Einer wie „Keiner“ in Vegas

Michael Keiner
Poker-Experte
E-Mail: laserase@aol.com


Impressionen von der World Series of Poker 2006 Teil 1

Es ist wieder soweit. Die World Series of Poker hat ihre Pforten weit geöffnet und wie so viele Gleichgesinnte kann ich dem Lockruf nicht widerstehen und werde in den kommenden Wochen erneut meinen Träumen von dem Gewinn eines Bracelets nachjagen, das mich endgültig in den Adelsstand der Pokerwelt erheben soll. Fast ein wenig wehmütig denke ich an die Zeiten vor Beginn des Pokerbooms zurück, als bei den meisten Turnieren die Zahl von 200 Teilnehmern eine Art Schallmauer darstellte, die selten überschritten werden sollte.

Die ersten paar Tage der Weltmeisterschaft musste ich noch aus der Ferne vom heimischen Europa aus verfolgen, eine Einladung, auf dem World Poker Congress Ende Juni in Stockholm einen Vortrag vor dem Topmanagement der weltweiten Pokerindustrie zu halten, verhinderte meine Abreise in die USA vor dem 2. Juli. Während ich also mitten in den letzten Reisevorbereitungen stecke, erreichen mich schon rekordverdächtige Zahlen über das Teilnehmerfeld. Über 2.700 Pokerbegeisterte nahmen schon am 27. Juni am 1.500 US$ No Limit Holdem Turnier teil. Unglaublich, wie sich die Szene in den vergangenen 3 Jahren entwickelt hat. Neben der alten Garde an bekannten Gesichtern findet man jede Menge Newcomer, die sich mit ein paar Monaten guten Laufes beim Online-Poker eine ansehnliche Bankroll aufbauen konnten und jetzt mit vor Stolz geschwellter Brust als Beruf „professioneller Pokerspieler“ angeben. Ein Großteil wird in 12 Monaten aufgrund einer negativen Cash Flow Entwicklung wieder von der Bühne verschwunden sein, ein kleinerer Teil wird sich mehr schlecht als recht durch die nächsten Jahre schlagen und ein sehr geringer Prozentsatz wird als Shooting Star in den Olymp der Pokerwelt aufsteigen. Aber wer behauptet schon, dass es leicht ist, als Pokerprofi seinen Lebensunterhalt zu verdienen?

Am 2. Juli geht es per Direktflug in einer komplett ausgebuchten Maschine von Frankfurt/Main nach Las Vegas. Neben etlichen bekannten Vertretern der deutschsprachigen Pokerwelt sind auch jede Menge „normale“ Touristen an Bord. Was in aller Welt treibt einen Menschen dazu an, Las Vegas im Hochsommer zu besuchen? Temperaturen bis 50° C sind keine Seltenheit und die Hotelpreise sind auch kaum niedriger als beispielsweise im März oder April. Aber „Sin City“ löst mittlerweile wohl eine jahreszeitenlose Anziehungskraft auf Abenteuerlustige aus aller Welt aus.

Nach 11 ½ Stunden Flug, bei dem ich aufgrund der beengten Platzverhältnisse kein Auge zumachen konnte, betrete ich doch ziemlich ausgepowert amerikanischen Boden. Und gleich werde ich mit einem Phänomen konfrontiert, dass in den USA ständig gewaltigere Ausmaße annimmt: Die Bürokratie wächst ins Unermessliche; 90 Minuten Wartezeit bei der Einreisekontrolle, 60 Minuten beim Mietwagenbüro, obwohl ich das Auto schon in Deutschland reserviert hatte und noch mal 60 Minuten, bis alle Formalitäten zum Bezug meines gemieteten Appartements erledigt sind. Der Gesamtaufwand für alle Aktivitäten lag vor 3 Jahren noch unter 1 Stunde.

Der Austragungsort

Nachdem ich mich einigermaßen häuslich eingerichtet hatte, zog es mich dann doch ins RIO Hotel und Casino, um der WSOP Location einen Besuch abzustatten. Alle Events werden im zum Kongreßzentrum gehörigen „Amazon Room“ ausgetragen, ein Saal, der leicht 1 ½ Fußballfelder überdachen könnte. Schon auf dem Weg dorthin sehe ich in zahlreichen Nebenräumen die Hospitality Suites der großen Online-Provider, die mit den verschiedensten Events wie Pokerseminaren, Autogrammstunden von Stars und Sternchen, sowie allerlei kostenlosen Überraschungen die Aufmerksamkeit der Gäste erringen wollen.

Die Flure sind gesäumt von Ständen der Pokerindustrie. Neben den Anbietern kleinerer Websites, die sich nicht unbedingt die Miete einer VIP Suite für 6 Wochen leisten wollen oder können, findet man Stände für „Pokerfashion“, von der standesgemäßen Sonnenbrille bis zum Stringtanga, der mit der Floskel „I’ve got the nuts, babe“ bedruckt ist, findet man alles Mögliche und Unmögliche. Selbst ein Vertreter eines riesigen Apartmentkomplexes in Toplage versucht, den Gewinnern der Turniere die umgehende Investition ihrer sechs- bis siebenstelligen Preisgelder in seine Apartments zu suggerieren. In unübersehbarer Lage direkt in der Nähe des Haupteinganges findet man sogar den Werbestand eines Strip- bzw. Gentlemanclubs. Die informative Botschaft dieses Standes wird allerdings weitgehend durch die in vorderster Front postierten jungen Damen verdeckt, die durch die bildliche Darstellung ihrer Reize den potentiellen Kunden darauf aufmerksam machen wollen, was ihn beim Besuch des besagten Clubs erwarten wird.

Der Amazon Room selbst umfasst 205 Pokertische, übersichtlich eingeteilt nach Bereichen für Cashgames, one table Satellites und den jeweils laufenden Turnieren. Zentral im hinteren Bereich des Saales, etwas erhöht und auf einem schwarzen Podest, der Finaltisch für die einzelnen Bewerbe. Bei der Ausstattung wurde streng nach den Vorgaben des exklusiven WSOP Fernsehsenders ESPN gearbeitet und der gesamte Bereich, eingezäunt von Zuschauertribünen, erinnert wesentlich mehr an ein Fernsehstudio als an einen Pokerraum. Jeder einzelne der 205 Pokertische ist bedruckt mit dem Emblem des weltweit größten Onlineanbieters, der hierfür die gigantische Summe von 50 Millionen US$ für die nächsten 5 Jahre an die Harrah’s Gruppe bezahlt haben soll. Ebenso unübersehbar ist der Hauptsponsor der WSOP im Saal an jeder Wand und an der Decke platziert. Eine große Brauerei aus Tennessee hat quasi die Schirmherrschaft übernommen und eine ähnliche hohe Summe wie der genannte Onlineanbieter bezahlt. Bei diesen astronomischen Beträgen sollte man eigentlich glauben, dass Harrah’s zumindest einen kleinen Teil des Kuchens an die Hauptakteure, nämlich die Pokerspieler abgeben würde. Weit gefehlt!

Im Gegenteil, von jedem einzelnen Event, insgesamt alleine über 40 verschiedene Weltmeisterturniere, wird vorweg ein Anteil von 9 als bescheidene Gebühr einbehalten. Na gut, beim Hauptevent, dem 10,000 US$ buy-in No Limit Holdem Turnier sind es nur 8 und beim prestigeträchtigsten Turnier, dem H.O.R.S.E, das einem Teilnehmer 50,000 US$ an Startgeld abverlangte, wurde der Hausanteil auf 6 % reduziert. Nicht nur vereinzelt machte das Schlagwort „Abzocke“ die Runde. Angesichts derart gigantischer Einnahmen könnte man prinzipiell davon ausgehen, dass zumindest die Angestellten, wie die enorme Zahl an Dealern, Floormen etc. fürstlich entlohnt würden, aber auch dies stellte sich schnell als Trugschluss heraus. Die Dealer durften erstmals in diesem Jahr noch nicht einmal ihr persönliches Trinkgeld behalten, sondern mussten alles in einen großen Topf werfen, der dann nach relativ undurchsichtigen Kriterien an alle verteilt wurde. In den ersten beiden Wochen sind dann bis zu 200 Dealer einfach nicht mehr zur Arbeit erschienen und die Parole Streik machte die Runde. Die verbliebenen Dealer mussten bis zum Umfallen unter horrender Überstundenbelastung arbeiten, was sich logischerweise in einem spürbaren Absinken der Arbeitsqualität bemerkbar machte. Aber angesichts weiterhin steigender Spielerzahlen wird Harrah’s kaum zum Umdenken in Sachen Profitmaximierung gezwungen werden können.

(In Teil 2 dieser Miniserie werde ich mich intensiver mit den einzelnen WSOP Turnieren auseinandersetzen. Der vorliegende Artikel ist in Printform auch im deutschen Pokermagazin nachzulesen.)

Euer Michael