Ein Artikel von Univ.-Prof. Dr. Martin Nolte
Als zuständige Regulierungsbehörde für Sportwetten nach dem Glücksspielstaatsvertrag 2021 veröffentlichte das Regierungspräsidium Darmstadt am 18. Februar 2022 eine erste Liste erlaubter Sportwetten für die Sportart Fußball; zwischenzeitlich erschienen weitere Listen, u.a. zu den Sportarten Handball, Tennis und Eishockey. Zugleich wurden die Erlaubnisnehmer:innen um Mitteilung gebeten, von welchen dieser (erlaubten) Wetten sie Gebrauch machen wollten. Darüber hinaus gehende Angebote müssten beantragt und umfassend begründet werden. Die Umsetzung der Listen ohne Erweiterungen würde zu einer erheblichen Verringerung des derzeitigen Wettprogramms führen und damit dem Kanalisierungsziel, den natürlichen Spieltrieb der Bevölkerung in überwachte und geordnete Bahnen zu lenken, diametral widersprechen. Dies bot Anlass für die Begutachtung neuer Fragestellungen zu Sportwetten im Kontext des Glücksspielstaatsvertrags 2021: Dabei ging es zum Ersten um die Reichweite des Erlaubnisvorbehalts nach § 21 Abs. 5 S. 1 GlüStV 2021, zum Zweiten um das Verbot von Sportwetten auf Amateurveranstaltungen nach § 21 Abs. 1a Satz 3 GlüStV 2021 sowie zum Dritten um die Zulässigkeit von Live-Wetten gemäß § 21 Abs. 4 Satz 2 GlüStV 2021 mit folgenden Ergebnissen:
- Der Erlaubnisvorbehalt des § 21 Abs. 5 Satz 1 GlüStV 2021 nach “Art und Zuschnitt” erstreckt sich ausschließlich auf die abstrakten Formen von Sportwetten (Wett-, Angebots- und Vertriebsformen), nicht aber auf konkrete Sportereignisse, Gegenstände oder Inhalte von Sportwetten. Dies ergibt sich aus einer systematischen Auslegung der Vorschriften, insbesondere mit Blick auf den gesetzgeberische Absicht, die Erlaubnis auf eine bloße „Typengenehmigung“ beschränken zu wollen.
Die spezifischen Wettverbote nach § 21 Abs. 1a Satz 2 bis Satz 5 GlüStV 2021 erstrecken sich nicht auf „Typen“ bzw. Formen von Sportwetten. Sie verbieten vielmehr Sportwetten auf konkrete Sportereignisse oder Inhalte von Sportwetten, bei denen der Gesetzgeber typisierend annimmt, dass darauf abgeschlossene Wetten den Zielen des Glücksspielstaatsvertrages widersprechen. Hier handelt es sich auf der einen Seite um Sportwetten auf Sportereignisse, an denen ausschließlich oder überwiegend Minderjährige oder Amateure teilnehmen (Satz 2 bzw. Satz 3). Auf der anderen Seite geht es um Sportwetten, die besonders manipulationsanfällig sind (Satz 4) oder die sich auf den Eintritt eines regelwidrigen Verhaltens bzw. dessen Sanktionierung beziehen (Satz 5), worunter bestimmte Ereignisse innerhalb eines Sportereignisses zu verstehen sind. - § 21 Abs. 1a Satz 3 GlüStV 2021 verbietet nunmehr ausdrücklich Wetten auf Sportereignisse, an denen ausschließlich oder überwiegend Amateure teilnehmen. Dahinter steht der erkennbare Wille des Gesetzgebers, Manipulationen vorzubeugen. Zu diesen kann es typischerweise bei Veranstaltungen von Amateuren, die keine geldliche Zuwendung für ihre sportliche Leistungen erhielten, leichter kommen (in diese Richtung auch die Erläuterungen zum Staatsvertrag, wonach manipulatives Verhalten verhindert werden solle, welches typischerweise im Amateursport mit wenigen finanziellen Mitteln möglich und schwer zu überwachen sei, siehe Hessischer Landtag, Drucksache 20/3989 vom 03.11.2020, S. 96).
Zur Unterscheidung zwischen Amateuren und Profis bieten die Regeln des organisierten Sports eine wichtige und dem Bestimmtheitsgebot genügende Orientierung. Die Auslegung sportrelevanten Rechts im Lichte von Sportregeln gehört vor allem dann zu den gängigen Methoden anerkannten Rechts, wenn sich der Gesetzgeber bestimmter Begriffe bedient, die an ein konkretisiertes Vorverständnis des organisierten Sports anknüpfen. So ist es beim Begriff des Amateurs. Dieser wird üblicherweise in den Regelwerken des organisierten Sports definiert. § 8 der Spielordnung des Deutschen Fußball-Bundes versteht etwa unter einem Amateur, wer aufgrund seines Mitgliedschaftsverhältnisses Fußball spielt und als Entschädigung kein Entgelt bezieht, sondern seine nachgewiesenen Auslagen und allenfalls einen pauschalierten Aufwendungsersatz bis zu Euro 249,99 im Monat erstattet erhält. - Der Kreis der erlaubten Live-Wetten wurde nach § 21 Abs. 4 Satz 2 GlüStV 2021 deutlich gegenüber der früheren Rechtslage erweitert.
Nach § 21 Abs. 4 Satz 2 Nr.1 GlüStV 2021 ist eine Live-Wette auf das Endergebnis und dessen Bestandteile erlaubt (siehe Hessischer Landtag, Drucksache 20/3989 vom 03.11.2020, S. 98), die wiederum in den Regeln des organisierten Sports definiert werden. Nach dem Gesetzgeber handelt es sich um Bestandteile dann, wenn sich diese unmittelbar in dem (End-)Ergebnis auswirken. Dahinter steht das Ziel, Wetten auf manipulationsanfälligere Zwischen-Geschehnisse während des Spiels auszuschließen und die Frequenz der Wetten gering zu halten. Wetten auf das Endergebnis und dessen Bestandteile sind dabei sowohl als Einzel- als auch als Kombinationswetten erlaubt.
Darüber hinaus sind nach § 21 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 GlüStV 2021 neuerdings auch Live-Wetten auf ausgewählte Ereignisse erlaubt. Damit trägt der Gesetzgeber dem Ziel der Kanalisierung Rechnung und betont zugleich den zeitlichen Eintritt des Ereignisses, wonach explizit eine Wette auf das „nächste“ Tor zulässig sei. Dem entspricht es, zukünftig auch Halb- und Restzeitwetten zuzulassen, bei denen es letztlich um eine Addition aller „nächsten“ Tore zu einem bestimmten Zeitpunkt geht. Höhere Manipulations- oder Suchtgefahren gegenüber Wetten auf ein „nächstes“ Tor sind damit nicht verbunden.
Über den Autor: Martin Nolte studierte Rechtswissenschaften an den Universitäten Tübingen und Kiel und absolvierte das Rechtsreferendariat mit dem Großen Staatsexamen in Hamburg. Er war wissenschaftlicher (Ober-)Assistent, promovierte und habilitierte an der Universität Kiel und unterrichtete an den Universitäten Irkutsk (Russland), Hangzhou (China) und Posen (Polen) sowie an der Bucerius Law School in Hamburg. Er war Inhaber eines Lehrstuhls für Öffentliches Recht, insbesondere Staats- und Europarecht, sowie Sportrecht an der Privaten Hanseuniversität Rostock, bekleidete anschließend eine Stiftungsprofessur für Sportrecht an der Universität Kiel und fungierte als Geschäftsführer der Nationalen Anti-Doping Agentur. Heute leitet er das Institut für Sportrecht an der Deutschen Sporthochschule Köln und ist Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Regulierung und Governance mit Sitz am BusinessCampus Rhein-Sieg.