Impressionen aus dem Wienerwald

Michael Keiner
Poker-Experte
E-Mail: laserase@aol.com


Der Roulettetisch stand ganz am hinteren Ende des Saals. Auffällig in den Übergangsbereich zur Bar und Imbisstheke platziert, konnte kaum ein Besucher der Poker-EM die leuchtenden Anzeigen der Permanenzen übersehen oder die dezent monotonen Geräusche der weißen Kugel auf ihrem Weg durch den Kessel überhören. Ein leicht angetrunkener Ungar blickt gelangweilt auf das Tableau, auf dem er in scheinbar sinnlosen Mustern ein paar Chips verstreut hatte. Plötzlich passiert der GAU. Die Kugel trifft in einem derart seltsamen Vektor auf eine der Rhomben im Kessel, dass die (Un)wahrscheinlichkeit jenseits der fünfachen Standardabweichung zur Realität wird und die Kugel den Kessel verlässt, um auf dem Teppich des Spielsaales das Weite zu suchen. Mit der Präzision eines erfahrenen Lauerjägers hechtet der Ungar der Kugel nach und fängt sie ab, noch bevor sie zum Stillstand gekommen ist. Er wirft sie in sein Wodkaglas, schüttet den Inhalt des Glases samt Kugel in seinen weit aufgerissenen Mund, schluckt einmal kräftig und gibt in gebrochenem Deutsch von sich: „Jetzt meine Kugel. Habe schon längst am Tisch bezahlt!“

Stories dieser Art waren früher der Stoff, aus dem Legenden gestrickt wurden, die man sich meist noch Monate nach dem Turnier erzählte, das in vergangenen Zeiten zu Recht den Namen „Opernball“ der Pokerevents trug. Selbst die Kampfschreie der Chinesen am PuntoBanco Tisch, die wieder einmal 10.000 € auf Ponte gesetzt hatten und dann krampfhaft versuchten, eine unverlierbare Neun aus den 2 Karten in ihren Händen zu quetschen, waren dieses Jahr weitgehend verstummt.

Der Opernball hat an Glanz verloren und an einigen Stellen blättert der Lack selbst ein wenig ab. Über die Gründe kann ich nur spekulieren. Einerseits schreckte natürlich das extrem hohe Buy-in von 8.000 Euro für den EPT Event die allermeisten ambitionierten Freizeitspieler kräftig ab, die normalerweise bei 5.000 Euro die absolute Schmerzgrenze der Investitionsmöglichkeiten in ein Pokerturnier sehen. Ein Teil der üblichen Verdächtigen erschien dann doch noch zur Baden Open und zur 7-Card Stud EM, während aber ein größerer Teil der EPT Spieler bereits nach Barcelona weiterflog, um dort an der spanischen Premiere der World Poker Tour teilzunehmen.

Der zweite, schwergewichtigere Grund war aber vermutlich politischer Natur.

In den vergangenen Jahren hatten sich immer mehr Turnierteilnehmer über die horrenden Preise für das „All-you-can-eat-and-drink“ Paket von 125 Euro pro Tag und Person beschwert. Die Pauschale wurde unabhängig davon fällig, ob sich ein Spieler 14 Stunden am Tag im Casino aufhielt oder sich seine Begleitperson nur mal für 30 Minuten als Kiebitz beschäftigen wollte.

Der Veranstalter Casinos Austria entschloss sich aufgrund der Proteste diesmal dazu, das Komplettpaket abzuschaffen und den Gästen einen regulären Bestell- und Bezahlservice anzubieten. Natürlich passte diese Entscheidung dem Gastronomiebetreiber Do&Co überhaupt nicht und der wiederum entschloss sich, seinen Unmut in allerlei subversiven Spielchen Ausdruck zu verleihen. Der offensichtlichste Teil dieser Unmutkundgebungen spiegelte sich in den Getränkepreisen wieder. 4,10 Euro (= 5 Euro inklusive obligatorischem Trinkgeld) für einen Kaffee überschreitet selbst die gesalzenen Preise des weltberühmten Hotel Sacher in Wien. Aber auch die an sich sehr freundlichen Servicekräfte hatten so ihre merkwürdigen Direktiven von oben erhalten. Als ein Gast zur Feier seines Finaltisches bei einem Event eine Flasche Champagner ordern wollte, wurde ihm höflich mitgeteilt, dass er sich diese gefälligst selbst an der Bar abholen solle, da die Bedienung keine Champagnerflaschen servieren dürfe. Tut mir leid, aber für mich fällt diese Vorgehensweise eindeutig unter die Rubrik „Vorsicht – Kunde droht mit Auftrag“ und war mir bis dato grundsätzlich nur aus der Servicewüste Deutschland bekannt. Diese Faktoren schlugen sich zwangsläufig auch auf die Stimmung der Gäste nieder und so fehlte dieses Jahr jenes besondere Etwas, was das „Big Double“ in Baden so einzigartig machte.

Im Gegensatz dazu bot die Mannschaft rund um Turnierdirektor Edgar Stuchly erneut eine Spitzenvorstellung der Sonderklasse. Baden zieht jedes Jahr aufs Neue jede Menge Leute an, die am Turnier selbst überhaupt nicht interessiert sind, sondern nur aufgrund der ausgezeichneten Cashgame Action präsent sind. Im Gegensatz zu den EPT Orten Barcelona oder Kopenhagen, wo man stundenlang auf einen Platz warten muss, kamen hier nur selten Engpässe auf. Tische in den jeweiligen Limits wurden schnell und problemlos eröffnet, an das Spieleraufkommen angepasst und auch die Dealer machten in den meisten Fällen einen guten und kompetenten Job.

Buy-in und Struktur der EPT sind ja bekanntlich durch die Tour selbst vorgegeben, wobei ich zwischen den Zeilen lesen konnte, dass der Gastgeber, Casino Baden, mit dem Buy-in von 8.000 Euro überhaupt nicht glücklich war. Hier würde ich mir ebenfalls ein wenig mehr Flexibilität wünschen, sonst haben wir bei der EPT langfristig nur noch zwei Spielergruppen: Onlinequalifikanten und gesponserte Pros. Es kann nicht im Interesse der Tour liegen, ambitionierte Freizeitspieler, die sich online halt nicht qualifizieren konnten oder wollten, über die Höhe des Buy-ins quasi von der Veranstaltung auszuschließen. Und mit etwas gutem Willen geht es auch anders, wie man am Beispiel EPT Warschau und Prag mit dem jeweiligen Buy-in von 5.000 Euro sehen kann.

Im Gegensatz dazu wagte sich die Pokercrew von Casinos Austria bei der Durchführung der diesjährigen 7-Card Stud EM auf echtes Neuland.

Das Turnier wurde erstmals als Multitable Freezeout Turnier durchgeführt und die Generalprobe fand bereits im Juli mit dem 7-Card Stud Event während der Wörthersee Trophy statt. Nach dem damaligen Event fragte mich Edgar Stuchly, was ich von der Struktur halten würde. Ich antwortete ihm: „Der Timetable und die Steigerungen sind sehr gut, ich würde nur die Startchips von 5.000 auf 10.000 verdoppeln.“ Gesagt, getan, bei der Europameisterschaft gab es dann 10.000 Chips. Zwischenzeitlich dachte ich zwar, dass 15.000 bzw. 20.000 noch sinnvoller wären, aber die Realität zwingt dem Projekt auch gewisse Grenzen auf. Bei einer geplanten Turnierdauer von drei Tagen ist einfach nicht mehr drin! Dass der Event auf jeden Fall ein voller Erfolg war, sieht man schon an der Spieldauer des Finaltisches, der am dritten Tag von 18:00 Uhr bis 3:30 Uhr morgens ging. Es war der spannendste Finaltisch, den Baden jemals erlebt hatte. Für mich steht fest, dass hier von der Struktur her das beste Studturnier des Planeten ausgetragen worden ist.

In der Presse konnte man unter dem Titel „Der Weltmeister rastet aus“, mein Ausscheiden aus dem Turnier nachlesen und dies verlangt sicher nach einer näheren Erklärung.

Um es vorweg zu nehmen: In der Tat hatte ich unmittelbar bei meinem Abgang die Fassung verloren. Nach einer ziemlich schlechten Turnierwoche in Wien setzte sich auch bei der EPT und der Baden Open mein Downswing ungebrochen fort. Es sah jedes Mal gleich aus: Irgendwann in den ersten drei Stunden der jeweiligen Turniere habe ich als deutlicher Favorit versucht, ein ordentliches Stack für ein strategisches Moneyplay aufzubauen und dabei einen mehr oder weniger ausgeprägten Suckout kassiert. Als short Stack konnte ich mich dann meistens kaum noch rühren und habe nach weiteren ein bis zwei Stunden meine restlichen Chips mit der ersten spielbaren Hand, meistens als squeeze play nach zwei oder drei Limpern, gepusht. Jedes Mal werde ich gecallt, jedes Mal renne ich in eine bessere oder dominierende Hand und kein einziges Mal gelingt mir dann der Suckout.

Beim 7-Card sollte alles besser werden.

Schon zehn Tage vor dem Turnier hatte ich angefangen, täglich eine Stunde Card-Counting zu trainieren. Das lückenlose Abspeichern der offenen Karten ist ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg bei Studgames und da viel zu wenig Studturniere im jährlichen Kalender angeboten werden, muss diese Fähigkeit immer wieder aufgefrischt und trainiert werden.

Mein Tisch war im Prinzip ebenfalls ganz gut. Es waren zwar vier gute erfahrene Leute darunter aber auch ein Steinbeißer bzw. eine Steinbeißerin. Jene Spezies Pokerspieler, die man praktisch nur noch beim Stud findet, schauen fast nie auf die Karten ihrer Gegner, aber wenn sie selbst auch nur ein Paar Fünfer halten, beißen sie sich damit bis zum Showdown durch. Sie sind unbluffbar, aber auch ungeheuer wertvoll, weil sie stets passiv spielen und nicht die relative Stärke ihrer Hand in Bezug auf den Mitspieler einschätzen können. Die Steinbeißerin an meinem Tisch sollte eigentlich der Wegbereiter meines Erfolges werden. Stattdessen wurde sie mein Untergang. Ich will Euch hier nicht mit irgendwelchen Bad Beat Stories langweilen. Kurz gesagt: Zuerst verliere ich die Hälfte meines Stacks an sie, obwohl ich 96 Prozent Gewinnchance hatte. Eine halbe Stunde später bekommt sie auch noch meine restlichen Chips. Diesmal hatte ich allerdings „nur“ 92 Prozent auf Sieg. Ziemlich entnervt stehe ich auf und will mit einer wohl viel zu heftigen Handbewegung meinen MP3 Player greifen. Dabei rutscht er mir aus der Hand und die kinetische Restenergie reicht aus, um ihn an die etwa 70 cm entfernte, hinter mir befindliche Wand zu befördern. Aber er hat den nicht ganz freiwilligen Flug unbeschadet überstanden. Ich war keineswegs sauer auf die Dame, die sich so tapfer bis zum Showdown durchgekämpft hatte, schließlich wollte ich ja, dass sie ihre Chips in den Pot befördert. Ich fühlte mich einfach wie der berühmte Hamster im Rad, der den ganzen Tag Muskelarbeit leistet und dabei keinen einzigen Schritt vorwärts kommt. Nach einigen Minuten wurde ich mir allerdings meines Fehlverhaltens bewusst und habe mich natürlich für meinen stillosen Abgang entschuldigt.

Jetzt ist erst mal eine Woche Pokerpause angesagt und dann geht es wieder nach England bzw. Wales, wo ich an 2 Fernsehturnieren (888 UK-Open und Party Poker Late Night Poker) teilnehmen werde.

Euer Michael von free-888.com