Las Vegas – Eine Krake die den „Wal“ verschlingt: Kapitel 4 – Die Feinabstimmung des Konzeptes

Reinhold Schmitt
ISA-GUIDE Chefredakteur (V.i.S.d.P.)
E-Mail: info@isa-guide.de


Steve Cyr hatte den Grundstein seiner Karriere gelegt. Er war jetzt „VIP Supervisor“ im Desert Inn, zuständig für die Kundenbetreuung der Super-Highrollers, der Wale.

Ihm stand eine ganze Armee Casino Hosts und Assistentinnen, sowie eine Flotte Limousinen zur Verfügung, um den Top-Spielern einen maximalen Service bieten zu können.
 Doch selbst ein Casino Executive Mitglied wie Steve Cyr stößt gelegentlich an Grenzen – und diese Probleme musste er aus dem Weg räumen. So ging es zum Beispiel um Tischreservierungen in den Luxusrestaurants oder die Verfügbarkeit von Suiten, die an einem Freitagabend zwar reserviert waren, aber dann doch nicht benutzt wurden. Zu Beginn war es sehr schwierig für Steve Cyr, einen Tisch an einem Freitag Abend, für 8 Uhr im Monte Carlo Room (Top Restaurant im Desert Inn) zu bekommen. Teezeiten auf dem Golfplatz am Samstag 9 Uhr? Unmöglich! War alles ausgebucht. Doch für Wale ist nichts unmöglich, da muss auf einmal alles möglich werden. Hier ging es nun um Cyrs Verhandlungsgeschick und wie er sich mit den entsprechenden Abteilungen zu arrangieren verstand. Steve Cyr war absolut kompromisslos. Er bestand darauf, dass künftig in den Top-Restaurants ein Kontingent Tische stets frei bleiben musste für die Eventualität, dass ein VIP-Gast zu dinieren wünschte. Dasselbe für die
Golfplatz-Start-Reservierungen. Die Tee-Off-Zeiten morgens am Wochenende mussten mit extra großen Abständen getätigt werden, damit gegebenenfalls in letzter Minute noch einige Partien dazwischen geschoben werden konnten.

Ein weiterer wichtiger Punkt war die Verfügbarkeit von Suiten und Luxus-zimmern, selbst an Wochenenden, an denen das Hotel offiziell als 100% ausgebucht deklariert war. Das Casino behielt stets ganze “Blocks” frei für Spieler, doch vermietete es die ungenutzten Suiten häufig in letzter Minute doch noch an zahlende Gäste. So kam es gelegentlich vor, dass ein Superzocker keine Suite bekommen konnte, obwohl sein Spiel hoch genug war, um sich für eine Suite zu qualifizieren. Solche Probleme durfte es in Zukunft nicht mehr geben. 
Das Desert Inn war Steve Cyrs Sprungbrett, und nicht seine letzte Station. Hier lernte er sein nötiges Handwerkszeug, die verschiedenen Abläufe im High Limit Pit, den Zusammenhang von Spielerkapital (Bankroll) und den Vergünstigungen (Complimentaries). Er begann zu verstehen, wie die verschiedenen Faktoren, wie Casino, Hotel, Limousine-Service, Golfplatz usw. zu einer Einheit verschmolzen und nur gemeinsam funktionieren konnten. Natürlich lernte er auch von den langjährigen Casino Hosts ständig neue Dinge dazu. Ein guter Host ist für einen Großzocker, während dessen Aufenthaltes in Las Vegas, wie ein Freund und naher Bekannter. Er spielt mit ihm Golf, wenn dies gewünscht wird, oder geht mit ihm dinieren. Entsprechend muss ein Casino Host stets Top gekleidet sein. Maßgeschneiderte Anzüge, Schuhe aus Italien, ein tadelloser Haarschnitt und sonnengebräuntes Gesicht waren die Standesmerkmale eines erfolgreichen Casino Hosts.

Das Desert Inn war Steves erste Station auf dem Weg nach oben. Ein Jahr später arbeitete Steve Cyr im Caesars Palace. Steve musste eingestehen, dass er mit dem alteingesessenen Clan im Desert Inn (fast alle Hosts waren langjährige Angestellte, um die 50 Jahre alt, und kannten sich gegenseitig wie eine Familie) keine Chance hatte, auf Dauer zu konkurrieren. Also wechselte er nach einem Vorstellungsgespräch zu Caesars. Zu einer Zeit in der es noch keine Slot- oder Players-Clubs gab. Ein effektives und eiskalt kalkulierbares Spieler-Rating System wie die Casinos es heute kennen, gab es noch nicht. Aber Steve wusste, dass hier sehr viel Potential war, einen neuen Kundenstamm zu akquirieren, insbesondere im High Limit Slot-Bereich. Und hier war die Diskrepanz am größten. Während alle “Oldtimers” in den Slot-Spielern eine eher unbedeutende Horde Zocker sahen, waren diese in den Augen Steve Cyrs die wahren Geldesel. In seinen Augen müsste man ihnen alles bezahlen, Hotelzimmer, Restaurants usw. Doch seine Bosse sahen das anders. Sie argumentierten, dass nur die High Limit Spieler aus dem Casino Pit, also den Tischspielen, Aufmerksamkeit verdienten und dass die Slot-Spieler unerheblich wären.

Das Desert Inn Hotel and Casino in den 70ern. (Foto: Las Vegas News Agency)
Das Desert Inn Hotel and Casino in den 70ern. (Foto: Las Vegas News Agency)
„Wie irrsinnig!“ dachte Cyr. Während Spielautomaten den größten Teil des Profits eines Casinos generieren und im Vergleich zu den Tischspielen nahezu keine Personal- und Wartungskosten haben, schenkt man den Spielern die diese Maschinen füttern quasi keine Beachtung. Viele dieser Slot-Spieler wussten nicht einmal dass es so etwas wie einen Casino Host, der einen zu Restaurantbesuchen einladen oder die Bezahlung des Hotelzimmers durch das Casino autorisieren konnte, überhaupt gibt. Und die Casino Bosse der „alten Schule“ hatten eben eine andere Auffassung und gaben ihm keinerlei Handlungsspielraum in dieser Angelegenheit.

In Las Vegas dreht sich alles um eines, nämlich darum, wen man kennt und um den richtigen Zeitpunkt. Einer jener Casino Hosts der alten Schule, mit denen sich Steve Cyr gut verstand, teilte seine Meinung, dass die Slot-Spieler mindestens denselben Respekt verdienet haben wie ein Black Jack Spieler. Und das war auch nur logisch! Während ein Videopoker Spieler an einer 25 Dollar Maschine bestenfalls vielleicht 20.000 Dollar gewinnen kann, so ist das Gewinnpotential, und somit der Risikofaktor beim Black Jack viel höher!

Dank neuer Bekanntschaften wie Guy Hudson, einem anderen Casino Host im Caesars Palace mit höherer Authorisations-Stufe, konnte Steve gewisse Dinge ändern. Nun war es ihm möglich auch einen Slot Spieler anzusprechen und ihn ins Restaurant einzuladen. Oder beispielsweise zu fragen: “Hey, wo wohnen Sie eigentlich? Nicht bei uns? Sie sollten dringend auschecken gehen und ihre Koffer zu uns herüberschaffen. Gemessen an Ihrem Spiel-Level kann ich ihnen ein Zimmer offerieren und Sie müssen keinen Cent bezahlen. Na, wie klingt das?”

Oder folgendes Erlebnis: Eines Tages wurde Steve Cyr von einer Kassiererin informiert, ein Gast hätte gerade 5.000 Dollar gewechselt, alles in 5 Dollar Tokens. Ein Telefonat von Cyr an Guy Hudson und dieser autorisierte sofort eine Tischreservierung im Bachanal Restaurant, einer der Top Adressen bei Caesars. Steve war voll in Fahrt, als er sich bei jenem Spieler vorstellte und ihm die Offerte machte, die “Rainman Suite”, wo die Dreharbeiten für den Film Rainman stattfanden (feat. Tom Cruise und Dustin Hoffman), anzuschauen. Der Deal war perfekt! Steve Cyr und der High Limit Spieler machten die Tour durch die Luxus Suite und Steve erklärte, dass er ihm die Suite gratis überlassen könne, sofern dieser einen weiteren Buy-In von 10.000 Dollar an den Slotmaschinen tätigen würde. Egal, ob er gewinnen oder verlieren würde – es würde keine Rolle spielen. Der Knaller bei diesem Erlebnis war, dass Mr. E, so hieß dieser Spieler, derart begeistert von diesem Service war, dass er auf der Stelle 3 Bündel zu je 5.000 Dollar aus der Tasche zückte und diese Cyr übergab, damit dieser sich um alles weitere kümmern konnte. Dies war Steve Cyrs erster großer Deal im Caesars Palace. Und gleichzeitig sein nächster Schritt zu mehr Freiheit und Flexibilität. Denn er wollte mehr Handlungsspielraum zwischen den High Limit Tischen und den Spielautomaten.

Das Desert Inn Hin seinen letzten Jahren (1997–2000). (Foto: Santcomm / CC BY-SA 3.0)
Das Desert Inn Hin seinen letzten Jahren (1997–2000). (Foto: Santcomm / CC BY-SA 3.0)
Guy Hudson, der für die kommende Periode Cyrs Mentor war und ihm weitere Feinheiten und Tricks in diesem Geschäft erklärte, war über 20 Jahre im Casino Geschäft. Er führte Steve unter anderem in die Geheimnisse des Kreditgeschäftes ein. Wie viel Kreditrahmen für ein Casino und den Gast zugleich verträglich wäre, ohne beide Seiten zu gefährden und die Geschäftsbeziehung auch künftig nicht zu zerstören. Dies war eine der wichtigsten Lektionen für Steve Cyr. Spielen und Zahlen, so das Motto. Einem Gast immer mehr Kreditrahmen zu bewilligen, ohne zu wissen, wie zahlungskräftig ein Zocker ist, würde langfristig das Aus für ihn bedeuten. Ein Spieler, der monatlich seinen Zahlungen nachkommt und dies auf einem relativ vernünftigem Level, ist für das Casino von langfristiger Bedeutung, während ein gebrochener Spieler, der die Zahlung nicht mehr tilgen kann, für immer verbrannt ist und nichts mehr einbringt. Daher musste Steve Cyr in heiklen Situationen Verhandlungsgeschick lernen und wissen, wann die Limits erreicht waren.
Steve Cyrs Ehrgeiz und Lernwille schien fast grenzenlos zu sein, doch an einem bestimmten Punkt überschritt er seine Kompetenzen, nämlich als er begann, eigenhändig Authorisationen für Dinner Comps und Zimmerreservierungen auszusprechen, wenn dies seinem Empfinden nach gerechtfertigt erschien.

Die Marketing Bosse bei Caesar’s Palace waren nicht sonderlich über Cyrs Verhalten erfreut. Entweder Slot Host oder Pit Host, nicht beides. Aber Cyr schien die Kontrolle über den gesamten Casino Floor zu beanspruchen und das ging zu weit. Der Konflikt, auf den wir an dieser Stelle nicht weiter eingehen werden, führte dazu, dass Steve Cyr Caesar’s Palace verlassen musste. Steve wusste, dass er im Grunde genommen nicht falsch lag mit seiner Auffassung, doch die Entscheidungskraft lag nicht bei ihm und das musste er akzeptieren.
Kurze Zeit später war Steve Cyr zurück im Desert Inn, wo er die Position “Cash Host” angeboten bekam. Seine Funktion war der komplette Gästeservice für die Top-Spieler. Betreuung des Gastes von A-Z während des Aufenthaltes im Desert Inn. Steve lernte ständig neue Strategien, die Zocker zu Ködern. Gelegentlich ging er soweit, dass er andere Leute beauftragte, dem Spieler die Einladung zum Restaurant zu übergeben, zusammen mit einer Telefonnummer und einem Namen, falls der Gast noch etwas wünscht. Die Zocker sollten sich wundern, wer der Herr war, der ihnen die Einladung zugeschoben hat. Man sollte sich erzählen können, dass man Steve Cyr kennt.

Mit den Eröffnungen der ganzen Super-Hotels am Las Vegas Boulevard in den späten 80er- und 90er-Jahren begann ein neues Zeitalter für den Casino Customer Service. Mit der starken Zunahme der Konkurrenz und Modernisierung der Systeme entstand ein ganz neues Konzept. Ebenso nahm der Druck mit der Zulassung von Casinos in anderen Bundesstaaten, außerhalb von Nevada, noch mehr zu und die Casinos mussten reagieren: Noch luxuriösere Suiten, noch bessere Angebote für die Wale. Dies und mehr in der Fortsetzung dieser Berichterstattung.

Hier finden Sie eine Übersicht aller bisher erschienen Teile dieser Artikelserie.