Interview mit der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: Thema Spielsucht – Wie ernst ist die Gefahr?

Reinhold Schmitt
ISA-GUIDE Chefredakteur (V.i.S.d.P.)
E-Mail: info@isa-guide.de


Vor wenigen Wochen hat Rheinland-Pfalz als erstes Bundesland Poker Sachpreisturniere verboten. Aus diesem aktuellen Anlass führten wir ein Interview mit der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.

Reinhold Schmitt, ISA-GUIDE: Seit Inkrafttreten des Glücksspielstaatsvertrags im Januar erfährt das Thema Spielsucht eine nie da gewesene Aufmerksamkeit. Ist die Gefahr der Spielsucht bzw. die Zahl der Spielsüchtigen in den letzten Jahren tatsächlich so stark gestiegen?

Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: Bereits seit über 20 Jahren suchen glücksspielsüchtige Menschen vermehrt Hilfe in den Einrichtungen der Suchtkrankenhilfe und den Selbsthilfegruppen. Aktuell wird geschätzt von bis zu 170.000 glücksspielsüchtigen Spielerinnen und Spielern in Deutschland ausgegangen. Ein zunehmender Beratungsbedarf bei Angehörigen und betroffenen Spielern sowie die Zunahme der Risiken durch die Ausweitung der Glücksspielangebote im Internet machen deutlich, dass es sich um eine ernstzunehmende Problematik handelt. Deshalb sind effektive und effiziente Maßnahmen unerlässlich. Dazu gehören sowohl präventive Strategien als auch gesetzliche Regelungen.

ISA-GUIDE: Gemeinsam mit dem Deutschen Lotto- und Totoblock haben Sie das Informationsportal „Spielen mit Verantwortung“ zum Thema Glücksspielsucht ins Leben gerufen. Wie stark ist die Plattform besucht und wie hat sich die Zahl der Beratungsanfragen in den letzten Monaten entwickelt?

BZgA: Das Informationsportal „spielen-mit-verantwortung“ existiert seit drei Monaten. In dieser kurzen Zeitspanne waren insgesamt über 130.000 Besuche mit steigender Tendenz zu verzeichnen. Ebenfalls nimmt die Anfrage zum Onlineberatungsprogramm zu. Bis jetzt haben ca. 60 Spielerinnen und Spieler ernsthaftes Interesse an einer Aufnahme ins Beratungsprogramm gezeigt.

ISA-GUIDE: Als Wissenschaftlerin beschäftigen Sie sich u.a. mit dem Gefahrenpotential bei Spielsucht. Sehen Sie unterschiedlich große Risiken bei privaten und staatlichen Spielangeboten und wenn ja, warum?

BZgA: Wir sehen ein wachsendes Risiko in der Ausweitung des Glücksspielangebots im Internet, vor allem was Poker und Sportwetten betrifft. Gerade bei diesen Angeboten ist eine verlässliche Zugangskontrolle und Reglementierung im Vergleich zu staatlichen Spielangeboten auch im Hinblick auf den Jugendschutz in keinerlei Hinsicht gewährleistet. Erschwerend kommt hinzu, dass hierbei sowohl die eigenen Kompetenzen überschätzt werden als auch eine „soziale Kontrolle“ entfällt, weil meistens alleine in den „eigenen vier Wänden“ gespielt wird.

ISA-GUIDE: Wir haben aus Neugier den Selbsttest auf Ihrem Informationsportal durchgeführt. Obwohl wir nur angekreuzt haben, gelegentlich Lotto & Oddset zu spielen, lautete die Empfehlung, am besten ganz mit dem Spielen aufzuhören. Tut das Ihrem Kooperationspartner Lotto nicht sehr weh, wenn die Umsatzerlöse perspektivisch weiter zurückgehen?

BZgA: Unter präventiven Aspekten enthält der Selbsttest Empfehlungen, bei riskantem Spielverhalten von Glücksspielen mit hohem Suchtpotenzial, das eigene Spielverhalten zu überdenken und gegebenenfalls auf weiteres Spielen zu verzichten. Diese Empfehlung erfolgt auch bei risikoreicher Teilnahme an Oddset-Wetten. Das Oddset-Wettangebot ist von Experten als Glücksspiel mit erhöhtem Suchtpotenzial eingeordnet worden. Deshalb sind für Oddset auch bereits reglementierende Maßnahmen umgesetzt worden, wie zum Beispiel die Möglichkeit der Selbstsperre oder besserer Jugendschutz durch Einführung der Kundenkarte.

ISA-GUIDE: Rheinland-Pfalz hat vor wenigen Wochen als erstes Bundesland private Poker Sachpreisturniere verboten. Andere Länder wollen nun nachziehen. Gleichzeitig erweitern viele Spielbanken und Casinos ihre Pokerangebote (Cash-Games) und das alles ganz legal. Wie erklären Sie sich dieses Vorgehen: Privates Pokerspiel verbieten – staatliches Pokerspiel stärken?

BZgA: Die rasante Entwicklung der Ausweitung aller Pokerangebote und die zunehmende Attraktivität bei Jugendlichen, sehe wir sehr kritisch. Die Grenzen vom vermeintlichen Unterhaltungsspiel bis hin zum Glücksspiel verlaufen hierbei fließend. Deshalb halten wir Maßnahmen zur Information und Aufklärung über Risken des Pokerspiels, sowie gesetzliche Regelungen zur Gewährleistung des Jugend- und Spielerschutzes für dringend notwendig.

ISA-GUIDE: Die Bundesländer argumentieren, dass nur ein staatliches Glücksspielangebot in der Lage ist, Jugendschutz zu gewährleisten und Spielsucht zu verhindern. Bedeutet dies, dass eine Spielsuchtberatung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung bald nicht mehr notwendig ist?

BZgA: Natürlich nicht. Nur eine Verknüpfung verschiedener Maßnahmen, wie beispielsweise die Gewährleistung des Jugendschutzes, ein übergreifendes Sperrsystem, bundesweite und regionale Informations- und Beratungsangebote, kann auf Dauer in der Lage sein, eine Ausweitung des Problems zu verhindern.

ISA-GUIDE: Wir danken Ihnen für das informative und offene Gespräch.