Politlotto – TV-Gewinnspiele bleiben gesetzlich ungeregelt

Von Volker Lilienthal

Die Streitfrage, ob Gewinnspiele im Fernsehen verbotene Glücksspiele sind oder nicht, bleibt bis auf weiteres gesetzlich ungeregelt.

Die Ministerpräsidenten der Länder haben sich auf ihrer jüngsten Konferenz in München zwar auf einen neuen Staatsvertrag zum Lotteriewesen in Deutschland geeinigt, der jetzt in die Landtage geht. Das neuere Phänomen der TV-Gewinnspiele über telefongestützte so genannte Mehrwertdienste sei dabei aber aus politischen Gründen ausgeklammert worden, wurde dem epd am 20. November mehrfach im Länderkreis bestätigt.

Private, aber auch öffentlich-rechtliche Sender hatten sich vorher gegen jegliche Regulierung gewandt, weil sie um die mittels der Mehrwertdienste möglichen Nebeneinkünfte fürchteten; ein Sender wie Neun Live finanziere sich sogar zum größten Teil aus Erträgen aus den Anrufgebühren ihrer spielteilnehmenden Zuschauer.

Erfolgreiche Lobbyarbeit

Die Lobbyarbeit war erfolgreich. Das materielle Interesse haben sich dann auch Länder wie Bayern, wo Neun Live ansässig ist, und Nordrhein-Westfalen (mit RTL in Köln) zu Eigen gemacht, heißt es. Aber auch Rheinland-Pfalz, das Vorsitzland in der Rundfunkkommission der Länder, war gegen jedes Präjudiz.

Auf der anderen Seite klagen Verbraucherzentralen vermehrt über TV-Gewinnspiele als „Schuldenfalle“ für private Haushalte (epd 54, 45-46/03). Manche Konsumenten hätten sich hoch verschuldet, weil sie, animiert durch Moderatoren, immer wieder bei Sendern angerufen und dabei teure Gebührenimpulse ausgelöst hätten. Es gibt Berichte über Leute, die sich in der Hoffnung auf Gewinne Telefonrechnungen von zehntausend Euro zusammentelefoniert haben.

Das Verbraucherschutzinteresse aber hat (noch) kein Gehör beim Gesetzgeber gefunden. Die Länder hatten sich schon vor der Ministerpräsidentenkonferenz politisch darauf geeinigt, das Problem unreguliert zu lassen. Eine Definition im Staatsvertragsentwurf, wonach es auf die Höhe des Entgelts, das für die Teilnahme an einem Gewinnspiel verlangt werde, nicht ankomme, wurde gestrichen. Damit stellt sich die Rechtslage so dar, dass Betroffene gegen einzelne Programmveranstalter zwar Strafanzeige nach § 284 Strafgesetzgebuch (verbotenes Glücksspiel) stellen könnten, dass aber letztlich Gerichte entscheiden müssten.

Kein Kläger, kein Richter

Auch hier gilt: Wo kein Kläger, da kein Richter. Auch die Landesmedienanstalten, denen die teils aggressiv vorgetragenen Gewinnversprechen im Fernsehprogramm nicht unentdeckt geblieben sind, trauen sich an das Thema nicht heran. Dabei wäre doch die angezeigte Vorsicht bei TV-Gewinnspielen ein Thema, mit dem man die Worthülse „Medienkompetenz“ mit Inhalt füllen könnte. Von der Aufsichtspflicht der Medienanstalten mal ganz zu schweigen.

Bei ihnen ist aber viel Rücksicht auf die Finanzierungsbedürfnisse der Sender mit im Spiel, auch im Regionalen. Auch ein TV-Regionalsender wie B.TV 4U in Baden-Württemberg versucht, vor allem mit Gebührentransaktionen seiner Zuschauer zu überleben. Die „Zwangsgebühren“ werden oft den Öffentlich-Rechtlichen vorgehalten. Jetzt aber stellt sich das Thema ganz neu: bei den Privatsendern. Aber hier ist bekanntlich alles „freiwillig“, was der Kunde und Zuschauer will und tut.

Die Frage nach einer gesetzlichen Regelung für die TV-Gewinnspiele hatte sich gestellt, weil Glücksspiele in Deutschland verboten bzw. nur unter staatlicher Regie oder Genehmigung erlaubt sind. Um ein Glücksspiel handelt es sich herrschender Auffassung zufolge dann, wenn beim Spiel der Zufall regiert und der versprochene Gewinn sich nur durch einen geldlichen Einsatz des Teilnehmers (oder Zuschauers) erlangen lässt. Dies ist in der Regel dann der Fall, wenn 0190er-Nummern oder auch die günstigeren 0137er-Nummer (49 Cent pro Anruf) zur Anwahl angeboten werden.

Übereinkunft von 1998: Postkarte als Ausweg

Bereits 1998 hatten die Lotteriereferenten der Länder in einem Brief an die Deutsche Telekom, die als Dienstleisterin solche Transaktionen abwickelt und abrechnet, auf das grundsätzliche Verbot und die Strafbarkeit von Glücksspielen hingewiesen. Gleichzeitig wiesen die Lotteriereferenten aber auch einen Ausweg aus der Misere: Die Spiele könnten dann noch als nicht genehmigungspflichtige Gewinnspiele angesehen werden, wenn der Interessent nicht nur über einen Telefonanruf, sondern auch mittels einer Postkarte chancengleich teilnehmen könnte. Da der Preis der Postkarte nicht dem Spieleveranstalter zugute komme, sei insofern die „Ausnutzung des natürlichen Spieltriebs zu privaten und gewerblichen Gewinnzwecken“ verhindert.

Diese abgestimmte Rechtsauffassung aller 16 Bundesländer gilt im Grunde heute noch, auch wenn der absehbare neue Lotterie-Staatsvertrag das Problem unreguliert lassen wird. Gegen die Regelung von 1998 wird aber auch eingewandt, die Postkarte als Ausweg sei überholt, ein Ding von gestern und erlaube vor allem nicht die sofortige Ermittlung von Gewinnern im laufenden Fernsehprogramm.

Perspektiven der Rechtsentwicklung

Wie Heinrich Sievers, im hessischen Innenministeriums zuständig für Glücksspiele, dem epd auf Anfrage und als „persönliche Erwägung“ erläuterte, hätte der Gesetzgeber für das Fernsehen eine Analogie zu den üblichen Straßenlotterien erwägen können. Diese würden auf Antrag genehmigt, wenn der Lospreis einen bestimmten Preis (früher eine D-Mark) nicht überschreite.

Für die Fernseh-Glücksspiele hätte man deshalb überlegen können, eine Obergrenze von 24 Cent für das Teilnehmerentgelt zu setzen. Damit wäre der Abstand zum Lospreis bei der genehmigungspflichtigen Straßenlotterie groß genug gewesen und die Fernsehsender hätten ihre Gewinnspiele deshalb weiterhin genehmigungsfrei anbieten können.

Gegen dieses Modell sei aber im Kreis der Lotteriereferenten eingewandt worden, dass unter Berufung darauf Unternehmer Lotteriegeschäfte hätten eröffnen und ihre privaten Lotterien so gestalten können, dass der Kunde gleich eine z.B. zehnfache Teilnahme hätte ankreuzen können. Dies würde die finanzielle Obergrenze, mit der der Konsument geschützt werden soll, wieder aushebeln.

Sievers stellt sich die weitere Rechtsentwicklung persönlich so vor, dass der Bundesgesetzgeber den § 284 StGB ergänzen könnte, und zwar mit einer Minimaldefinition dessen, was die Grenze zum Glücksspiel noch nicht überschreitet.

Ermittlungen gegen Neun Live laufen weiter

Neun Live-Geschäftsführerin Christiane zu Salm hatte kürzlich auf den „Medientagen München“ darauf hingewiesen, dass kostenpflichtige Servicenummern (u.a. für Wetterberichte oder „Tor des Monats“) vermehrt auch von ARD und ZDF angeboten würden. Dabei kämen gehäuft teure 0190er-Nummern mit Kosten von 62 Cent pro Minute zum Einsatz.

Währenddessen ermittelt die Staatsanwaltschaft München weiter gegen Neun Live wegen des Verdachts des Betrugs an anrufenden Zuschauern (epd 45-46/03). Wie ein Sprecher der Behörde am 21. November sagte, gebe es noch kein endgültiges Ergebnis. Man wolle versuchen, das Ermittlungsverfahren noch in diesem Jahr abzuschließen.

BGH-Rechtsprechung zum „Anlockeffekt“

Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte im April 2002 die Klage gegen einen privaten Radiosender wegen eines angeblich sittenwidrigen Gewinnspiels zurückgewiesen und vorangegangene Urteile aufgehoben (Az. I ZR 225/99).

Der BGH entwickelte dabei u.a. diese Kriterien zur Beurteilung von Medien-Gewinnspielen: „Erst wenn der Anlockeffekt so stark ist, dass das Publikum von einer sachgerechten Prüfung des Waren- oder Dienstleistungsangebots abgelenkt und seine Entschließung nicht mehr von sachlichen Überlegungen, sondern maßgeblich von der Erwägung bestimmt wird, den in Aussicht gestellten Gewinn zu erlangen, kann die Werbung mit einem Gewinnspiel unter dem Gesichtspunkt des übertriebenen Anlockens sittenwidrig sein.“

Wer sich die oft marktschreierischen Moderationen in einschlägigen TV-Gewinnspielen ansieht, wer den Nonsens der Fragen mit dem Versprechen auf Riesengewinne mit nur einem Anruf in Beziehung setzt, wer die Einladungen hört, es doch noch einmal zu versuchen, wenn es beim ersten Mal nicht klappte, der wird sich den Eindrucks nicht erwehren können, dass man es hier mit genau diesem vom BGH beschriebenen „Anlockeffekt“ zu tun hat.

Und zwar einem ziemlich starken, der verführbare (und wohl auch finanziell bedürftige, weil schlechter gestellte) Zuschauer zu Handlungen treibt, die ihnen selten echten Reichtum bescheren. Sondern die sie auf einen Weg bringen, der für einige am Ende zur Schuldnerberatung führt.