Scotty Nguyen sorgt für Zündstoff, Harrah’s für Verwirrung

Kaum hatten die ersten amerikanischen Zuschauer die Berichterstattung zum USD 50.000-H.O.R.S.E.-Finale gesehen, tauchten auch schon die ersten negativen Äußerungen zu Scotty Nguyens Benehmen im Internet auf. In der Zusammenfassung des Finales sah man den späteren Gewinner in einem äußerst schlechten Licht. Ziemlich angetrunken bediente er sich einer vulgären Sprache und hatte es vor allem auf seinen Mitspieler Michael DeMichele abgesehen. Das bekannte und vor allem am Pokertisch verbotene F-Wort fiel immer wieder und auch so manch andere Entgleisung kam vor. So präsentierte Scotty Nguyen beispielsweise den Zuschauern seine Karten oder verlangte lautstark nach einem Cocktail.

Eine der bedenklichsten Szene war wohl aber der Fold einer relativ sicheren Gewinnerhand im Omaha-High-Low. Nguyen legte auf dem Turn A [key:card_hearts] A [key:card_clubs] 9 [key:card_diamonds] 3 [key:card_diamonds] ab und ließ Erick Lindgren, der zu diesem Zeitpunkt schon shortstacked war, den Pot kassieren. Lindgren selbst hatte Q [key:card_spades] Q [key:card_clubs] 8 [key:card_diamonds] 4 [key:card_diamonds] in der Hinterhand und das Board zeigte 3 [key:card_hearts] 7 [key:card_clubs] J [key:card_hearts] J [key:card_diamonds]. So weit, so gut mag man denken, doch Nguyen kommentierte den Fold „… das ist für meinen Jungen […]. Das mache ich nur für ihn […]. Ich hatte dich, nicht wahr, Baby?“ Beide wurden von dem gleichen Sponsor finanziert, was natürlich für allerhand Aufsehen sorgte. Ob aber nun eine Form von Collusion vorliegt oder nur Nguyens schräger Humor für diesen Ausrutscher verantwortlich war, ist schwer zu beurteilen.

Denn wie immer gibt es zwei Seiten der Medaille. Der gestandene Pro reagierte prompt auf das negative Feedback nach der Austrahlung und entschuldigte sich in einem Kommetar beim CardPlayer bei seinen Fans. Viele seiner „Begründungen“ in diesem offenen Brief sind durchaus verständlich. Die Wichtigste ist wohl, dass ESPN gezielt die pikanten Szenen zusammengeschnitten hat. Wie bei allen TV-Übertragungen sind die Ereignisse möglichst kompakt gehalten. So wurde das fast 14-stündige Finale auf nicht einmal zwei Stunden geschnitten. Und natürlich locken Entgleisungen wie die von Nguyen deutlich mehr Zuschauer an die Bildschirme.

Der Pro selbst bestreitet im Übrigen, betrunken gewesen zu sein und behauptet, dass der Umstand, dass viele seiner bestellten Biere bereits abgeräumt wurden, bevor sie geleert waren, nicht im Fernsehen gezeigt wurde. Doch Nguyen geht noch weiter und wundert sich über die großflächige Empörung: „Jedes Mal, wenn ich im Fernsehen zu sehen bin, bringe ich Freude und Spannung in das Pokerspiel und ihr alle wisst, wenn Scotty Nguyen im TV ist, bleiben eure Augen am Fernseher hängen. Warum? Weil es unterhaltsam ist und ihr nicht umschalten wollt.“ – Verteufeln nun genau die Leute ihr Idol, die ihn selbst jahrelang unterstützt und genau wegen seines Auftretens bejubelt haben?

Wie es sich nun exakt zugetragen hat, wissen nur die Anwesenden und auch diese Erinnerungen sind getrübt durch eigene Empfindungen. Als reaktiv sicher gilt, dass Michael DeMichele den Unmut Nguyens auf sich zog, als er sich nach einer gewonnenen Hand vor seinen Fans verbeugte und etwas zu übermütig gab. Nguyen gibt an, dass er beim Main Event 2007 den Fehler gemacht hat und aufgrund einiger Spieleräußerungen innerlich so angefressen war, dass er sein A-Game verloren hat. Dies hat ihn das Turnier gekostet und so etwas sollte ihm nicht noch einmal passieren. Also ging er bei dem H.O.R.S.E.-Event in die Offensive und der ohnehin redselige Nguyen schaltete einige Gänge hoch und ließ DeMichele seinen ganzen Frust spüren.

Wie sehr der Alkohol Nguyen beeinträchtigt hat, weiß nur er selbst und mit der Vorbildfunktion ist es beim Poker so eine Sache. Pokersport ist für Erwachsene und dass ein Spieler eine Vorbildfunktion für Kinder erfüllen kann und soll, bleibt zu bezweifeln. Sein Alkoholkonsum hat seinem Spiel sicher geschadet, aber nicht so sehr, dass er nicht doch das wohl schwerste Turnier für sich entscheiden konnte. Dass sein Image Schaden genommen hat, ist nun sein Problem. Jeder muss für sich selbst ein Fazit ziehen und ob Nguyen nun in der Beliebtheitswertung nach unten rutscht, bleibt für die Pokerwelt wohl nur kurzzeitig von Interesse. Selbst die Ironie, dass er der erste Spieler war, der den Chip Reese Award in Empfang nehmen durfte – Reese war bekannt für seine zurückhaltende Art und sein sehr gutes Benehmen am Pokertisch und auch abseits davon – wird mit der Zeit verlorengehen.

Viel interessanter und vor allem langlebiger ist hingegen die Tatsache, dass Harrah’s es nicht geschafft hat, den wilden „Trunkenbold“ im Zaum zu halten. Damit kommen wir auch zum Kern des Problems, denn der Veranstalter der World Series of Poker hat sich nicht nur bei diesem Event etwas sonderbar präsentiert. So gab es beispielsweise eine nette Anekdote, die Brian Micon widerfuhr. Der Internet-Pro fand sich in einer Hand gegen Phil Hellmuth wieder. Ein Mitspieler beschwerte sich beim Floorman, da Hellmuth mit dem Handy telefonierte. Seine Hand hätte für tot erklärt werden müssen, doch der Floorman sah keinen Grund dafür und erklärte die Hand für gültig. Micon schaltete sich ein und verwies auf die offiziellen Regeln der WSOP. Die Diskussion wurde hitziger und Hellmuth reagierte mit dem F-Wort („Stop f****** complaining“), wofür Micon ebenfalls eine Strafe forderte. Hellmuth kam mit einer Verwarnung davon, die Hand blieb gültig und Micon hakte später nach.

Das Problem war eine Änderung im Regelwerk, was jedoch nicht allen Spielern bekannt sein konnte. Die Regeln, ohnehin schon nicht einfach auf der offiziellen Website zu finden, wurden kurzfristig geändert und niemals der breiten Öffentlichkeit zugängig gemacht. Ironischerweise waren einige Topspieler bei einem der Meetings betreffenden der Regeln mit anwesend, so auch Phil Hellmuth höchstpersönlich.

Aber auch sonst gab es Probleme mit den Regeln und deren Auslegung. Oft wurde bei den „Big Names“ ein Auge zugedrückt, die unbekannten Spieler dagegen oft rigoros bestraft. In einem anderen Fall wurde im Main Event eine bereits ausgesprochene Strafe über Nacht zurückgenommen bzw. in eine Verwarnung verwandelt, nur weil sich der betroffene und bekannte Spieler – wieder ging es um Phil Hellmuth – laut genug beklagte. In einem offziellen Statement von Jeffrey Pollack hieß es: „In diesem Fall stand die Strafe nicht im richtigen Verhältnis zur Tat.“ Da fragt man sich, ob es geringere Strafen als eine Runde aussetzen überhaupt gibt?

Bei Nguyen und der Geschichte am Final Table des H.O.R.S.E.-Events wurden sogar mehr als nur ein Auge zugedrückt. Keine Strafe wurde verhängt, kein Floorman bemühte sich um Deeskalation oder versuchte Scotty Nguyen in die Schranken zu weisen. Werden die Topspieler bevorzugt behandelt, weil man sich das Geschäft nicht vermiesen lassen will? Glaubt man durch softe Auslegung der Regeln, die Stars bei Laune halten zu können und somit TV-Rechte umso teurer veräußern zu können? Oder will man hier Äpfel mit Birnen vergleichen und sieht eine Ungleichbehandlung wo keine ist?

WSOP-Turnierdirektor Jack Effel ist derzeit im Urlaub und kann keine Stellung zu den Vorfällen nehmen. Harrah’s reagierte und ließ verlauten: „Alle Spieler bei der WSOP müssen sich angemessen benehmen. Wir haben hier offensichtlich noch einiges an Arbeit vor uns. Mit diesem Gedanken findet bereits seit Ende der WSOP ein Prozess zur Überarbeitung der Regeln über Spielerverhalten und das Durchsetzen dieser statt. Zu diesem Thema werden wir noch vor dem Start der WSOP 2009 etwas Handfestes vorlegen können.“
Es bleibt somit nur abzuwarten, ob diese Ziele wirklich ernst gemeint sind und durchgesetzt werden. Wünschenswert ist vor allem ein transparentes Regelwerk, das sowohl im Internet als auch direkt vor Ort für jeden zugänglich ist, sowie eine klare Auslegung der Regeln und keine Sonderbehandlung für bekannte Spieler. Denn jeder zahlt die gleichen Gebühren.