Ein Ort, ein Traum – und dann der Absturz
In der italienischen Enklave Campione d’Italia, idyllisch eingebettet am Lago di Lugano und umgeben vom Schweizer Tessin, liegt der Schauplatz eines tiefgreifenden Wandels: Seit fast einem Jahrhundert zieht das örtliche Casino Wohlstand und Identität in das kleine Dorf. Es war nicht nur Arbeitgeber und wirtschaftliches Rückgrat, sondern auch ein Symbol für Glamour und Luxus – von eleganten Autos über Pelzmäntel bis hin zur Prominenz wie Sophia Loren und Federico Fellini.
Doch der Traum endet abrupt: Über Nacht meldet das Casino Konkurs an. Der Austritt des zentralen Elements des Ortgefüges stürzt Campione in eine Krise, die weit über wirtschaftliche Verwerfungen hinausgeht. Was bleibt, wenn die Säulen der Identität und Gemeinschaft wegfallen?
Was geschieht mit einer Gemeinde ohne Herz?
Der Dokumentarfilm „Architektur des Glücks“, der bei den Solothurner Filmtagen seine Weltpremiere feierte, erforscht genau diese Frage. Regie führen Michele Cirigliano und Anton von Bredow, die zeigen, wie eine Gemeinschaft mit dem Verlust ihres selbstverständlichen Lebensraums umgeht. Der Film blickt auf universelle Prozesse in einem überschaubaren Umfeld: der Lähmung nach dem Kollaps, aber auch der Versuch, neu zu denken und sich neu zu definieren.
Ein Protagonist des Films ist – ungewöhnlich und poetisch zugleich – ein Mann, den in Campione jeder kennt: ein „freundlicher Narr“, der Blumen in die grau gewordenen Gassen pflanzt. Eine kleine Geste – und doch symbolisch für Hoffnung, Widerstand und die Suche nach einem Sinn, wenn alles, worauf man gebaut hat, zusammenbricht.
Kino zwischen Architektur, Gemeinschaft und Identität
„Architektur des Glücks“ verwebt mehrere Themen: die Macht von Gebäuden – hier konkret das imposante Casino von Mario Botta – als materielle und kulturelle Ankerpunkte; die Abhängigkeit von einem Wirtschaftsmodell, das nicht nachhaltig ist; und die Frage nach Identität, wenn äußere Umstände sie in Frage stellen. Wie definieren sich Menschen, wenn der zentrale öffentliche Raum verschwindet?
Ein weiterer Blick gilt der Architektonik selbst: Mit welchem Nachhall wirkt ein Bauwerk, wenn sein ursprünglicher Zweck verloren ist? Welche Geschichten tragen Mauern, Fassaden, Räume – und wie können sie sich neu besetzen lassen? Der Film stellt diese Fragen ohne effektheischende Dramaturgie, aber mit großer Nähe zu den Menschen, die in diesem Wandel leben müssen.
Der Trailer spricht Bände
Schon im offiziellen Trailer wird spürbar, wie stark der Kontrast zwischen prunkvoller Vergangenheit und düsterer Gegenwart ist. Bilder von leeren Sälen, Verfall, von einem Ort, der einmal durch seine Architektur Eindruck machte und heute unter der Last seiner eigenen Geschichte zu ächzen scheint. Und doch liegt darin auch etwas Vertrautes: die Hoffnung, dass genau durch diesen Bruch Neues entstehen kann.
Fazit
„Architektur des Glücks“ ist mehr als ein Filmdokument über den Zerfall eines Casinos und seiner Folgen. Es ist eine Reflexion über Abhängigkeit und Verlust, über Gemeinschaft und Identität – und darüber, wie Orte, in denen Architektur und Alltag untrennbar verbunden sind, auch dann weiterwirken, wenn ihre ursprüngliche Funktion versiegt ist. Ein Film zum Nachdenken – über unsere gebauten Welten und darüber, was wir verlieren, wenn sie schweigen.