Ein Artikel von Rechtsanwalt Rolf Karpenstein
Der Bundesgerichtshof hat in mehreren Urteilen vom 28.9.2011 Unterlassungsklagen von Lottogesellschaften der Bundesländer gegen Sportwettanbieter, die sich auf die Dienstleistungsfreiheit und auf eine sog. DDR-Genehmigung berufen, unter Hinweis auf § 4 Abs. 4 Glücksspielstaatsvertrag (Internetverbot) für begründet erklärt. Die Klagen rügen Sportwettangebote aus der Zeit vor der Fussball-Weltmeisterschaft 2006.
Diese grundrechtsschützende Funktion des § 4 Abs. 4 GlüStV hatte das BVerwG in seinen drei Urteilen vom 24.11.2010 (dort Rn. 26 bzw. 30 ff) zutreffend gesehen und wörtlich ausgeführt, dass die Vermarktungsbeschränkungen des GlüStV „nicht die dem Parlamentsvorbehalt unterworfene Regelung der Grundrechtsausübung privater Sportwettenanbieter oder -Vermittler betreffen. Sie regeln nur das Angebot der nicht grundrechtsfähigen staatlichen oder staatlich beherrschten Monopolträger.“ Zwar lavierte sich der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts in seinen Urteilen vom 1. Juni 2011 unter neuem Vorsitz an dieser richtigen Auslegung des GlüStV vorbei, indem er auf seine gesetzliche Bindung (§ 137 II VwGO) an das Verständnis des GlüStV durch die Vorinstanz verwies (BVerwG, 8 C 5.10 Rn. 10 ff). Beim BGH besteht diese Bindung indessen nicht. Vielmehr ist es ihm sogar untersagt, in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen obersten (deutschen) Gerichtshofs abzuweichen, ohne den Gemeinsamen Senat anzurufen (Gesetz zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung). Die Pressemitteilung des BGH ist vor diesem Hintergrund missverständlich. Seine rechtliche Beurteilung deckt sich nur mit dem scharf kritisierten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 1.6.2011 in der Sache 8 C 5.10 (dazu Reichert, Isa-Guide Law, Nachricht v. 11.8.2011, T. Wächter, WRP 2011, 1278) nicht aber mit der Beurteilung des GlüStV durch das Bundesverwaltungsgericht in den Rechtssachen 8 C 13, 14 und 15.09.
Mit Spannung wird daher allseits den Urteilsgründen des BGH entgegengesehen, die unter Verstoß gegen § 310 Abs. 2 ZPO am Verkündungstermin leider nicht vorlagen. Noch ist nicht ersichtlich, wie der BGH nachvollziehbar erklären wird, dass er von den drei Urteilen des 8. Senats beim Bundesverwaltungsgericht vom 24.11.2010 ohne Anrufung des Gemeinsamen Senats abweicht. Bislang wurde weder von Seiten der Gerichte noch von Seiten der Bundesländer plausibel erklärt, wie ohne ein Tätigwerden des Gesetzgebers eine an die Monopolträger gerichtete Vermarktungsbeschränkung, die den durch das Monopol bewirkten Eingriff in die Grundrechte privater Anbieter verhältnismäßig gestalten soll, in eine „Ersatzeingriffsgrundlage“ umgewandelt werden kann, wenn sich der monopolistische Ausschluss als ungerechtfertigt erweist. Dem Gesetzgeber zu unterstellen, er habe eine „Ersatzeingriffsnorm“ für den Fall vorgesehen, dass der Anwendung des Monopols das Unionsrecht entgegensteht, liegt ersichtlich fern.
Auf das Bundesverfassungsgericht kann sich der BGH für die These, das Internetvertriebsverbot habe je nach Belieben der Gerichte und Behörden zwei Funktionen gleichzeitig – grundrechtsschützend zur Rechtfertigung des Monopols und grundrechtsnegierend für den Fall der Unanwendbarkeit des Monopols – jedenfalls nicht stützen. Das Bundesverfassungsgericht hatte im Sportwettenurteil nicht verlangt, die Rechte privater Anbieter durch ein Internetvertriebsverbots zu beschränken. Es hatte postuliert, dass sich der Staat hinsichtlich seiner Werbung und auch durch den Verzicht auf den Vertriebskanal Internet entkommerzialisieren muss, wenn er ein Monopol mit der Suchtgefahr zu rechtfertigen gedenkt.
Dennoch bleibt ein Beigeschmack. Wenn ohne belastbare tatsächliche Feststellungen zur aktuellen Systematik und Kohärenz der deutschen Glücksspielpolitik mit Wirkung für die Gegenwart und die Zukunft in die Grundfreiheiten eingegriffen wird, wird das der Dienstleistungsfreiheit kaum gerecht. Staatliche Verstöße gegen Artikel 56 AEUV sind nur unter sehr strengen Voraussetzungen und nur ausnahmsweise dann gerechtfertigt, wenn der eingreifende Staat die zwingende Notwendigkeit des Eingriffs sowie nachweist, dass er bundesweit eine systematische und kohärente Glücksspielpolitik ohne jede fiskalische Motivation betreibt. Über diesen tatsächlichen Nachweis verfügte der BGH bezogen auf den Zeitpunkt seiner Entscheidung nicht. Im Gegenteil lagen dem BGH unzählige wettbewerbsrechtliche Entscheidungen deutscher Gerichte vor, die Verstöße des DLTB gegen die eigenen Vermarktungsbeschränkungen zum Gegenstand haben und damit die Inkonsistenz der Glücksspielpolitik der Länder belegen.
Der Blick auf das aktuelle tatsächliche Werbeverhalten der staatlichen Anbieter, auf ihre aktuelle wahre Motivation für die restriktive deutsche Glückspielpolitik und auf die bevorstehenden und schon begonnenen gesetzlichen Änderungen, die keinerlei Bedarf für ein auf private Anbieter anwendbares Internetvertriebsverbot sehen, hätte dem Bundesgerichtshof also eine tatsächliche Situation offenbart, die eine Rechtfertigung der Anwendung eines Internetvertriebsverbots ausschließt. Das deutsche Revisionsrecht hat dem BGH diesen Blick zwar verwehrt. Steht aber das deutsche Revisionsrecht tatsächlich über dem Unionsrecht?
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