Warum verzichten die Bundesländer auf 1,5 Milliarden Euro Mehreinnahmen?

Schlusslicht Deutschland: Europäische Glücksspiel-Gesetzgeber orientieren sich am Erfolgsmodell Dänemark

Barcelona/München, Juli 2013. Über 1,5 Milliarden Euro an Steuer-Mehreinnahmen könnten die deutschen Bundesländer im Zeitraum von 2014 bis 2017 erzielen. Dazu bedarf es weder einer Umverteilung noch einer Steuererhöhung. Lediglich der seit einem Jahr gültige Glücksspielstaatsvertrag (GlüStV) müsste an die Realitäten des Marktes angepasst werden. Das Gesetzesmodell dazu liegt in Schleswig-Holstein bereits vor. Die erzielbaren Steuereinnahmen steigen gegenüber der derzeit nur teilweisen Marktöffnung um mehr als das Fünffache. Bis zu 93 Prozent der Wetteinsätze könnten zudem auf regulierte Plattformen kanalisiert werden. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Beratungshauses Goldmedia („Glücksspielmarkt Deutschland 2017“).

Und nicht nur das: Nach einem Jahr, so berichtet unter anderem Focus Online, verfehlt die deutsche Glücksspielregulierung ihre hehren Absichten. „Die Regulierungsziele, die Spieleinsätze hin zu staatlich zugelassenen Angeboten zu kanalisieren, den Schwarzmarkt zu bekämpfen sowie einen bestmöglichen Spielerschutz zu gewährleisten, würden mit der neuen Glücksspielverordnung nicht erreicht“, so die Studie. 70 Prozent der deutschen Wetteinsätze verbleiben derzeit im unregulierten Markt. Allein 2012 wurde auf dem deutschen Sportwettenmarkt ein Umsatz von 6,8 Mrd. Euro erzielt, lediglich 245 Mio. Euro stammen aus staatlich regulierten Angeboten. Verlorene Umsätze aufgrund des Rückgangs am Wettmarkt, so berichtet Focus, „dürften zum Großteil in den Schwarzmarkt abwandern. Auch im Online-Markt seien deutliche Einbußen zu erwarten.“

EU-Trend: Ertragsbesteuerung und wettbewerbsfähige Steuerhöhe

Während sich Anbieter, die fernab von Europa sitzen und im Schwarzmarkt agieren, sich die Hände reiben, schauen diejenigen, die sich bereits in Schleswig-Holstein umfangreichen Lizenzierungsverfahren mit modernsten Instrumenten zu Spielerschutz und Betrugsvermeidung stellen und zudem bereit sind, in Deutschland Steuern zu zahlen, in die Röhre. Neben der Vernachlässigung von Online-Poker und Online-Casino im Glücksspielstaatsvertrag ist es auch die zugrunde liegende Besteuerung des Spieleinsatzes, die zur Blüte des unregulierten Marktes beiträgt.

„Vergleichbare Besteuerungen auf den Spieleinsatz wie in Deutschland haben etwa in Frankreich mit 7,5 Prozent Steuern auf den Spieleinsatz dazu geführt, dass nicht nur die Zahl der lizenzierten und damit regulierten Anbieter von 35 im Jahr 2011 auf 21 in 2013 gefallen ist, sondern auch die Anzahl der Spieler kontinuierlich abnimmt“, erläuterte der auf internationales Steuer- und Wirtschaftsrecht spezialisierte Claus Hambach von der Münchener Kanzlei Hambach & Hambach kürzlich auf dem World Gaming Executive Summit WGES in Barcelona (vgl. http://www.timelaw.de/cms/front_content.php?idart=870). Die meisten Regulierer und Gesetzgeber in Europa hätten unlängst erkannt, dass ein solches System nicht wettbewerbsfähig ist und nur zu einem Anwachsen des Schwarzmarktes führe. Jüngstes Beispiel sei Holland, das sich – entgegen der von Deutschland und Frankreich gewählten Einsatzbesteuerung – für die für alle Beteiligten attraktivere Ertragsbesteuerung entschieden habe. Überdies hätten die Erfahrungen in Italien und Dänemark gezeigt, dass die Ertragsbesteuerung dem regulierten Glücksspielsektor Wachstum beschere, die Einsatzbesteuerung aber den Schwarzmarkt begünstige. Und Dänemark, mit 20-prozentiger Besteuerung des Brutto-Spielertrages Vorbild für das Modell Schleswig-Holsteins, verzeichne nur noch einen Schwarzmarktanteil von mittlerweile weniger als 5 Prozent. „Damit dürfte klar sein, welche Art der Besteuerung der Kanalisierung tatsächlich dient“, so Hambach.

Ähnlich hatte sich der Münsteraner Steuerrechtler Joachim Englisch anlässlich des World Regulatory Briefings im Juni in Frankfurt geäußert. Er zweifelt nicht nur die Vereinbarkeit der Besteuerung mit dem deutschen Verfassungs- sowie dem EU-Recht an, sondern zeigte einen Gegensatz zwischen wirtschaftlich profitabler und legaler Betätigungsmöglichkeit der Anbieter auf. Sportwetten könnten derzeit in Deutschland legal online angeboten werden, aber – aufgrund der Besteuerung – in der Regel nicht profitabel; Online-Casino-Spiele oder Online-Poker könne zwar profitabel angeboten werden – weil in Schleswig-Holstein bereits Lizenzen vergeben wurden -, aber eben nicht flächendeckend legal. Hambachs Fazit: „Besteuerung und Regulierung dürfen nicht getrennt voneinander betrachtet werden. Es gibt keine sinnvolle Regulierung ohne ein sinnvolles Steuermodell.“ Für Deutschland sei es noch nicht zu spät, ein ebenso rentables wie praktikables Steuersystem zu begründen, wie die Erfahrungen der europäischen Nachbarn zeigten. Es sei auf den ersten Blick erkennbar, dass der Gesetzgeber des realitätsnahen Schleswig-Holstein-Modells zuvor einen Dialog mit erfahrenen EU-Regulierern geführt hatte, so Claus Hambach.

Wohin führt uns der Glücksspielstaatsvertrag?

Der geltende Glücksspielstaatsvertrag und mithin die Länder regulieren nur einen Teil des existenten Sportwettenmarktes und ignorieren die Online-Poker und Casino-Spiele. Die Folge liegt laut Goldmedia auf der Hand: Im Online-Markt für Sportwetten wird die fehlende Kanalisierung der neuen Glücksspielregulierung besonders deutlich. Im regulierten Online-Markt würden nämlich im Jahr 2017 nur noch 400 Mio. Euro Jahresumsatz erzielt, dem gegenüber stehen ca. 4,5 Mrd. Euro Umsatz im unregulierten Online-Markt. Damit würden die lizenzierten Angebote im Jahr 2017 lediglich 8,1 Prozent der Online-Umsätze ausmachen. Und die Steuereinnahmen der durch den Glücksspielstaatsvertrag vermeintlich begünstigten und konzessionierten Sportwettenanbieter? Auch hier schlägt das Pendel folgerichtig nicht in die erhoffte Richtung aus: Wegen sinkender Umsätze und der schwierigen Ertragsperspektive infolge der neuen Glücksspielregulierung prognostiziert Goldmedia für 2017 einen Rückgang der Steuereinnahmen von zuletzt 164 Millionen Euro auf rund 100 Mio.

Demgegenüber könnten, basierend auf dem Glücksspielgesetz von Schleswig-Holstein, sowohl Kanalisierung als auch die Steuereinnahmen positiv beeinflusst werden. Im Goldmedia-Szenario wird dazu neben der 5-prozentigen Wetteinsatzbesteuerung nach dem Rennwett- und Lotteriegesetz (RennwLottG) für Sportwetten eine 20-prozentige Besteuerung des Brutto-Spielertrages – nach Vorbild Schleswig-Holsteins – für Online-Poker und Casino-Spiele zugrunde gelegt. 93 Prozent der Wetteinsätze könnten demnach im Jahr 2017 von lizenzierten Sportwettenanbietern erwirtschaftet werden. Die Sportwetten-Steuereinnahmen hätten bei diesem Vergleichsszenario im Jahr 2017 ein Volumen von 395 Mio. Euro. Durch eine Abgabe auf Online-Casino-Spiele und Online-Poker, wie sie in Schleswig-Holstein erhoben wird, könnten die Einnahmen aus Glücksspiel im Jahr 2017 sogar auf rund 560 Mio. Euro steigen. Bei einer kumulierten Betrachtung der Jahre 2014-2017 würden den ca. 490 Mio. Euro, die aus der Sportwettensteuer bei derzeitiger Regulierung nach dem neuen Glücksspielstaatsvertrag zu erwarten sind, bis zu 2,1 Mrd. Euro Einnahmen aus Sportwettensteuer und Glücksspielabgabe gegenüber stehen.

Die Zukunft:

Das Rennen um eine sinnvolle Regulierung und Besteuerung dieser milliardenschweren E-Commerce Branche wird Deutschland – trotz eindeutig erkennbarer Signale – verlieren, wenn der deutsche Gesetzgeber nicht – wie kürzlich in Italien, Spanien, Dänemark und den Niederlanden geschehen – wettbewerbsfähige Regelungen auf den Weg bringt. Wie nah müssen die Einschläge noch kommen, damit der deutsche Gesetzgeber erkennt, dass der Glücksspielstaatsvertrag weder dem Fiskus selbst dient noch den Unternehmen und Verbrauchern?