Zwischenbilanz Glücksspielstaatsvertrag: Glücksspielsymposium stellt Negativ-Zeugnis aus

„Suchtpotential von Lotto wird überschätzt“: 7. Jahressymposium der Forschungsstelle Glücksspiel an der Universität Hohenheim kritisiert „teils unvernünftige Anforderungen“ an Lotteriespiel

Der Glücksspielstaatsvertrag stelle eine Reihe von Anforderungen an die Lotterien, die aus der Perspektive des gesunden Menschenverstands schlichtweg unvernünftig seien – so lautet das Fazit, das der Leiter der Forschungsstelle Glücksspiel, Prof. Dr. Tilman Becker, im Anschluss an das 7. Glücksspielsymposium an der Universität Hohenheim zieht. Zwei Tage lang waren 30 Referenten und 170 Teilnehmer zusammengekommen, um Zwischenbilanz zum Glücksspielstaatsvertrag für Lotterien und Sportwetten zu ziehen. Ihr Fazit: das Suchtpotential für Lottospieler werde überschätzt.

„Der Glücksspielstaatsvertrag geht davon aus, dass den in Deutschland traditionell angebotenen Lotterien ein ganz erhebliches Suchtgefährdungspotential innewohnt. Dass dies nicht der Fall ist, wurde mittlerweile wissenschaftlich nachgewiesen.“

Insgesamt seien in Deutschland etwa 5 Millionen Bürger nikotinsüchtig und knapp 2 Millionen Bürger alkoholsüchtig. „Dagegen zeigen nur etwa 1000 Bürger ein pathologisches Konsumverhalten bei Lotterien. Aus wissenschaftlicher Sicht kann nicht ernsthaft von einer Lottosucht gesprochen werden. Doch auf der anderen Seite ist die staatliche Regulierung der Werbung bei den Lotterien sehr viel strenger, als bei Alkohol und Tabak“, kritisiert Prof. Dr. Becker.

So seien sich alle Teilnehmer einig, dass in dem Glücksspielstaatsvertrag eine bessere Differenzierung der verschiedenen Formen des Glücksspiels angebracht wäre. „Konkret geht es nicht an, dass ungefährliche Formen des Glücksspiels, wie die Lotterien, genau denselben Restriktionen und Anforderungen unterliegen, wie die Glücksspielautomaten in Spielbanken und andere Casinospiele“, so Prof. Dr. Becker.

Aus der Perspektive der Suchtforschung stelle der Gesetzgeber die Welt auf den Kopf. „Die wirklich gefährlichen Formen des Glücksspiels, die Spielautomaten in Spielhallen und Gaststätten, werden kaum reguliert und die ungefährlichen Formen des Glücksspiels, wie die Lotterien, werden überreguliert. Hier besteht doch ein erheblicher Nachbesserungsbedarf des Gesetzgebers.“

Das Internetverbot für Glücksspiele des Glücksspielstaatsvertrags verbietet auch das Abgeben eines Lottoscheins über das Internet. „Dies ist ein weiteres Beispiel für eine Form der Überregulierung bei Lotterien, die aus wissenschaftlicher Sicht nicht nachzuvollziehen ist,“ so Prof. Dr. Becker.

Föderales System als Hindernis

Daneben beklagten die Teilnehmer, dass der Glücksspielstaatsvertrag die Vermittlung der staatlichen Lotterien explizit erlaube, die Praxis in der Erlaubniserteilung für die Vermittlung der Lotterien jedoch einem Verbot gleichkommt. Insbesondere ging es hier um die Lotterie „6 aus 49“ und die anderen Lotterien, die von den Lotteriegesellschaften der Bundesländer angeboten werden, und um die Klassenlotterien.

„Die Glücksspielaufsichtsbehörden der einzelnen Bundesländer stellen an die Vermittlung ganz unterschiedliche Anforderungen. Die Werbekonzepte eines Lotterievermittlers, wie z.B. Faber, sind in jedem Bundesland der jeweiligen Aufsichtbehörde vorzulegen. Als Ergebnis ergeben sich 16 unterschiedliche Anforderungen, die sich zum Teil widersprechen und nicht alle gleichzeitig eingehalten werden können. Das föderale System erweist sich an dieser Stelle nicht als ein Vorteil, sondern als Hindernis“, erklärt Prof. Dr. Becker.

Forschungsbedarf bei Sportwetten

Weiteren Forschungsbedarf sieht Prof. Dr. Becker bei der Regulierung von Sportwetten. Bislang sieht der Glücksspielstaatsvertrag hier ein staatliches Monopol des jeweiligen Bundeslandes vor. Schleswig-Holstein hat den Glücksspielstaatsvertrag aufgekündigt und will ihn nicht verlängern.

„Es wurde deutlich, dass der Hintergrund hierfür die Hoffnung ist, bei einer Liberalisierung, das heißt, einem Konzessionssystem, höhere Einnahmen für den Landeshaushalt zu erhalten als in der gegenwärtigen Situation des staatlichen Monopols. Kontrovers wurde diskutiert, ob dies auch wirklich der Fall sei. Leider fehlen hierzu bisher wissenschaftliche Studien“, resümiert Prof. Dr. Becker.

Hintergrund Glücksspielstaatsvertrag

Der Glücksspielstaatsvertrag koordiniert die Gesetzgebung zu Glücksspielen in den einzelnen Bundesländern und stellt den gesetzlichen Rahmen dar, auf den sich die Länder geeinigt haben. Der Glücksspielstaatsvertrag läuft Ende 2011 aus und gegenwärtig findet eine Evaluation statt.

Symposium der Forschungsstelle Glücksspiel

Zwei Tage lang hatte sich das alljährliche Symposium der Forschungsstelle Glücksspiel speziell mit dem Thema „Zwischenbilanz zum Glücksspielstaatsvertrag für Lotterien und Sportwetten“ beschäftigt. Insgesamt nahmen an der Veranstaltung etwa 170 Teilnehmer und 30 Referenten teil. Zu den Teilnehmern hatte die Forschungsstelle neben Wissenschaftlern auch Vermittler und Veranstalter von Lotterien und von Sportwetten sowie Vertreter aus Regulierungsbehörden und aus der Politik eingeladen. Programm und Vortragsfolien in Kürze unter https://gluecksspiel.uni-hohenheim.de/. Die Vorträge selber werden in einigen Monaten in einem Sammelband erscheinen.