In der Theorie ist alles gut geregelt: Die Aufsichten in Bremens Spielhallen sind darin geschult, süchtige Spieler zu erkennen und anzusprechen, heißt es von Behördenseite.
So schreibt es das Bremer Spielhallengesetz vor und daraufhin würden die Spielhallen auch kontrolliert. 150 Mal allein in diesem Jahr. Und in der Praxis? Versagen die meisten Spielhallenmitarbeiter, wenn es darum geht, süchtige Spieler vom Geldautomaten fernzuhalten, sagt Gerhard Meyer. Der Professor am Institut für Psychologie und Kognitionsforschung hat es überprüft. Er hat für eine Studie Studenten in Spielhallen geschickt. Das Ergebnis fällt wenig schmeichelhaft für die überprüften Betriebe aus.
215.000 pathologische Spieler gibt es laut einer Bundesstudie in Deutschland. Hinzu kommen weitere 241.000 Spieler, die als „problematisch“ eingestuft werden, erklärt Meyer. Sie gelten als gefährdet, spielsüchtig zu werden. Der Bremer Anteil hieran beträgt 1100 bis 3100 (pathologische) sowie 1600 bis 3000 (problematische) Spieler.
Schulung und Sozialkompetenz
Anlass genug, um im Bremer Spielhallengesetz zu verankern, dass erkennbar süchtige Spieler auszuschließen sind. Die Betreiber sind verpflichtet, ihr Personal entsprechend zu schulen: Woran erkenne ich süchtige Spieler? Wie gehe ich weiter vor? Keine Kannbestimmung, betont Meyer: Schulungen und Sozialkompetenz sind Voraussetzungen, um eine Spielkonzession zu erhalten. Ausdrücklich vorgesehen ist in dem Gesetz außerdem die Möglichkeit für Spieler, sich selbst für den Besuch von Spielstätten sperren zu lassen.
Wie die Spielhallen in Bremen und Bremerhaven diese Vorgaben umsetzen, haben Meyers Psychologie-Studenten aus dem dritten und vierten Semester im Praxistest untersucht. Sie besuchten gut ein Drittel der Bremer Spielstätten mit Geldspielautomaten. „Auffällig ein problematisches Suchtverhalten simulieren“, lautete dabei die Aufgabe: Nach dem nächstgelegenen Geldautomaten fragen, versuchen, sich Geld vom Personal zu leihen, lautstark telefonieren und dabei die Spielhalle verleugnen („nein, ich bin nicht spielen, ich geh' gerade einkaufen“)... „Lauter Zeichen, die signalisieren, dass jemand die Kontrolle verloren hat.“
Das ernüchternde Ergebnis des Tests: „Nur in vier Prozent der Fälle war eine angemessene Reaktion des Personals erkennbar.“ Das heißt, die Studenten wurden angesprochen, man gab ihnen Info-Material zum Thema Suchtprävention oder wies sie auf die Möglichkeit hin, sich sperren zu lassen. Damit fiel das Ergebnis noch schlechter aus, als vor zwei Jahren, als Meyer diesen Praxistest zum ersten Mal durchführte. „Damals reagierten fünf Prozent richtig.“
Am Ende jedes Besuchs stand die Bitte der Studenten ans Personal, eine Sperre einzurichten, damit sie die Spielhalle nicht mehr betreten könnten. Was in 75 Prozent der Fälle klappte. Eine Verbesserung gegenüber 2014, als die Quote bei 62 Prozent lag.
Doch dass auch dies nur ein Teil der Wahrheit ist, zeigen die Zahlen eines Studenten, der in den 18 Spielhallen Bremerhavens unterwegs war. Nur in zehn davon war es möglich, sich sperren zu lassen, in einer weiteren wurde ein Hausverbot ausgesprochen, berichtet Meyer. Und dort, wo die Sperre eingerichtet werden konnte, gab es oft zusätzliche Hürden. So wurde der Student zum Beispiel aufgefordert, in zwei Tagen noch einmal vorbeizukommen. Oder er sollte eine Kopie seines Personalausweises vorlegen. „So funktioniert das nicht. Die Sperre muss sofort möglich sein“, betont Meyer. Meist seien Spieler nur durch das unmittelbare Erleben eines großen Verlustes dazu bereit. „Zwei Tage später kann das schon wieder ganz anders aussehen.“
Der Student habe es dann übrigens überall, wo er gesperrt wurde, zwei Wochen später noch einmal versucht. Und konnte in allen zehn Hallen ohne jede Beanstandung wieder spielen. „Nur da, wo er Hausverbot hatte, hat man ihn erkannt.“
„50 bis 80 Prozent der Bruttospielerträge stammen von Süchtigen"
Für Meyer, der auch die an der Universität angesiedelte Fachstelle Glücksspielsucht leitet, offenbart sich hier ein grundsätzlicher Interessenkonflikt. Zu fragen sei, ob das „Geschäftsmodell Spielhalle“ ohne Süchtige überhaupt tragbar ist. „50 bis 80 Prozent der Bruttospielerträge stammen von Süchtigen – wenn ich die also vom Spiel ausschließe ...“
Was die Umsetzung von Gesetzesvorgaben in Bremer Spielhallen betrifft, sieht Meyer deutlichen Verbesserungsbedarf. „Vor allem ist es nicht hinzunehmen, dass Sperren nicht kontrolliert werden.“
Als „schädlich für den Schutz der süchtigen Spieler“ bezeichnet Meyer, dass es in Bremen nur möglich ist, sich für jeweils eine Spielhalle sperren zu lassen. „Das wird nicht automatisch weitergegeben und schafft damit Ausweichmöglichkeiten für die Spieler.“ Dass es auch anders geht, zeigt das Beispiel Hessen. Dort wurde ein zentrales Sperrsystem für alle Spielstätten des Bundeslandes eingeführt. „Das müsste bundesweit gelten“, fordert Meyer.
Gerhard Meyer
In Bremen verweisen die Behörden auf Anfrage des WESER-KURIER auf den Glücksspielstaatsvertrag. Der sieht zur Bekämpfung der Glücksspielsucht eine bundesweite Sperre nur für Spielbanken, Lotterien und Sportwetten vor. Die landeseigene Sperrdatei in Hessen sei davon zu unterscheiden. Bremen setze auf das Modell der freiwilligen Spielerselbstsperre. „Die Spielhallenbetreiber sind verpflichtet, eine Sperrliste zu führen und die Identität sämtlicher Spielerinnen und Spieler vor Spielbeginn anhand eines Ausweises mit der Sperrliste abzugleichen.“ Wie eingangs erwähnt – theoretisch ist alles gut geregelt in Bremen.