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Neue Mindestabstände für Bremer Spielhallen Jeder fünften Bremer Spielhalle droht das Aus

Zum Juli 2017 treten die verschärften Regeln des Glücksspielstaatsvertrags in Kraft. In Bremen droht zahlreichen Spielhallen das Aus. Der Branchenverband ist alarmiert und kündigt Klagewellen an.
20.03.2017, 00:00 Uhr
Lesedauer: 3 Min
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Jeder fünften Bremer Spielhalle droht das Aus
Von Nico Schnurr

Zum Juli 2017 treten die verschärften Regeln des Glücksspielstaatsvertrags in Kraft. In Bremen droht zahlreichen Spielhallen das Aus. Der Branchenverband ist alarmiert und kündigt Klagewellen an.

Ein Fünftel aller Spielhallen steht in Bremen nach Angaben des Branchenverbandes vor dem Ende. Nach einer längeren Übergangsfrist treten im Juli dieses Jahres die verschärften Regeln aus dem Glücksspielstaatsvertrag der Länder in Kraft. Dann müssen nicht nur neue, sondern auch alte Spielhallen Mindestabstände einhalten. Betreiber sollen in Bremen künftig mindestens 250 Meter auseinander liegen. Mit dem Vertrag wollen Bund und Länder das Glücksspiel eindämmen und die Spielsucht wirksamer bekämpfen.

„Bei den Bremer Betreibern herrscht ­totale Unsicherheit, viele fürchten um ihre Existenz“, sagt Detlev Grass. Der erste Vorsitzende des Nordwestdeutschen Automatenverbandes schätzt, dass rund 30 Bremer Spielhallen ab Juli schließen müssen. Über 150 Arbeitsplätze stünden auf dem Spiel. Besonders da, wo sich in Bremen die Angebote ballen, im Bereich des Hauptbahnhofs und in Bremen-Vegesack, dürfte zahlreichen Betreibern das Aus drohen, glaubt Grass.

Welche Spielhalle dichtmachen muss, wenn zwei unmittelbar nebeneinander angesiedelt sind, wird in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich geregelt. In Bremen sollen vor allem drei Kriterien bestimmen, wer in einem solchen Fall die Konzession für die nächsten fünf Jahre erhält. ­Besteht ein Betrieb bereits seit 20 Jahren, ist er mindestens die Hälfte dieser Zeit vom gleichen Unternehmer geführt worden und fünf Jahre lang steuerunauffällig geblieben, greift eine Härtefallregel. Die Spielhalle darf dann geöffnet bleiben. Sollten die benachbarten Spielhallen die drei Kriterien nicht erfüllen, hilft den Betreibern vor allem eins: Glück.

Im Zweifelsfall entscheidet das Losverfahren

„Im Zweifelsfall wird ein Losverfahren über die Konzessionsvergabe entscheiden“, bestätigt Holger Bruns, Sprecher von Martin Günthner (SPD), Senator für Wirtschaft, Arbeit und Häfen. Der Branchenverband ­kritisiert das geplante Vorgehen. Er stehe hinter dem Staatsvertrag, betont Grass. Konzessionen per Losentscheid zu vergeben, käme allerdings einem „willkürlichen Vernichten von Existenzen“ gleich.

Trotz der fünfjährigen Übergangsphase seit 2012 wisse kaum ein Bremer Betreiber, ob es mit seinem Unternehmen ab Juli weitergehe. Bislang seien kaum Konzessionen ausgestellt worden. „Diese Ungewissheit ist eine Katastrophe für die Branche in Bremen“, sagt Grass, der von einem „Eingriff in das Grundrecht“ spricht. Sollten die Glücksspielbetreiber tatsächlich selbst dem Glück ausgeliefert sein, müsse mit Widerstand der Branche gerechnet werden, betont Grass. „Bleibt es beim Losentscheid, dürften das die Wenigsten hinnehmen – Bremen droht dann ganz sicher eine große Klagewelle.“

Für Niedersachsen geht der Verband sogar von einem noch drastischeren Szenario aus. Etwa 1000 Spielhallen, die Hälfte der niedersächsischen Betriebe, drohe das Aus, wenn die verschärften Regeln ab Jahres-­mitte greifen. Rund 4000 Beschäftigte müssten um ihren Arbeitsplatz bangen.

Zwischen 1100 und 3100 pathologische Spieler in Bremen

Der Bremer Glücksforscher und Leiter der Fachstelle Glücksspielsucht, Gerhard ­Meyer, begrüßt die strengeren Vorgaben ab Juli 2017. Aus Sicht der Suchtprävention sei der neue Mindestabstand eine sinnvolle Maßnahme, weil er die Verfügbarkeit von Spielautomaten reduziere. Aus der Forschung wisse man, dass das Angebot die Nachfrage und damit die Zahl der Spielsüchtigen bestimme. Die verschärften Regeln wertet Meyer deshalb als einen „Schritt in die richtige Richtung“. Für eine wirklich effektive Suchtprävention reichten die neuen Verordnungen dennoch nicht aus. Noch immer ­seien die Spielanreize mit einem Speichersystem, das es ermögliche, bis zu 1200 Euro innerhalb von drei Stunden zu gewinnen, deutlich zu hoch, findet Meyer. Auch wirft er der Branche einen unzureichenden Spielerschutz vor. Seine Praxistests zeigten, dass süchtige Spieler in Bremer Spielhallen zu selten gezielt vom Automaten ferngehalten würden.

Nach Angaben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sind drei von vier Spielsüchtigen, die sich in Therapie begeben, Automatenspieler. Insgesamt spielten 2,9 Prozent der Deutschen zwischen 16 und 70 Jahren regelmäßig an Geldspielautomaten. Für Bremen wird die Anzahl der pathologischen Spieler auf 1100 bis 3100 Menschen geschätzt. Zwischen 1600 bis 3000 Bremer gelten als gefährdet, spielsüchtig zu werden.

Der erste Verbandsvorsitzende Detlev Grass glaubt nicht, dass eine massenhafte Schließung von Spielhallen das Glücksspiel eindämmen werde. Die Kunden würden einfach ins Internet abwandern, wo die Spiele häufig völlig unkontrolliert abliefen, sagt Grass: „Nur ein legales Spiel kann überhaupt kontrolliert werden.“

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