Ein Möchtegern-Doyle-Brunson

Ein Artikel von Alex Lauzon

In Montreal, wo ich lebe, ist Poker – trotz des enorm steigenden Interesses – noch immer ein sogenanntes illegales Kartenspiel. Das von der Provinzregierung besessene Spielkasino wartet auf eine Änderung der gesetzlichen Situation (so absurd dies klingen mag) und einige Spiele in Hinterzimmern sind, auf Grund unverschämt hoher Rake (oder Taxe) von 10% ohne Limit (bei einem Pot von $ 1.000 nehmen sie beinhart $ 100 fürs Haus), grundsätzlich zu meiden. Doch, zum Glück, gibt es einige geschickte Leute, die immer wieder Spielrunden zusammenstellen. Einer davon ist Jean-Pierre, dem es auch immer wieder gelingt, willkommene Neulinge zu finden. Keine Ahnung, wo er sie auftreibt!

So trafen wir uns kürzlich in einem Hotelzimmer. Sechs Spieler, drei davon aus Montreal, zwei Amerikaner und ein Franzose, Claude, der aus geschäftlichen Gründen regelmäßig in der Stadt ist. Er wurde zum Star des Abends! Wir spielten ein Hold’em-No-Limit-Turnier, Winner takes all! $ 1.000 Anfangschips, die Blinds beginnend mit 10/20.

Der Fall der Karten war anfangs für mich keineswegs günstig. Spiel um Spiel passte ich, während Claude mit Pocket-K-K, den ersten Montrealer aus der Runde warf. Er war somit Chipleader und es schien, als wollte er seine Position unter allen Umständen halten. Selten hielt er einen Einsatz und grundsätzlich nur dann, wenn sein Blatt annähernd unschlagbar war.

Während ich selbst meinen Stack gerade auf $ 1.500 aufbauen konnte, fegte Claude einen Gegner nach dem anderen vom Tisch. Endlich saßen wir uns gegenüber. Er mit $ 4.500, ich mit dem bescheidenen Rest! Eine schwierige Aufgabe stand mir bevor.

Die Blinds waren auf 30/60. Ich saß mit wertlosen Karten am Big Blind. Er brachte $ 180 und ich passte! Ich ging vom Small Blind mit und er erhöhte wieder auf $ 180. Ich passte! Spiel um Spiel brachte er eine Erhöhung, während ich ständig den größten Müll in der Hand hielt. Blind um Blind ließ ich mir stehlen. Einmal, einfarbige K – 9 in der Hand, probierte ich es mit einem Reraise. Er antwortete mit All-in. Wieder passte ich und mein Stack war unter $ 1.000. Claudes, zuvor so vorsichtig verhaltener, Stil schlug plötzlich ins Krasse Gegenteil um.

Ich muss gestehen, ich fühlte mich unterlegen! Claude spielte, als ob er gerade zuvor in Doyle Brunsons „SuperSystem II“ gelesen hätte. Dort steht (sinngemäß) geschrieben: „Wenn ich erhöhe und ein Gegner wagt ein Reraise, dann erhöhe ich nochmals. Mein Tisch-Image erlaubt es nicht, ein Reraise zuzulassen. Natürlich verliere ich oft, doch all die kleinen Pots, die ich dazwischen stehle, bringen mir mehr ein. Und oft wundere ich mich selbst darüber, wie leicht es ist, Pots zu stehlen!“

Bis zu einem gewissen Grad, bringt wildes Erhöhen und Wiedererhöhen, insbesondere in Cashgames, auch entsprechende Erfolge. Doyle Brunson jedoch weiß gegen wen er spielt. Er weiß, gegen wen er reraist und er weiß auch ganz genau, wann er zu passen hat (Worauf er in seinem Buch allerdings nicht deutlich genug verweist!). Probiert ein Spieler mit weniger Erfahrung und Geschick, die Opponenten durch massive Erhöhungen immer und immer wieder einzuschüchtern, so ist es nur eine Frage der Zeit, bis er sich mit einem Monsterblatt konfrontiert sieht. Nicht einfach ist es, den Unterschied zu erkennen, ob ein Reraise durch ein entsprechendes Blatt bedingt ist oder ob es sich schlicht um einen Konterbluff handelt!

Nun, im zuvor beschriebenen Fall, gegen Claude, war mein Reraise mit König und Neun natürlich ein Konterbluff! Der Druck des niedrigen Stacks lastete immer schwerer auf mir. Der überaggressive Stil meines Gegners, zusammen mit meinem niedrigen Stack, zwangen mich zum Gambeln!

Mit 9-9 saß ich am Small Blind. Claude erhöhte, wie gewohnt, auf $ 180. Ich hatte $ 850 vor mir und erhöhte auf $ 360. Wie erwartet, antwortete Claude mit einem All-in, das ich, mit meinem Taschenpaar, natürlich hielt. Sein Blatt war K-2. Meine zwei Neunen hielten ihr Versprechen und mein Stack war auf $ 1.700 – mein bisherziger Höchststand.

Wieder ließ ich mir einige Blinds stehlen, bis ich A-Q in der Hand hielt. Die Blinds waren auf 40/80 und es erfolgte genau das gleiche Szenario wie zuvor. Ich am Small Blind. Claude erhöhte auf $ 240. Ich bachte $ 480 und Claude ging All-in. Dieses Mal mit 10-2, dem Blatt, das Doyle Brunson zweimal den Weltmeistertitel gewonnen hat!

Das Board brachte 7 – 5 – 3 – Q – Q. Mein Stack war auf knapp unter 3.000. Wir waren ausgeglichen.

Zwar wurde Claude nun etwas vorsichtiger, doch als ich mit 4-4 vom Small Blind eine Erhöhung auf $ 300 brachte, antwortete er mit einem Reraise auf 600. Ich ging mit und es fiel folgender Flop:

7 – 4 – 9

Seine Reaktion? All-in!

Sein Blatt? K-10!

Wenige Spiele später verlor er seine restlichen 500 Chips mit Q-J, die er auf einen Flop von 2 – 8 – 10 (Bauchschuss) investierte. Ich hielt A – 10 in der Hand. Turn und River versagten ihm jede Hilfe und ich konnte den Gewinn einstreifen.

Hierzu übrigens noch eine Überlegung von Chris Ferguson, einem der weltbesten Pokerspieler. Falls Sie ihn einmal gesehen haben, er ist der Mann, der mit wildem Bart, langem Haar und Coboyhut am Pokertisch sitzt, um seinen ursprünglichen Beruf, Mathematiker, etwas zu verschleiern (doch mittlerweile weiß es ohnehin jeder).

Sitzen sich Heads-up ein erstklassiger und ein schwacher Spieler mit gleich hohem Stack gegenüber, so verfügt der schwache Spieler über eine 40%ige Chance auf den Gesamtsieg, wenn er jedes Mal, ohne Ausnahme und ungeachtet seiner Karten, All-in setzt. Versucht er, seine Einsätze seinen Karten entsprechend zu platzieren, so kann sich seine Gewinnchance, dem Weltklassespieler gegenüber, der durch Erfahrung und Geschick seinen Gegner regelmäßig zu manipulieren versteht, auf bis zu 10% reduzieren.

Zur besseren Veranschaulichung: ist der stärkere Gegner wirklich jedes Mal mit einem All-in konfrontiert, so muss er natürlich ein Blatt, wie etwa einfarbige A-J zu einem Einsatz nutzen. Doch, selbst wenn er gegen scheinbar wertlose 10-7, off suite, antritt, so ist er ziemlich exakt ein 1 zu 2 Favorit, was wiederum bedeutet, dass er in einem von drei Fällen verliert.

Claudes Spiel lag irgendwo in der Mitte! Hätten meine 9-9 nicht gehalten, hätte ich nicht später eine dritte 4 gefloppt, so hätte die Sache natürlich auch anders ausgehen können.

Euer Alex Lauzon