In Campione d’Italia rollt die Kugel wieder

Dreieinhalb Jahre nach seiner Zwangsschliessung ist das Kasino in der italienischen Enklave wiedereröffnet worden. Das werden auch die Tessiner Spielbanken merken.

Gerhard Lob, Campione d’Italia
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Das von Mario Botta gebaute Kasino war über drei Jahre geschlossen.

Das von Mario Botta gebaute Kasino war über drei Jahre geschlossen.

Simon Tanner / NZZ

Für die kleine Gemeinde Campione am Luganersee ist es ein freudiger Moment. Kurz nach 12 Uhr setzt sich am Mittwoch die Drehtür zur gigantischen Spielbank wieder in Bewegung. Dreieinhalb Jahre war sie geschlossen. Es warten einige Dutzend Personen draussen. Sie wollen die Ersten sein, die im wiedereröffneten Kasino ihr Glück versuchen. Doch sie müssen sich zuerst registrieren – mitsamt Fingerabdrücken. Künftig können sie dann ohne erneute Anmeldung über Touchscreens in den Spieltempel gelangen. Die neue Formel lautet «All in one Touch». Auch für den Green Pass, das Covid-Zertifikat, stehen elektronische Lesegeräte bereit.

Weniger Personal, weniger Lohn

«Es ist ein sehr emotionaler Moment», sagt Tiziana Pastrolin am Empfang. Die 51-Jährige war als Croupière tätig gewesen, bevor die Behörden am 27. Juli 2018 die Eingänge versiegelten. Für die Bevölkerung war das ein Schock. Ein Schuldenberg von mehr als 100 Millionen Franken lag damals auf dem Casinò Municipale in der italienischen Enklave. Etwa 500 Angestellte verloren ihren Job, viele von ihnen mit Wohnsitz im Tessin. Die kleine Gemeinde als 100-prozentige Eigentümerin des Kasinos ging bankrott. Die Gemeindepolizei hatte nicht einmal mehr Geld, um die Streifenwagen zu betanken. Der Kindergarten musste schliessen, eine Reihe von Familien glitt in die Armut ab und war sogar auf Lebensmittelspenden angewiesen. Denn in Campione liegen die Preise auf Schweizer Niveau. Die Arbeitslosenentschädigungen für die Campionesi wurden aber nach italienischen Ansätzen berechnet.

Mehrere Jahre hat es gedauert, um den Scherbenhaufen zusammenzukehren, und bevor ein Gericht in Como den Weg zu einem Relaunch freimachte und einen Businessplan genehmigte. «Wir haben den Betrieb gegenüber früher deutlich verkleinert», sagt der Verwaltungsratsdelegierte der Casinò Campione SA, Marco Ambrosini, der am Eingang das Eintreffen der ersten Gäste mitverfolgt. Künftig werden nur noch 174 Personen – statt der früheren 500 – auf der Lohnliste stehen. Auch die Gehälter liegen deutlich tiefer. Der Durchschnittslohn beträgt noch 3600 Franken brutto pro Monat. Dazu kommen allfällige Trinkgelder. Vor dem Konkurs lagen die Gehälter rund doppelt so hoch.

Nun also die Wiedergeburt, «la rinascita». Innerhalb von fünf Jahren sollen die verbliebenen Schulden zurückbezahlt werden. Im reduzierten Modus wird nun noch mit einem Bruttospielertrag von 40 Millionen Euro gerechnet, wobei diese Summe – genau wie die Zahl der Angestellten – mit den Jahren wieder ansteigen sollte. Zum Vergleich: Im letzten ordentlichen Betriebsjahr vor der Schliessung (2017) erwirtschaftete die Spielbank einen Bruttospielertrag von 90 Millionen Euro. Zudem wollen Campione und die Casinò-Gesellschaft zukünftig nicht mehr nur auf das Glücksspiel setzen. In dem mehrstöckigen Gebäude sollen bald auch Geschäfte und Restaurants Einzug halten.

Neu Teil der EU

Für die Campionesi ist die Wiedereröffnung der Spielbank ein Silberstreifen am Horizont. Was bleibt, ist das zweite grosse Problem, das am 1. Januar 2020 durch die Integration des Ortes in das Zollgebiet der EU entstanden ist. Die Gemeinde war bis zum damaligen Zeitpunkt Teil der Schweizer Zollunion. Die Statusänderung brachte beträchtliche Komplikationen. Autos mussten umgemeldet werden, die Schweizer Post verschwand. Alle Waren müssen nun beim Import nach Campione deklariert werden, das gilt beispielsweise für Heizöl, das traditionsgemäss bei Tessiner Mineralölfirmen geordert wird. «Eine italienische Bürokratie der schlimmsten Sorte», so schimpfen viele Campionesi, die immer stolz waren, eine Art von Schweizern auf italienischem Territorium zu sein.

Wenig Freude an einer Wiederöffnung von Campione dürften derweil die Tessiner Spielbanken haben. Sie profitierten von der Schliessung des Kasinos, vor allem das Casinò Admiral in Mendrisio, aber auch das Kasino in Lugano. Ihre Bruttospielerträge machten schöne Sprünge nach vorne. Nun dürften sie wieder Anteile verlieren.

Campione d’Italia ist eine vom Kanton Tessin umgebene italienische Exklave mit knapp 2000 Einwohnern.

Campione d’Italia ist eine vom Kanton Tessin umgebene italienische Exklave mit knapp 2000 Einwohnern.

Simon Tanner / NZZ

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