krawatte, weißer Weste und schwarzer Robe. Samtbesatz, das können Anwälte nicht. Deutsch ist Prof. Dr. Dr. Rennert auch, selbstverständlich. Richter müssen Deutsch sein, in Deutschland. Wie Notare. Autsch, da war doch was. Luxemburg, schon wieder!

Luxemburg, wo ist das? Stefan Raab wüsste wo das liegt. Aber der ist ja auch kein Richter, der ist Metzger. Wer in Sachen Recht und Fußball Europa anführt, muss nicht nach Luxemburg, allenfalls nach Wembley – Lotto lädt ein. Luxemburg kann nicht Fußball spielen und Luxemburg kann kein Recht. Hier spielt das Recht, hier in Deutschland und die erste Strophe der Hymne summt im Hintergrund.

Der 8. Senat in Leipzig; eine Privatklinik des Rechts, nichts für das einfache Volk. Kassenpatienten müssen draußen bleiben. Die Mächtigen werden hier geheilt. Ein Reparaturbetrieb für Exekutive und Politik. Keine Hinterhofwerkstatt für Jedermann. Recht für alle gibt es woanders: Halle, Gera, Minden, Arnsberg, Stuttgart und so weiter, nicht im Reichstagsgebäude. Dafür ist es dann doch zu klein.

Einst war das anders: „In der Rechtsprechung ist geklärt, dass für die Anwendung des §§ 113 Abs. 1 S. 4 VwGO jedes nach vernünftigen Erwägungen schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder auch ideeller Art genügt.“ (BVerwG, Beschl. v. 24.10.2006, 6 B 61.06).“ Nun fragt sich der Laie: Ist es wirklich unvernünftig, wenn sich der Bürger die jahrelange unionsrechtswidrige Kriminalisierung durch den Staat höchstrichterlich bestätigen lassen will? Ja, sagt Rennert, Verzeihung, Prof. Dr. Dr. Rennert; Herr Vorsitzender. Wer sein Recht beim Bundesverwaltungsgericht sucht, ist unvernünftig. Zack, das sitzt. Die Kosten kommen oben drauf.

Unvernünftig? Kein Feststellungsinteresse? Ja, das macht Sinn, jedenfalls für Lotto und die Staatskasse. Mit Unrecht lässt sich Geld verdienen, viel Geld. Und die Loge beim BVB bleibt, für Lotto. Jetzt ist man wer, bei Lotto. Ab mit dem BVB nach Wembley, Herr Burkert. Lotto zahlt, der Bürger zahlt, zum Schutz vor Wettsucht.

Trennungsgebot bei der Ods-GmbH. Ein schlechter Scherz. Bitte auch sonst kein objektives Konzessionsverfahren. Rechtsschutz für Bewerber? Grober Unfug. Wir haben doch CBH und dann geht’s von Wembley über Wiesbaden direkt nach Leipzig. Sprungrevision. Die beim 8. Senat werden es schon richten. Das Bundesverwaltungsgericht, ein Allheilmittel. Wie heißt es in Medizinerkreisen? Was ein Arzt verdorben hat, macht ein Häuflein Erde glatt. So geht das!

Der 8. Senat hat den Bürger gelehrt: Keine Stigmatisierung durch den jahrelangen Vorwurf strafbaren Verhaltens. Keine Wiederholungsgefahr trotz angedrohter Wiederholung. Und Staatshaftungsansprüche? Auch ohne Vorlage zum EuGH offensichtlich aussichtslos. Aber, ist Leipzig für die Staatshaftung zuständig? Gab es ein rechtsstaatliches Verfahren durch die Instanzen vor den Zivilgerichten bis zum EuGH? Natürlich nicht; willkommen beim 8. Senat. Hier gibt’s kein Recht, hier gibt’s ein Urteil. Der Bürger trägt die Kosten, mit Brief und Siegel und fünf Unterschriften.

Wie kommt es, dass sowas von sowas kommt? Wieso verirren sich bestens ausgebildete Richter im Dschungel des Rechts? Prof. Dr. Putzke und Dr. Christina Putzke: „Richter sind Machthaber. Dass sieht die Verfassung so vor. Sie verfügen über Wertungsspielräume und unterliegen keinen Weisungen. Sie sind laut Art. 97 GG unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen. Beugt ein Richter jedoch das Recht, missbraucht er nicht nur seine Macht, sondern schädigt das Vertrauen in den Rechtsstaat.“ (Legal Tribune-Online vom 6.6.2012).

Das Vertrauen in den Rechtsstaat ist schon lange geschädigt, das weiß jeder. Aber Rechtsbeugung? Welch garstig Wort. Ein Straftatbestand, weit hinter § 284 StGB, kaum benutzt. Gut, dass Leipzig die Verhältnisse gerade gerückt hat. „Eine Stigmatisierung liegt nicht schon in der Feststellung, die Tätigkeit erfülle den objektiven Tatbestand einer Strafrechtsnorm“. So steht es in der Pressemitteilung des 8. Senats. Und so ist es wohl, auch für den objektiven Tatbestand der Rechtsbeugung. Na denn mal los, ihr Staatsanwälte!

Was bleibt? Das Recht einmal mehr auf der Strecke und die höchstrichterliche Bestätigung, dass es unvernünftig ist, beim 8. Senat in Leipzig nach dem Recht zu suchen. Es liegt garantiert woanders. Das wusste man doch vorher. Klagen ist unzulässig.

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