Ein Artikel von Maximilian Priem, Janik Evert und Anne-Christin Winkler
Die seit 2022 sprunghaft angestiegene Inflation und die Nachwirkungen der COVID-19-Pandemie stellen Anbieter von Geldspielgeräten vor große Herausforderungen. Sie sind mit steigenden Betriebskosten, ausbleibenden Umsätzen aufgrund einer nachhaltigen, pandemiebedingten Veränderung des Nachfrageverhaltens und einer wachsenden digitalen Konkurrenz konfrontiert. In der Theorie können Produktanbieter:innen über die Anpassung von Preisen, angebotener Menge oder Produkteigenschaften auf derartige Herausforderungen reagieren. Im Fall von Geldspielgeräten wird jedoch jede dieser Stellschrauben von zum Teil Jahrzehnte alten Vorschriften reguliert. So gelten Obergrenzen für die Dauer, den Gewinn und den Einsatz je Spiel am Geldspielgerät, die gemeinsam eine Preisobergrenze darstellen. Regelungen zur maximalen Anzahl an Geldspielgeräten in Spielhallen und Gaststätten sowie quantitativ reduzierende Maßnahmen, wie das Verbot von Mehrfachkonzessionen und Mindestabstandsregelungen, beschränken den Handlungsspielraum von Anbieter:innen. Gleichzeitig ist ihre Einflussnahme auf Produkteigenschaften von Geldspielgeräten aufgrund vielseitiger Regulierungen der Spielabläufe, Spieldauer und der technischen Ausgestaltung begrenzt.
Dass die Automatenwirtschaft dadurch zum Spielball der rechtlichen Regulierung wird, unterstreicht bereits eine Studie aus dem Jahr 2022, die die DIW Econ GmbH im Auftrag der Automatenindustrie für die VDAI Verlags- und Veranstaltungsgesellschaft mbH erstellt hat. Darin wird die Entwicklung von Kennzahlen der Automatenwirtschaft vor dem Hintergrund der gesetzlichen Anpassungen der rechtlichen Rahmenbedingungen in den letzten Jahrzehnten diskutiert.1 Diese Analyse wurde nun vor dem Hintergrund der jüngsten wirtschaftlichen Dynamiken, u.a. in Bezug auf die sprunghaft gestiegene Inflation und die Konsequenzen der COVID-19-Pandemie, aktualisiert.2
Seit 1993 bestehen unveränderte Gewinn- und Einsatzobergrenzen. Der zulässige durchschnittliche Stundenverlust an einem Geldspielgerät wurde zudem 2014 von 33 Euro auf 20 Euro reduziert.3 Die zentralen Motive für das Spiel an Geldspielgeräten, der damit verbundene Nervenkitzel und die monetären Gewinnchancen werden damit streng reglementiert. Nominalwirtschaftliche Entwicklungen, wie die allgemeine Lohnentwicklung und das Preisniveau, haben aus Konsument:innenperspektive diese Produkteigenschaften in den letzten dreißig Jahren schrittweise entwertet, wodurch legale gegenüber illegalen Angeboten an Wettbewerbsfähigkeiten verlieren.
Mussten Spieler:innen 1993 für eine Spielstunde im Durchschnitt höchstens etwa drei Stunden arbeiten, war es 2022 weniger als eine Stunde (siehe Infografik).4 Stellt man dieser Entwicklung den Preis für einen Lotto-Tippschein gegenüber, wird deutlich, wie die Automatenwirtschaft von der allgemeinen Preisentwicklung sowie den erfolgten Anpassungen in anderen Glücksspielbereichen abgehängt wurde. Seit 1993 kostet ein Spiel am Geldspielgerät maximal 40 Pfennig bzw. 20 Cent. Der Preis pro Lotto-Tipp wuchs hingegen zwischen 1993 und 2022 um ca. 87,5% von 1,25 DM, d.h. etwa 64 Cent, auf 1,20 Euro.5 Damit stieg der reale Preis für einen Tipp sogar. Kaufkraftbereinigt kostete der Lotto-Tipp 2022 rund 11% mehr als 1993. Für das Spiel an Geldspielgeräten lag der reale Preis 2022 hingegen 40% unterhalb des Werts von 1993.
Die seit 2022 sprunghaft angestiegene Inflation hat diese seit Jahrzehnten beobachtbare Entwicklung beschleunigt. Neben der Entwertung des Automatenspielprodukts führt die gestiegene Inflation zu einem deutlichen Anstieg der Betriebskosten, insbesondere der Energiepreise, für Anbieter:innen. So lagen die Industriestrompreise im vergangenen Jahr mehr als 100 % über denen des Jahres 2021.6 Seit Beginn von 2023 war zwar ein leichter Rückgang zu verzeichnen, die befanden sich aber bis April 2023 mit durchschnittlich 28,37 Cent pro kWh weiterhin auf einem hohen Niveau. Auch die Kosten für Heizöl und Erdgas haben sich überdurchschnittlich stark erhöht. Gleichzeitig beeinflusst die hohe Teuerungsrate – 7,9% allein im Jahr 2022 – die Personalkosten in der Automatenwirtschaft.7 Angestellte stellen höhere Lohnforderungen, um ihre gestiegenen Lebenshaltungskosten auszugleichen.
Die hohen Verbraucherpreise machen sich aber auch auf der Seite der Spieler:innen bemerkbar. So verändert sich deren Konsumverhalten dadurch, dass ihnen schlicht weniger Geld für Glücksspiele zur Verfügung steht. Diese Entwicklungen zeigen deutlich, dass sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen seit 2022 nochmals spürbar verändert haben und der Druck auf die Automatenwirtschaft weiter gewachsen ist.
Durch den sinkenden Nervenkitzel nimmt die Produktattraktivität für Konsument:innen ab. Fehlt Anbieter:innen gleichzeitig der Anpassungsspielraum, droht, dass zumindest ein Teil der Spielerinnen und Spieler Geldspielgeräte mit alternativen Angeboten ersetzt. Eine aktuelle Bestandsaufnahme des illegalen Glücksspielmarktes durch Expert:innen aus dem Bereich der Beratung von Menschen mit Glücksspielstörung liefert Hinweise darauf, dass bereits ein Teil der Spieler:innen auf illegale Angebote ausgewichen ist und illegale Fun-Games eine Renaissance erleben.8 Dieser Trend spiegelt sich auch in der polizeilichen Kriminalstatistik wider, die in den vergangenen Jahren einen drastischen Zuwachs der Delikte des illegalen Glücksspiels verzeichnete. Während die Fallzahlen beim unerlaubten Glücksspiel 2022 mit 1.861 weitgehend konstant blieben, gab es zwischen 2020 und 2021 einen Anstieg der Delikte um 150,3% (2020: 762 Fälle). Auch im Vergleich zum Vor-Pandemieniveau haben sich die Delikte im illegalen Glücksspiel bis 2022 vervielfacht. So wurden 2019 947 Fällen verzeichnet, 2016 und 2017 waren es nur 555 bzw. 504 Fälle.9
Ein Beispiel, wie dem entgegengewirkt werden kann, findet sich in der jüngsten Vergangenheit. Die Nachfrage nach schwer kontrollierbaren illegalen Fun-Games wurde ab 2006 zum Großteil mit der fünften Novellierung der Spielverordnung wieder auf gewerbliche zugelassene Geldspielgeräte umgeleitet.10 Seit 2012 wurde der Handlungsspielraum von Automatenanbieter:innen durch verschiedene Regulierungen auf Bundes- und Landesebene jedoch erneut eingeschränkt. Daraufhin lässt sich zeitlich versetzt eine Welle an illegalem Glücksspiel beobachten. Expert:innen aus dem Hilfesystem für Menschen mit Glücksspielstörung bringen diese Entwicklung in Zusammenhang mit der Reduzierung der erlaubten Geldspielgeräte.11
Ökonomische Überlegungen legen nahe, dass die Regulierung von Geldspielgeräten nicht unabhängig von deren legalen und illegalen Substituten betrachtet werden darf. Nur durch die Einbeziehung aller wesentlichen Faktoren kann der Gesetzgeber gewährleisten, dass die Anbieterinnen und Anbieter den im Glücksspielstaatsvertrag normierten Kanalisierungsauftrag zum legalen Spiel erfüllen können. Damit die Kanalisierungswirkung des legalen Angebots gestärkt wird, sollte der begrenzte Handlungsspielraum der Automatenwirtschaft und die sich permanent dynamisch wandelnden ökonomischen Rahmenbedingungen bei der Modernisierung der Regulierung von Geldspielgeräten in ihrer Gesamtheit berücksichtigt werden.
1) DIW Econ (2022), 40 Pfennig Höchsteinsatz – Die Automatenwirtschaft zwischen Regulierung und ökonomischen Trends seit 1993, abrufbar unter https://diw-econ.de/publikationen/die-automatenwirtschaft-zwischen-regulierung-und-oekonomischen-trends-seit-1993/
2) DIW Econ (2023), 40 Pfennig Höchsteinsatz – Die Automatenwirtschaft zwischen Regulierung und ökonomischen Trends seit 1993
– Update 2023, abrufbar unter https://diw-econ.de/publikationen/die-automatenwirtschaft-zwischen-regulierung-und-oekonomischen-trends- seit-1993-update-2023/
3) BMWi (2005), Fünfte Verordnung zur Änderung der Spielverordnung. Bundesgesetzblatt; BMWi (2014), Sechste Verordnung zur Änderung
der Spielverordnung. Bundesgesetzblatt. BMJ (1993), Dritte Verordnung zur Änderung der Spielverordnung. Bundesgesetzblatt; BMJ (2001), Neuntes Euro-Einführungsgesetz: Gesetz zur Umstellung von Gesetzen und Verordnungen im Zuständigkeitsbereich des BMWi sowie des BMF. Bundesgesetzblatt
4) Eigene Auswertungen auf Grundlage von Statistisches Bundesamt (2021), Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen, Inlandsproduktsberechnung; sowie BMWi (2005; 2014).
5) lottobay (2023), Lotto Historie. Abgerufen am 11.07.2023 von https://www.lottobay.de/lotto/historie.html.
6) Statistisches Bundesamt (2023), Daten zur Energiepreisentwicklung - Lange Reihen bis Januar 2023, BDEW (2023), BDEW-Strompreisanalyse April 2023.
7) WSI (2022), Verteilungsmonitor - Löhne und Gehälter nach Wirtschaftszweigen, Statistisches Bundesamt (2022), Finanzen und Steuern. Vierteljährliche Kassenergebnisse des Öffentlichen Gesamthaushalts. Fachreihe 14 Reihe 2.
8) Trümper (2022). Erweiterte Einblicke in den illegalen Glücksspielmarkt. Berlin: VDAI Verlags- und Veranstaltungsgesellschaft mbH.
9) Bundeskriminalamt. (2016-2022). Polizeiliche Kriminalstatistik. Berlin.
10) Trümper (2010). Umsetzung der novellierten Spielverordnung. Feldstudie 2010.
11) Trümper (2022), s.o.
Quelle: Gluecksspielwesen.de