Spielhallen und Regulierung

Workshop: Deutsche Spielhallen gesetzlich mehr eingeschränkt

Stuttgart/Berlin, 29.3./8.4.2012. Der Leiter der Forschungsstelle Glücksspiel der Universität Hohenheim, Tilman Becker, überraschte seine Gäste im Euroforum der Universität mit neuen Sitzpolstern auf den harten, streng angeordneten Holzbänken. Beim Glücksspiel dagegen „gibt es ein lustiges Durcheinander“, bemerkte Tilman Becker in seiner Eröffnungsrede zum Thema „Spielhallen und Regulierung“. Geschuldet sei dies der föderalen Staatsstruktur in Deutschland.

Der Sonderweg Schleswig-Holsteins gegen die 15 anderen Länder bedeute, so Becker, dass die Gesetzgebung nicht kohärent werde und nicht mit EU-Recht vereinbar sei.

Dem widersprach in der Podiumsdiskussion aus dem Publikum Martin Pagenkopf, von 1989 bis 2009 Richter am Bundesverwaltungsgericht (http://tinyurl.com/cy42dm4). Es sei es eine Mär, dass die Kohärenz mit dem Europäischen Recht nicht gegeben ist. „Das stimmt nicht und wurde von Journalisten einfach verbreitet.“ Pagenkopf stellte klar, das Bundesverwaltungsgericht hat mit einem Beschluss vom 12. Februar 2012 offene Fragen des Kohärenzproblems benannt (Az. 8 B 91.11) über die erst noch entschieden wird (http://tinyurl.com/bn592au).

Martin Reeckmann, Rechtsanwalt und Vorstandssprecher des Bundesverbandes der privaten Spielbanken (BupriS), bestätigte den Sachverhalt am Ende der Meinungsrunde: Aus dem Sonderweg Schleswig-Holsteins entstehe „nicht per se die mangelnde Kohärenz mit den EU-Rec ht“ . Reec kmann k r itis ier te z udem die „Selbs twahrnehmung“ v ieler Diskussionsführer, die noch nicht so weit gereift sei, die gemeinsamen Lösungen zur Regulierung des Glückspiels zu sehen. Das sollte jedoch angestrebt werden.

Die Podiums- und Impulsreferenten saßen ab kurz nach vier Uhr im steckdosenarmen, aber durch die Glasverkleidung warmen Veranstaltungsraum des Euroforums: Tilman Becker von der Glückspielforschungsstelle der Universität Hohenheim, Hans-Joachim Abstein von der Landesstelle für Suchtfragen und Martin Beutel vom Therapiezentrum Münzesheim. Außer ihnen standen den Gästen Rede und Antwort: Robert Hess, Leiter Kommunikation der Schmidtgruppe, Günther Zeltner von der Evangelischen Gesellschaft Stuttgart e. V. sowie Matthias Brehm, Regierungsdirektor beim baden-württembergischen Wirtschaftsministerium, schließlich Michael Mühleck von der Firma Harlekin GmbH, Jörg Weißleder, Gutachter für Automatengeräte, und Hans-Ulrich Stühler, Leiter des Rechtsamtes der Stadt Reutlingen. Günther Zeltner von der Evangelischen Gesellschaft eröffnete die Podiumsrunde mit der Einschätzung, bei Spielhallen bestehe Regulierungsnachholbedarf.

Hans-Ulrich Stühler hält die Deutschen für „normensüchtig“, sagte er in seinem Vortrag zum Baurecht bei Vergnügungsstätten. Die Gesetzgeber fokussierten sich städtebaurechtlich „auf die Spielhallen seit 30 Jahren“. Das sei legitim: „der Mensch will spielen“, aber problematisch blieben die Wettbüros. „Ich möchte die Wettsucht mal wissenschaftlich untersucht haben.“

Baugenehmigungen für Wettbüros gebe es nicht, „die machen schwarz auf“. Spielhallenbetreiber stellten hingegen zwei Anträge und dazu gehöre auch die Baugenehmigung.

Von den Bauämtern werden Spielhallen zunehmend abgelehnt. Stühler hat wenig Mitleid mit der Spielhallenbranche: „Das wahnsinnige Beantragen von Spielhallen hat dazu geführt.“ Es
wird von einer „unsäglichen Ansammlung von Spielstätten ausgegangen“.

Hans-Joachim Abstein aus Baden-Württemberg sieht einen Anteil von 71 Prozent der Suchthilfesuchenden, deren Erkrankung durch das Spiel an Geldspielautomaten entstanden sei. Diesbezüglich bestünde Regulierungsbedarf. Die technische Gestaltung der Automaten steigere das pathologische Spiel und in der Folge das Suchtverhalten. Ebenso suchfördernd sei die Erreichbarkeit durch die nachbarschaftliche Nähe zu den Spielstätten, die sogenannte „Griffnähe“.

Martin Beutel vom Therapiezentrum Münzesheim äußerte mit Sicht auf das Verhalten Spielsüchtiger: „Alle haben ihre Familien betrogen, ihre soziale Situation ins Unglück gestürzt.
Ihre Familien leben am Pfändungsrand.“ Die Folgeerkrankungen betreffen nach Beutel auch den seelischen Bereich. Er bezeichnete Spielsucht als kulturell nicht akzeptierte Sucht und forder te Regeln zur phy s ikalis ch- technis chen Aus rüs tung der Automaten, Sperrverordnungen bei den Öffnungszeiten von Spielstätten sowie Warnhinweise in Gaststätten mit der Aufschrift: „Halten Sie sich von Spielautomaten fern.“

Diskussionsleiter Zeltner verwies auf die wechselnden Problemfelder: Vor dreißig Jahren wurden Spielsüchtige nur den Spielbanken zugeordnet, heute stünden die Spielhallen im Vordergrund.

Mühleck von der Harlekin GmbH bemerkte, „im Grunde müsste man die Spieler genug Geld verdienen lassen“, dann würden sie auch nicht geschädigt, sprich zu pathologischen Spielern. Nach Ausschüttungen von regionalen Großunternehmen an ihre Mitarbeiter steige in den Regionen die Anzahl der Spielstättenbesuche. Für den Spielerschutz habe Mühleck in seinem Unternehmen das Mindestalter auf 21 Jahre heraufgesetzt.

Nach Ansicht von Robert Hess, Leiter Kommunikation der Schmidtgruppe, sei der „Sündenbock Automatenspiele ja gefunden“, aber die Probleme und Erkenntnisse beträfen „alle Marktteilnehmer“.

Jörg Weißleder, öffentlich bestellter Gutachter für Automatengeräte, ergänzte: „die Geräte sind nicht so manipulationssicher, wie es sein sollten.“ Die Gewinngrenzen beim Geldautomatenspiel begrüßte er und sei sich sicher, die Automatenindustrie stehe auf seiner Seite: „Man muss nicht 50.000 Euro an einem Automat gewinnen können“, so Jörg Weißleder. Michael Mühleck von der Automatenseite Firma Harlekin nickte bestätigend zu dieser Aussage.

Beutel forderte, „aus Sicht der Patienten müssen die Geräte umgebaut werden.“ Auf ECAutomaten in den Stätten zu verzichten, wäre hilfreich. „Die Süchtigen können nicht aufhören, das Geld im Kasino auszugeben.“ Das Sperren sollte einheitlich geregelt sein.

Mühleck wünschte sich in der Schlussrunde, „die Arbeitsplätze in Baden-Württemberg erhalten zu können und eine faire Chance zu bekommen.“

Ulrich Stühler stellte klar, Deutschland habe andere wichtigere Probleme. Er schlug der Spielhallenbranche Selbstbeschränkungen vor, „dann werden die Gesetze nicht so hart.“

Zeltner fragte zum Abschluss, ob das Glücksspiel und die Suchtprävention als eine „zivilisatorische Aufgabe“ zu verstehen sei und der Umgang mit dem Glücksspiel gelernt werden könne? „Eher nicht“, meinte Beutel: „oder können Sie sich vorstellen, mit einer Schulklasse eine Spielhalle zu besuchen?“

Becker hofft, dass anlässlich des Symposiums Mitte Oktober 2012 (https://gluecksspiel.uni-hohenheim.de/symposium) auch Ulrich Schönleiter, Minis ter ialdir igent beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi), zur Diskussion kommen wird.