Erste Beratungsstelle für Glücksspielsucht in Deutschland wird 25 Jahre

Ein Artikel von Christiane Kürschner

(Foto: Walter Wetzler)
Im Oktober feiert die bundesweit erste Fachberatungsstelle für Glückspielsucht, das Café Beispiellos in Berlin, ihr 25-Jähriges Bestehen. Das ist ein Grund zu feiern, aber auch ein Grund, auf die Zukunft der Glücksspielsuchtberatung zu schauen: Wie sehen die Klienten der Zukunft aus? Anfang der 80er Jahre wurde in Berlin ein deutlicher Anstieg von Hilfesuchenden festgestellt, die von Glücksspielsucht betroffen waren. Zu dieser Zeit hatten Geldspielautomaten Hochkonjunktur, die Risikotaste wurde eingeführt und es gab neue Sonderspielmöglichkeiten, die den Glücksspielcharakter immer mehr formten. Neben einem Beratungs- bzw. Gesprächsgruppenangebot wurde der Bedarf eines zentralen, sozialpädagogisch betreuten Treffpunktes deutlich. So entstand 1987 in Berlin mit Unterstützung der Caritas ein eigenständiges Projekt als glücksspielfreier Raum mit alternativen Freizeitangeboten – das Café Beispiellos. Die Einrichtung wurde damit bundesweit zur ersten professionellen Beratungseinrichtung ausschließlich für abhängige Glücksspieler und deren Angehörige.
Die deutschen Renten- und Krankenversicherungen haben das pathologische Glücksspielverhalten erst im Jahr 2001 als Erkrankung anerkannt, so dass nun auch in Deutschland eine fachgerechte und gezielte Therapie möglich ist.

Die Form des Glücksspiels ändert sich: Das Internet wird neuer Spielraum

In den letzten Jahren steigen im Café Beispiellos die Klientenzahlen immer weiter an. Nach wie vor spielt die überwiegende Zahl der betroffenen Spieler an den sogenannten Geldgewinnspielgeräten, die mit dem aktuellen Glücksspieländerungsstaatsvertrag als Glücksspiele eingeordnet werden. Der Besuch einer Spielbank ist lange nicht mehr so attraktiv wie zu früheren Zeiten. Nicht nur das Einhalten einer gewissen Etikette und die Altersbeschränkung halten manche Spieler ab. Glücksspielautomaten sind auch in anderen Einrichtungen zugänglich, warum also den langen Weg zu einer der staatlich konzessionierten Spielbanken auf sich nehmen? In der Zukunft wird sich der Schwerpunkt weiter von den standortgebundenen Spielbanken in das Internet verlagern, das noch grenzenloser zugänglich ist. Dadurch können ganz neue Zielgruppen erreicht werden. Die Spieler werden immer jünger, was Online-Casinos und andere Online-Spiele möglich machen, für die es keine wirksame Altersbeschränkung gibt. Der Vertrieb von Sportwetten und Lotterien über das Internet ist seit den neusten Änderungen des Glücksspielstaatsvertrages wieder zugelassen, Online-Casinospiele und Online-Poker bleiben verboten – trotzdem sind sie im grenzenlosen World Wide Web zugänglich. Wie sehr die Glücksspielsucht in der deutschen Bevölkerung verankert ist, zeigen die Ergebnisse des Projektes „Pathologisches Glücksspielen und Epidemiologie“ (PAGE), die im vergangenen Jahr veröffentlich wurden.

Automatenspiele bergen gegenwärtig das größte Suchtpotenzial

Man befragte in der Studie 14.022 Personen zwischen 14 und 64 Jahren aus der gesamten Bevölkerung mit Festnetztelefonanschluss. Außerdem wurden 1.000 Personen befragt, die nur über mobile Telefonanschlüsse erreichbar sind, denn vor allem süchtige Menschen verfügen nur noch über günstige Prepaid-Handys. Die Ergebnisse der PAGE-Studie sind alarmierend. Rechnet man die Ergebnisse der Studie auf die gesamte Bevölkerung hoch, sind 480.557 Pathologische Spieler, 756.919 Problematische Spieler mit drei oder vier erfüllten Kriterien und 2.925.996 Personen, die ein oder zwei Kriterien für Problematisches Glücksspielen im Lebensverlauf erfüllt haben. Es finden sich deutlich erhöhte Raten bei Männern, jüngeren Personen, Personen mit niedrigerem Bildungsstatus, Personen mit Migrationserfahrung oder -hintergrund und bei Arbeitslosen. Der deutlichste Zusammenhang zwischen der Spielform und dem Vorliegen der Diagnose „Pathologisches Glücksspielen“ ergibt sich für Personen, die an Geldspielautomaten in Spielhallen bzw. Gastronomiebetrieben gespielt hatten oder am Kleinen Spiel im Casino teilnahmen. Während Casinos aber seit langer Zeit mit Sozialkonzepten präventiv vorgehen, was seit 2008 auch im Glücksspielstaatsvertrag festgehalten ist, sind die Geldspielautomaten frei zugänglich. Vor allem in Gaststätten und anderen öffentlichen Orten kann man ohne Beobachtung spielen. In Casinos hingegen achtet speziell geschultes Personal auf auffällige Gäste und spricht sie auch aktiv an. Im Internet werdeb momentan die Möglichkeiten zum Spielerschutz mangels Regulierung kaum genutzt.

Keine Zugangsbeschränkung und immer verfügbar: Online-Sucht

Dr. Klaus Wölfling ist Leiter der Sabine-Grüsser-Sinopoli-Ambulanz für Spielsucht des Kompetenzzentrums Verhaltenssucht an der Johannes Gutenberg Universität Mainz. Er weist in Interviews vor allem auf die Zunahme von Mediensüchtigen hin. Immer mehr Jugendliche sind süchtig nach Sozialen Netzwerken und Online-Spielen. Gründe dafür sind zum einen die Anonymität, der 24/7-Zugang und der Zugang zu einer unzählbaren Menge an Medien und Spielen. In einer im vergangenen Jahr vorgestellten repräsentativen Studie zur Häufigkeit der Internetabhängigkeit bei den 14- bis 64-Jährigen in Deutschland wurden diese Fakten mit Zahlen unterlegt. 
Etwa 1 Prozent der 14- bis 64-jährigen in Deutschland werden nach der Studie „Prävalenz der Internetabhängigkeit (PINTA I)“ der Universität Lübeck und der Universität Greifswald als internetabhängig eingestuft. Das entspricht rund 560.000 Menschen. 4,6 Prozent der 14- bis 64-Jährigen (rund 2,5 Mio. Menschen) werden als problematische Internetnutzer angesehen. In der Altersgruppe der 14- bis 24- Jährigen ist die Verbreitung am größten: 2,4 Prozent sind abhängig und 13,6 Prozent werden als problematische Internetnutzer eingeschätzt. Besonders alarmierend war hierbei, dass von den auffälligen Befragten zwischen 14 und 24 Jahren Online-Spiele und Soziale Netzwerke als Hauptbetätigungsfelder angegeben wurden. Frauen sind gern in Sozialen Netzwerken aktiv (81,4 Prozent), genauso wie die Männer (61,4 Prozent), wobei diese aber auch Online-Spiel bevorzugen (28,9 Prozent).

Wie das Internet Glücksspielsicher machen?

Man kann nur mutmaßen, ob die Internetabhängigkeit ein schleichender Anfang für weitere gestörte Verhaltensweisen ist und wie sich diese auf die kommenden Generationen auswirken werden. Wenn das Online-Glücksspiel weiterhin ohne nennenswerte Schranken für Jugendliche zugängig ist, verlieren Spielbanken weiterhin an Reiz: Warum den weiten Weg zu einem Casino machen, wenn das Glück doch auch von Zuhause so nah zu liegen scheint?
In diesen Tagen hat die EU-Kommission einen Aktionsplan gegen das Online-Glücksspiel vorgestellt. Ziel des Projektes ist es weiterhin, allgemeingültige Standards des Online-Glücksspiels auf europäischer Ebene zu schaffen und die Bekämpfung des illegalen Online-Glücksspiels zu verbessern.. Denn den Schaden tragen die Suchtkranken davon, die mit dem Internet eine ganze Spielwelt für sich allein haben. Das Café Beispiellos wird wohl auch in Zukunft nicht weniger Arbeit haben.