Das Spiel mit der Sucht: Wie deutsche Casinos Schweizer Spielsüchtige locken

Ralph Denzel | 
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Casinomitarbeiter bemerken bei zwischen 60 und 80 Prozent ihrer Kunden Tendenzen von Spielsucht. Bild: Pixabay

Viele Casinos ennet der Grenze haben es speziell auch auf Schweizer Spielsüchtige abgesehen – aus einem perfiden Grund.

Das Geld liegt auf der Strasse – oder in den Glücksspielhallen. Dort kann man binnen weniger Momente reich werden. So zumindest der fromme Wunsch vieler, die sich teilweise täglich an Automaten setzen und zocken. Das Kalkül geht dabei nur im seltensten Fall auf. Oft genug stehen am Ende herbe Verluste und nicht selten auch eine Spielsucht, die man nur schwer in den Griff bekommt. Vor allem in der Grenzregion greift dabei ein perfides Muster: Immer mehr Glückspielbetreiber verlegen ihre Casinos nahe an die Grenze. Das hat einen einfachen Grund.

Wie deutsche Spielcasinos Glücksspielsüchtige locken

Lottstetten ist ein kleiner Ort, aber hat eine reiche Infrastruktur. Direkt am Ortseingang lässt sich ein Lidl finden, in unmittelbarer Nähe zu einem Textildiscounter und Schuhläden. Der Ort ist beliebt, vor allem bei Schweizern, die dort einkaufen gehen können – oder zocken. 

Für die Gemeinde lohnt sich das Casino. Laut Andreas Morasch, Rechnungsamtsleiter in Lottstetten, macht der knapp 2000 Einwohner starke Ort jährlich Steuereinnahmen zwischen einer und zwei Millionen Euro. «Umsätze in Spielhallen werden mit 15 Prozent Vergnügungssteuer besteuert, Geräte in Gaststätten, also ausserhalb von Spielhallen, mit 10 Prozent.» So ist es nicht verwunderlich, dass auch ausserhalb des Casinos immer wieder in den Kneipen und Gaststätten Spielautomaten zu finden sind. Für Andreas Morasch ein zweischneidiges Schwert. «Rein finanziell gesehen sind das Reineinahmen für die Gemeinde», so der Experte. Gleichzeitig stehe aber auch die moralische Frage im Raum, die man auch nicht ausser Acht lassen dürfte und die auch in Lottstetten durchaus bekannt sei.

Denn diese Spielhallen sind vor allem für Leute mit Spielsuchtproblemen ein heisses Eisen. Lässt sich ein Spieler in der Schweiz wegen Spielsucht sperren, ist diese Sperre in der gesamten Schweiz für ein Jahr gültig - ennet der Grenze allerdings nicht. 

«Eine Spielsperre ist die ultimative Massnahme, wenn ein Gast riskiert, über seine Verhältnisse zu spielen oder spielsüchtig zu werden», erklärt uns Hans Rudolf Meier, Leiter Compliance bei der Swiss-Casino-Gruppe, die auch in Schaffhausen das Casino betreibt. «Die meisten Sperren sind entweder freiwillige Sperren des Spielers oder der Spielerin oder von uns angeordnete Sperren aufgrund von Verhaltens- oder Besuchsmerkmalen des Gastes.» Diese Sperren sind dann schweizweit gültig, wie Hans Rudolf Meier erklärt. Eine solche Sperre wird «in einem gesamtschweizerischen und casinoübergreifenden System erfasst. Damit wird verhindert, dass die gesperrte Person einfach in einem anderen Schweizer Casino weiterspielen kann.» Die Zugriffsrechte wie auch der Datenaustausch dieses Sperrregisters sind gesetzlich genau festgelegt. Das Casino muss den Spieler oder die Spielerin über die erfolgte Sperre informieren und diese Massnahme auch begründen.

«Um wieder spielen zu können, kann ein Spieler, der angeordnet gesperrt wurde, jederzeit einen Antrag zur Aufhebung seiner Sperre stellen.Die heutige Praxis bei Swiss Casinos ist, dass eine gesperrte Person erst nach einem Jahr einen schriftlichen Antrag bei jener Spielbank stellen kann, wo sie gesperrt worden ist.» Ab nächstem Jahr ist es allerdings auch - zumindest theoretisch - möglich, sich bereits nach drei Monaten wieder entsperren zu lassen, sofern die Sperre vom Spieler selbst freiwillig kam.

Allerdings muss der Spieler für die Aufhebung seiner Sperre in jedem Fall viele Anstrengungen unternehmen: «Damit das Casino diesen Antrag prüfen kann, muss der Gast je nach finanzieller Situation einen Betreibungsregisterauszug, Lohn- oder beziehungsweise Vermögensnachweise vorlegen. Für eine zweifelsfreie Beurteilung zieht die verantwortliche Person im Casino eine externe Fachperson oder Suchtfachstelle bei», so Hans Rudolf Meier. Wenn dann die Voraussetzungen, die zu einer Spielsperre geführt haben, nicht mehr gegeben sind, wird diese aufgehoben. Wenn nicht, «bleibt die betroffene Person bis auf Weiteres vom Spiel in allen Schweizer Spielbanken ausgesperrt und kann je nach Art der Sperre (freiwillig oder angeordnet) nach einigen Monaten ein neues Gesuch stellen.»

Die Sperre umgehen, indem man nach Deutschland geht

Das Problem dabei: In Deutschland gilt diese Sperre nicht – und die Sperrregeln sind auch nicht so strikt wie in der Schweiz. Und das führt zu einem weiteren Problem, welches auch Patrik Dörflinger von der Suchtberatung Schaffhausen immer wieder erlebt. Auf Anfrage bestätigt er: «Ich habe öfter mit solchen Personen zu tun.»

Damit meint er diese Menschen, die sich in der Schweiz gesperrt haben und dafür nun nach Deutschland ausweichen, um dort zu spielen. «So wie es zum Beispiel immer mehr Friseure in der Grenzregion gibt, werden auch immer mehr Spielcasinos in der Grenzregion eröffnet», so der Experte. Das Ziel laut ihm: «Schweizer Kunden sollen bedient werden.» Auch wenn man sich in der Schweiz gesperrt hat: Die Sucht ist noch da und die Grenze, egal wo, nicht so weit entfernt, als dass man für die Befriedigung seiner Sucht nicht auch mal ein paar Kilometer fahren könnte.

Vor allem auch Berufspendler, zum Beispiel Leute die in Schaffhausen leben und in Zürich arbeiten, fahren regelmässig an Lottstetten vorbei. Ein kurzer Abstecher ins Casino ist dabei leicht möglich.

Auch bei seinem Kollegen, Lars Kiefer, Fachleiter von der Leiter der Fachstelle Sucht und Prävention in Singen, ist das Problem nicht unbekannt. Er sieht aber auch ein anderes Problem: «Vor allem in der Grenzgegend sind Schweizer Stammpublikum – und die spielen meistens auch mit anderen Beträgen als zum Beispiel ein deutscher Spieler.»

Strenge Regeln, lax umgesetzt

Spielhallen werden meistens von grösseren Firmen betrieben, die sich einerseits an strenge Regeln halten müssen, in der Art der Umsetzung jedoch nicht so gebunden sind. Das Problem, vor allem in Deutschland, seien da die relativ laxen Sperrsysteme, so Lars Kiefer. Eigentlich wäre laut ihm der Idealzustand, dass ein Spieler, der sich sperren lässt, auch landesweit gesperrt ist. Allerdings gibt es kein Register wie in der Schweiz. «Sperrt sich jemand in staatlichen Casinos, ist er dort gesperrt – aber nicht in der Spielhalle 500 Meter weiter.» 

Eine Möglichkeit, die laut Lars Kiefer helfen könnte, wäre hierbei ein offener Umgang mit den Sperrmöglichkeiten, die ein Betroffener hat. «Ich kenne Casinos, bei denen die Formulare offen, aber doch diskret genug, zugänglich sind», so der Experte. Andere wiederum haben diese unter dem Tresen, was zusätzlich Hemmungen beim Spieler aufbauen könne - und dann den wichtigen Weg zu einer Sperre eventuell verbaue.

«Kein Kommentar»

Wie es in den Spielcasinos auf der deutschen Seite gehandhabt wird, ist leider nicht klar: Trotz mehrmaliger Anfragen war keine der Spielhallen oder Casinos zu einer Stellungnahme bereit. Lars Kiefer: «Viele haben da auch Angst vor dem Thema». Eben auch, weil die Schweizer sehr gute Kunden seien.

Ein weiteres Problem, welches sowohl Patrik Dörflinger als auch Lars Kiefer ansprechen, ist bei der Eindämmung von Sucht und der Suche nach schwarzen Schafen unter den Casinobetreibern die Frage des Personals: Theoretisch ist klar geregelt, wie es laufen muss, aber ob das umgesetzt werden kann, ist oft eine andere Sache. «Es gibt zu wenig Personal um zu kontrollieren, inwiefern wo was eingehalten wird», so Lars Kiefer. Darunter fällt zum Beispiel das Ordnungsamt und der Zoll – wobei beide eher spezifischere Kontrollen durchführen. «Da geht es mehr um Schliesszeiten oder gesetzkonforme Arbeitsbedingungen.»

Dabei sollte es auch um die Frage gehen: Wie gross ist das Suchtpotential bei den Gästen in den Lokalen? Laut Lars Kiefer alarmierend hoch. Er führt auch immer wieder obligatorische Schulungen mit Mitarbeitern von Glücksspielunternehmen durch. Diese erzählten ihm, dass sie «knapp 60 bis 80 Prozent ihrer Gäste ein Spielproblem haben.»

Dabei wäre auch bei Casinobetreibern ratsam, dass sie vorsichtig sind bei Sperren und diese auch konsequent einhalten. Laut Lars Kiefer kann ein Spielsüchtiger, der sich hat sperren lassen und trotzdem wieder spielen kann, das betreffende Casino auf Schadensersatz verklagen.

Wie die Sucht entsteht – und was man tun kann, wenn es soweit ist

Auch für Spielcasinos jenseits der Grenze hat Patrik Dörflinger von der Suchtberatung in Schaffhausen einen einfachen, aber sehr effektiven Tipp, wenn jemand spielsüchtig ist: «Solchen Leuten muss man den Geldhahn zudrehen», sagt er. Das bedeutet: Süchtige werden auf Taschengeld gesetzt und haben so gar keine Möglichkeit mehr, weiter grosse Summen zu verspielen. Der nächste Schritt müsse dann der Weg zur Schuldenberatung sein und auch eine Therapie sei angebracht. «Spielsucht ist eine Sucht», so Patrik Dörflinger. Das dürfe man nicht unterschätzen. «Effektiver wäre allerdings, die Regulierungen länderübergreifend zu gestalten. Aber eine solche Harmonisierung scheitert wohl an den unterschiedlichen Interessenlagen der benachbarten Staaten», gibt Hans Rudolf Meier zu bedenken.

Der wichtigste Schritt, der dann früher oder später bei Süchtigen komme, sei der Moment, wenn sie einsehen: Ich schäme mich für das, was ich gemacht habe, so Dörflinger. «Dann kann man beginnen, mit diesen Leuten zu arbeiten.» Der Weg raus aus der Sucht ist dann wohl noch lange und steinig – und vor allem voller Versuchungen, vor allem jenseits der Grenze.

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