Politiker und Juristen kritisieren „Scheinliberalisierung“ – Neues Glücksspielgesetz verstößt gegen Verfassungs- und Europarecht

Von Ansgar Lange

Kiel, Juni 2011 – Die christlich-liberale Koalition in Schleswig-Holstein kämpft weiter für eine echte Liberalisierung der Glücksspielgesetzgebung. Erst vor kurzem sagte der Vorsitzende der FDP-Landtagsfraktion (http://www.fdp-sh.de), Wolfgang Kubicki, im Kieler Landtag, dass der Glücksspielstaatsvertrag aus mehreren Gründen nicht mit dem EU-Recht zu vereinbaren sei. Der augenfälligste Verstoß zeige sich bei der Beschränkung der Konzessionen im Sportwettenbereich. „Die Beschränkung der Zahl von sieben bundesweiten Konzessionen ist willkürlich und verfassungsrechtlich wie europarechtlich höchst problematisch“, so der studierte Volkswirt und Jurist. „Betroffen sind die im Grundgesetz verbriefte Berufsfreiheit, das Recht auf Eigentum, die allgemeine Handlungsfreiheit, die Medienfreiheit und das Gleichbehandlungsgebot. Europarechtlich beschränkt der häufig zitierte ‚E 15’ die Dienstleistungsfreiheiten und die Niederlassungsfreiheit.“

Der von der Ministerpräsidentenkonferenz vorgelegte Entwurf eines neuen Glücksspielstaatsvertrags überzeugt die Kieler Koalition keineswegs. Kubicki begründet diese Haltung damit, „dass der Gesetzentwurf nur scheinbar eine Liberalisierung vorschreibt, in Wirklichkeit jedoch weiterhin das Sportwettenmonopol realwirtschaftlich bevorzugt und Marktwirtschaft und Wettbewerb verhindert“. Der liberale Politiker hält auch nichts von den Beschränkungen bei den Live-Wetten, die den Unternehmen nach den Plänen der Ministerpräsidentenkonferenz auferlegt werden sollen, zumal die Sportwettenanbieter dargelegt haben, dass etwa 60 Prozent ihrer Einnahmen aus dem Live-Wetten-Bereich stammen. Nach dem Entwurf des Glücksspielstaatsvertrages soll es ihnen nur erlaubt sein, Live-Wetten auf Endergebnisse anzubieten.

Kubicki bringt ein Beispiel, um die Unsinnigkeit dieses Vorgehens plastisch zu illustrieren: „Stellen Sie sich vor, Deutschland stünde im Halbfinale der Fußball-Europameisterschaft im kommenden Jahr in Polen und Ukraine. Und Sie würden gerne darauf tippen, dass Deutschland im Elfmeterschießen weiterkommt, dann dürften Sie das nicht, weil es nur erlaubt wäre, auf das Endergebnis nach 90 Minuten zu tippen und nicht auf jenes nach 120 Minuten.“

Laut Kubicki spricht gegen den Entwurf des Glücksspielstaatsvertrags aber vor allem, dass eine Konzessionsabgabe von 16,66 Prozent auf den Spieleinsatz vorgesehen ist. Dadurch werde es nicht gelingen, den bestehenden Graumarkt auszutrocknen und das dort stattfindende Spiel in legale Quellen nach Deutschland zu kanalisieren und umzuleiten. Durch eine Abgabe von 16,66 Prozent, so Kubicki, wären die Sportwettenanbieter gezwungen, eine solch schlechte Quote anzubieten, dass eine effektive Austrocknung des Graumarktes nicht mehr erfolgen könnte: „Frankreich ist vor Jahren mit einem ähnlichen Versuch gestartet. Frankreich hat damals eine Konzessionsabgabe in Höhe von 7,5 Prozent auf den Spieleinsatz verlangt und konnte im Ergebnis nur 20 Prozent des bestehenden Graumarktes kanalisieren.“ Beim Lotto habe eine solch hohe Konzessionsabgabe auch nur deshalb einen entsprechenden Erfolg, weil die Ausschüttungsquote bei niedrigen 50 Prozent liege. Zum Vergleich: Sportwettenanbieter erreichen eine Ausschüttungsquote von 90 (!) Prozent.

Die Kieler Regierungspartner sind trotz ihrer Kritik an den Ergebnissen der Ministerpräsidentenkonferenz weiterhin an einer gemeinsamen bundeseinheitlichen Lösung interessiert. „Sollte es dazu nicht kommen, wäre das der Genickbruch für die Kohärenz des Glücksspiels in Deutschland“, sagt der Münchner Rechtsanwalt Dr. Wulf Hambach (http://www.timelaw.de). „Es ist ja auch nicht auszuschließen, dass sich noch andere Länder der Lösung aus Kiel anschließen, weil sie zum Beispiel registrieren, dass ein liberalisierter Markt nach dem schleswig-holsteinischen Modell selbstverständlich keine geringeren Einnahmen für die öffentlichen Haushalte bedeutet, sondern eher das Gegenteil.“ Der Europäische Gerichtshof hatte in seinem Urteil vom September vergangenen Jahres aber gerade eine kohärente Gesetzgebung hinsichtlich des Glücksspiels in Deutschland gefordert.

Hans-Jörn Arp (http://www.hans-joern-arp.de), stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU in Kiel und Beauftragter der Landesregierung für den Mittelstand Schleswig-Holsteins, unterstützt den gemeinsamen Kurs mit dem liberalen Koalitionspartner. „Wir werden weiter unseren eigenen Weg gehen und nicht davon abkommen“, so Arp. Andere Bundesländer würden sich den Plänen Schleswig-Holsteins hoffentlich noch anschließen. Die bisherigen Pläne für eine Öffnung des Sportwettenmarktes würden scheitern. Zwar sei es wichtig und richtig, dass sich die Ministerpräsidenten in der Frage der Marktöffnung bewegt hätten, jedoch seien die jetzt präsentierten Pläne europarechtlich nicht haltbar. „Die Begrenzung auf sieben Konzessionen ist diskriminierend“, erklärte Arp. Genauso gut könne man acht Konzessionen vergeben.

„Uns war immer daran gelegen, eine gemeinsame Lösung mit den anderen Bundesländern zu finden. Zurzeit nehmen wir ganz erhebliche Überlegungen in den anderen Bundesländern wahr. Wir halten deshalb die Tür für eine gemeinsame Lösung offen“, ergänzt FDP-Fraktionschef Kubicki.

Der Staatsrechtler Professor Friedhelm Hufen (http://www.jura.uni-mainz.de/hufen) von der Mainzer Universität hat ebenfalls „gravierende, verfassungsrechtliche Bedenken“ gegenüber dem Entwurf eines neuen Staatsvertrags. Der Jurist rät den Ministerpräsidenten in einem Vorgutachten für die Spitzenverbände der Deutschen Automatenwirtschaft, „die geplanten Maßnahmen nochmals zu überdenken und dabei die verfassungsrechtlichen Maßstäbe und Grenzen besser als bisher in den Blick zu nehmen“. Es sei überdies fraglich, ob der Staat überhaupt berechtigt sei, in wichtige Grundrechte einzugreifen, um erwachsenen Menschen vor sich selbst zu schützen.