Binnengrenzüberschreitende Vermittlung von Sportwetten nicht strafbar

Rechtsanwalt Martin Arendts, M.B.L.-HSG

Arendts Rechtsanwälte
Perlacher Str. 68
D - 82031 Grünwald (bei München)
Konflikt zwischen Strafgerichten und Verwaltungsgerichten?

Zwischen den Verwaltungsgerichten und Strafgerichten bahnt sich ein Meinungsstreit an. Während das Oberlandesgericht (OLG) München – wie berichtet (Sportwettenrecht aktuell Nr. 45) – mit Revisionsurteil vom 26. September 2006 die Straflosigkeit der Vermittlung von Sportwetten nach der derzeitigen Sach- und Rechtslage bestätigt hat (Az. 5 St RR 115/05), meint der Bayerische Verwaltungsgerichthof (BayVGH), sich an diese strafrechtliche Beurteilung nicht halten zu müssen (Beschluss vom 4. Oktober 2006, Az. 24 CS 06.2229).

Der BayVGH meint zum Einen, dass die strafrechtliche Entscheidung nur einen „konkreten Einzelfall“ betroffen habe. Er verkennt damit die Bedeutung dieser fundiert begründeten Entscheidung, in der sich das OLG mit der bisherigen strafrechtlichen Rechtsprechung des Bayerischen Obersten Landesgerichts auseinander gesetzt und diese aufgrund der europarechtlichen Rechtslage nach dem Gambelli-Urteil des Europäischen Gerichtshofs ausdrücklich als überholt aufgegeben hat. In zahlreichen Parallelfällen erfolgen inzwischen Freisprüche und Verfahrenseinstellungen.

Zum Anderen meint der BayVGH, dass das Revisionsurteil des OLG München nur „Altfälle“ vor der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2006 betroffen habe. Dies wird von den Strafgerichten und Staatsanwaltschaften anders gesehen. Wie im Newsletter „Sportwettenrecht aktuell“ Nr. 48 berichtet, sind auch in mehreren „neuen“ Fällen strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen Sportwetten-Vermittler unter ausdrücklicher Bezugnahme auf das Urteil des OLG München eingestellt worden. Im Übrigen wurden zwischenzeitlich in Bayern mehrere gegen Wettannahmestellen ergangene Beschlagnahmebeschlüsse aufgehoben.

Nicht haltbar ist die Rechtsauffassung des BayVGH angesichts der Urteilsbegründung des OLG. Das OLG stellt in dem Urteil vom 26. September 2006 mehrfach klar, dass die derzeitige Sach- und Rechtslage nicht mit Europarecht zu vereinbaren ist und dass sich diese Einschätzung sehr wohl auch auf „neue“ Fälle nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bezieht:

§ „Die gemeinschafts- und verfassungsrechtlichen Voraussetzungen einer an sich möglichen Beschränkung der Dienstleistungs- und Berufsfreiheit sind auf der Grundlage der derzeit im Freistaat Bayern bestehenden Rechtslage nicht gegeben.“

§ „Auf der Grundlage der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 6.11.2003 in der Rechtssache Gambelli (aaO) in Verbindung mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28.3.2006 (aaO) ist nach der derzeit im Freistaat Bayern herrschenden Rechtslage davon auszugehen, dass die Auffassung des Amtsgerichts, wonach als behördliche Erlaubnis im Sinne des § 284 StGB auch eine Lizenz für die Tätigkeit eines Buchmachers anzusehen sei, die einem Zentralveranstalter (Buchmacher) mit Sitz in einem Mitgliedsstaat der Gemeinschaft nach dem Recht seines Mitgliedstaats erteilt wurde, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.“

§ „Eine nationale Regelung, die – wie Art. 2 und 3 des Bayerischen Staatslotteriegesetzes – die Veranstaltung und Vermittlung von Lotterien und Wetten ausschließlich dem Staat vorbehält, so dass eine gewerbliche Veranstaltung von Wetten durch private Wettunternehmen sowie die Vermittlung von Wetten, die nicht vom Freistaat Bayern veranstaltet werden, ausgeschlossen sind, stellt somit eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs gemäß Art. 43 und 49 EG dar. (…) Im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28.3.2006 (NJW 2006, 1261 ff.) ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt davon auszugehen, dass Art. 2 und 3 des Bayerischen Staatslotteriegesetzes vom 29.4.1999 nicht nur mit Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes unvereinbar sind, sondern vor allem – jedenfalls derzeit – gegen Art.43 und 49 EG verstoßen, weil die hierin liegenden Beschränkungen der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit weder aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt noch geeignet waren, die Verwirklichung der mit ihnen verfolgten Ziele zu gewährleisten.“

§ „Die Unvereinbarkeitserklärung des Bundesverfassungsgerichts beruht nicht nur auf der Feststellung eines Regelungsdefizits, sondern auch auf Feststellungen zur tatsächlichen Ausgestaltung des staatlichen Wettmonopols. Beide Feststellungen betreffen und begründen die Voraussetzungen eines gemeinschaftsrechtlichen Anwendungsvorrangs für den Freistaat Bayern. Wenn nach Maßgabe der Gründe der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28.3.2006 die Anforderungen des deutschen Verfassungsrechts parallel zu den vom Europäischen Gerichtshof zum Gemeinschaftsrecht formulierten Vorgaben laufen und daher die Vorgaben des Gemeinschaftsrechts denen des Grundgesetzes entsprechen (BVerfGE Rn.144), dann verstoßen die hier in Rede stehenden Vorschriften des Bayerischen Staatslotteriegesetzes in ihrer derzeitigen Ausgestaltung eindeutig gegen Art. 43 und 49 EG.

§ „Dementsprechend ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Amtsgericht zum gegenwärtigen Zeitpunkt davon ausgeht, dass die der Firma U. Ltd. in Großbritannien erteilte Erlaubnis, die Tätigkeit eines Buchmachers zu betreiben, ihre Wirksamkeit auch auf dem Gebiet des Freistaats Bayern entfaltet mit der Folge, dass die vom Angeklagten vorgenommene Vermittlung von Sportwetten im Rahmen der von ihm betriebenen Annahmestelle nicht „ohne behördliche Erlaubnis“ erfolgte und damit nicht unter § 284 Abs.1 StGB fällt.“

Bis zu einer grundlegenden verfassungs- und gemeinschaftsrechtskonformen gesetzlichen Neuregelung ist daher von der Straflosigkeit der binnengrenzüberschreitenden Vermittlung von Sportwetten an in einem anderen EU-Mitgliedstaat staatlich zugelassenen und dort laufend behördlich überwachten Buchmacher auszugehen.

Im Übrigen sind entgegen der unzutreffenden Darstellung des BayVGH bislang keine hinreichenden Maßnahmen ergriffen wurden, um den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zu genügen, wie etwa Jugendschutz zu gewährleisten und die Werbung für das staatliche Wett- und Glücksspielangebot einzuschränken (wofür der Freistaat Bayern nach den Gründsätzen des Lindman-Urteils des EuGH darglegungs- und beweispflichtig wäre). Bei mehreren Tests konnten in ca. 80% der Fälle Minderjährige in den Annahmestellen für das staatliche Angebot (mehr als 4.000 in Bayern) Wetten abgeben (vgl. Sportwettenrecht aktuell Nr. 39). Die Werbeausgaben für das staatliche Angebot „ODDSET“ wurden im Zeitraum April bis Juli 2006 im Vergleich zum Vorjahr – entgegen den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts – um mehr als 70% gesteigert (Nielsen Media Research GmbH). Der Freistaat Bayern als Träger der Behörde Staatliche Lotterieverwaltung (Aufsicht bezeichnenderweise durch das Finanzministerium) verhält sich damit klar gemeinschaftsrechts- und verfassungswidrig. Konsequent ist Bayern nur bei der Verfolgung privater Anbieter, um das eigene unattraktive Angebot zu schützen.