«Wegen der Wetten führte ich ein Doppelleben»

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Süchtig nach Sportwetten«Wegen der Wetten führte ich ein Doppelleben»

André häufte mit Sportwetten 250'000 Franken Schulden an. Vor seiner Familie verleugnete er seine Sucht. Im Interview erzählt er, wie es so weit kommen konnte.

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«Wenn das Spiel mit dir spielt»: Mit dieser Kampagne kämpfen Sucht Schweiz und die Kantone gegen Wettsucht.

Sportwetten sind ein riesiger Markt. Allein Swisslos und die Lotterie Romande setzen jährlich etwa 200 Millionen Franken im wachsenden Markt um. Nicht für alle enden Sportwetten im Glück: Viele werden süchtig nach den Wetten und verschulden sich stark. SOS-Spielsucht hat deshalb im Auftrag von 16 Kantonen eine Präventionskampagne gestartet (siehe Box). Der ehemalige Wettsüchtige André erzählt im Interview, was ihn zu seiner Sucht getrieben hat und wie sie sein Leben beeinflusste.

Wie hat Ihre Sucht ihren Anfang genommen?

Wir spielten schon in jungen Jahren mit bescheidenen Beträgen an Spielautomaten, die damals noch in den Restaurants standen. Als wir 18 wurden, konnten wir ins Casino. Zu Beginn nur an den Wochenenden, dann vermehrt unter der Woche. Die Einsätze wurden immer höher.

Sie wurden wegen Ihres Suchtverhaltens in Casinos gesperrt. Was geschah danach?

Das Spielen verlagerte sich ins anonyme Internet mit Sportwetten. Auch da waren die Einsätze und Spieltage am Anfang bescheiden, steigerten sich aber ins Unermessliche.

Wann wurde aus dem Wetten eine Sucht?

Dies passierte schleichend. Wettete ich am Anfang nur auf einzelne Spiele vor allem an den Wochenenden, brauchte ich diesen Kick vermehrt auch unter der Woche. Ich wettete vermehrt auf Ligen und Spiele, die ich noch nicht einmal gekannt habe, nur um den Kick zu erhalten. Das Wetten wurde zu meinem wichtigsten Lebensinhalt.

Wie hat sich das auf Ihr Leben ausgewirkt?

Lange habe ich meine Sucht unterdrückt, verleugnet und Leute angelogen. Ich führte neben meiner Rolle als Familienvater ein Doppelleben. Ich nahm fast nicht mehr am Leben meiner Familie und meiner Freunde teil. Mir war es am wohlsten, wenn ich im Internet wetten und die Resultate verfolgen konnte, ohne dass mich dabei jemand störte. Mir war klar, dass ich ein Suchtproblem hatte, wollte es aber nicht wahrhaben. Auch, um mein soziales Umfeld nicht zu enttäuschen.

Wie hoch waren Ihre Einsätze?

Die Einsätze waren am Anfang bescheiden, pro Wetteinsatz so zwischen 10 und 20 Franken. In meinen Spitzenzeiten wettete ich dann von mehreren 100 bis zu 2000 Franken auf Kombiwetten. Als ich aufhörte, hatte ich Schulden in der Höhe von 250'000 Franken. Mein höchster Gewinn war einmal 23'000 Franken, der war aber nach ein paar Wochen schon wieder verloren.

Wann haben Sie gemerkt, dass Sie süchtig sind?

Dass ich süchtig war, habe ich lange vor dem Aufhören gemerkt, nur wollte ich es nicht wahrhaben. Als ich dann finanziell nicht mehr weiterwusste, liess ich die Bombe in meinem sozialen Umfeld platzen. Ich begab mich in einen mehrwöchigen stationären Aufenthalt zur Behandlung meiner Sucht. Ausserdem habe ich sämtliche finanziellen Angelegenheiten jemandem übergeben. Ich bekam quasi nur noch ein wenig Taschengeld, dies um mich zu schützen. Inzwischen kann ich wieder über die Konten verfügen.

Sie sind von der Sucht losgekommen. Vermissen Sie das Wetten?

Mir geht es heute sehr gut. Glücklicherweise vermisse ich das Wetten inzwischen zu keinem Zeitpunkt mehr. In der Anfangsphase gab es Zeiten, in denen ich ans Wetten dachte. Diese Phase ist aber nach rund drei bis vier Monaten immer mehr verschwunden. Heute bin ich glücklich, dass ich wieder ungezwungen Fussball- und Eishockeyspiele schauen kann, ohne den Druck, gewisse Resultate zu haben und andere Resultate checken zu müssen. Das Einzige, das mich ans Wetten erinnert, sind meine Schulden. Die werde ich noch viele Jahre lang abbezahlen müssen.

Kampagne gegen Wettsucht

«Spielen ohne Sucht», ein gemeinsames Angebot von 16 Kantonen, das von Sucht Schweiz und der Perspektive Thurgau umgesetzt wird, hat eine Präventionskampagne lanciert. Die Spots dazu werden etwa vor Super-League-Spielen in den Stadien ausgestrahlt (siehe Video). «Die Konsequenzen einer Glücksspielsucht sind schwerwiegend und belasten nebst den Betroffenen auch deren Angehörige», schreiben die Kampagnen-Macher. Schulden, sozialer Abstieg und psychische Erkrankungen seien häufige Folgen. Auf der Internetseite Sos-spielsucht.ch können sich Betroffene und Angehörige informieren und finden dort Hilfe.

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