Bundesfinanzhof Bescheid vom 12.05.2005 in Sachen Finanzamt Gladbeck gegen Edith Linneweber

Abschrift:
Bundesfinanzhof Bescheid vom 12.05.2005

Az.: V R 7/02

Finanzamt Gladbeck,…..

gegen

Edith Linneweber, …….
Prozessbevollmächtigte: Steuerberaterin Elke Schnürer, 45721 Haltern

wegen Umsatzsteuer 1997 und 1998

hat der V. Senat in der Sitzung vom 12. Mai 2005 durch Gerichtsbescheid für Recht erkannt:

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 26. Oktober 2001 5 K 4280/00 U wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Dieser Gerichtsbescheid wirkt als Urteil: wird innerhalb eines Monats nach seiner Zustellung mündliche Verhandlung beantragt, gilt er als nicht ergangen.

Auch für den Antrag auf mündliche Verhandlung besteht Vertretungszwang. Zur Vertretung der Beteiligten vor dem Bundesfinanzhof berechtigt sind Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Rechtsanwälte, niedergelassene europäische Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer; ferner Steuerberatungsgesellschaften, Rechtsanwaltsgesellschaften, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Buchprüfungsgesellschaften sowie zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen befugte Partnerschaftsgesellschaften, die durch einen der in dem vorherigen Halbsatz aufgeführten Berufungsangehörigen tätig werden. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie durch Diplomjuristen im höheren Dienst vertreten lassen.

Gründe:

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist Gesamtrechtsnachfolgerin ihres im Jahre 1999 verstorbenen Ehemannes (des Steuerpflichtigen). Dieser stellte Geldspielautomaten und Unterhaltungsgeräte in Gaststätten und in ihm gehörenden Spielhallen zur entgeltlichen Nutzung bereit. Der Steuerpflichtige und die Klägerin erklärten für 1997 und 1998 steuerfreie Umsätze ohne Vorsteuerabzug in Höhe von 225.000,– DM (1997) und 270.175,– DM (1998). Demgegenüber vertrat der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA-) in den Umsatzsteuerbescheiden für 1997 und 1998 vom 3. März bzw. 13. März 2000 die Auffassung, die Einnahmen aus dem Betrieb der Geldspielgeräte seien nicht nach § 4 Nr. 9 Buchst. b des Umsatzsteuergesetztes 1993 (UStG) steuerfrei, da sie weder der Rennwett- oder Lotteriesteuer unterlägen noch von einer zugelassenen öffentlichen Spielbank ausgeführt wurden.

Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) kam in Fortführung der Grundsätze des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 11. Juni 1998 Rs. C-283/95 – Karlheinz Fischer- (Slg. 1998, I-3369, Internationales Steuerrecht –IStR- 1998. 399 Randnr. 29) zum Ergebnis, Umsätze mit Geldspielgeräten seien nach Art. 13 Teil B Buchst. f der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) von der Umsatzsteuer befreit; der Unternehmer könne sich insoweit unmittelbar auf diese Vorschrift berufen.

Gegen das Urteils des FG, das in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 501 veröffentlicht ist, wendet sich das FA mit der vorliegenden Revision. Es meint, bei den in den Spielbanken aufgestellten Geldspielautomaten sein die Einsätze und Gewinnmöglichkeiten wesentlich höher als bei den außerhalb der Spielbanken erlaubten Geldspielautomaten. Die vom FG angenommene Wettbewerbssituation bestehe deshalb nicht.

Mit Beschluss vom 6. November 2002 (BFHE 200, 149) hatte der Senat das Verfahren gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ausgesetzt und dem EuGH gemäß Art. 234 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG) folgende Fragen zur Auslegung der Richtlinie 77/388/EWG vorgelegt:

„1. Ist Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG dahin auszulegen, dass ein Mitgliedstaat die Veranstaltung eines Glücksspiels mit Geldeinsatz nicht der Mehrwertsteuer unterwerfen darf, wenn die Veranstaltung eines solchen Glücksspiels durch eine zugelassene öffentliche Spielbank steuerfrei ist?

2. Verbietet Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG einem Mitgliedstaat, den Betrieb eines Geldspielautomaten bereits dann der Mehrwertsteuer zu unterwerfen, wenn der Betrieb eines Geldspielautomaten durch eine zugelassene öffentliche Spielbank steuerfrei ist, oder muss zusätzlich feststehen, dass die außerhalb der Spielbanken betriebenen Glücksspielautomaten in wesentlichen Punkten, wie z.B. beim Höchsteinsatz und beim Höchstgewinn, mit den Geldspielautomaten in den Spielbanken vergleichbar sind?

3. Kann sich der Automatenaufsteller auf die Steuerfreiheit nach Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG berufen?“

Der EuGH hat die Sache mit der Rs. C-462/02 verbunden und mit Urteil vom 17. Februar 2005 Rs. C-453/02 –Edith Linneweber- und C-462/02 – Savves Akritidis- (Umsatzsteuer-Rundschau –UR- 2005. 194 mit Anm. Birk/Jahndorf, Deutsches Steuerrecht –DStR- 2005, 371 mit Anm. Zugmaier, IStR 2005, 200 mit Anm. Dziadkowski, Europäische Zeitschrift für Wirtschaft –EuZW- 2005, 210 mit Anm. Thym/Heckeler) geantwortet:

„1. Artikel 13 Teil B Buchstabe f der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG … ist dahin auszulegen, dass er nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, wonach die Veranstaltung oder der Betrieb von Glücksspielen und Glückspielgeräten aller Art in zugelassenen öffentlichen Spielbanken steuerfrei ist, während diese Steuerbefreiung für die Ausübung der gleichen Tätigkeit durch Wirtschaftsteilnehmer, die nicht Spielbankbetreiber sind, nicht gilt.

2. Artikel 13 Teil B Buchstabe f der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG hat unmittelbare Wirkung in dem Sinne, dass sich ein Veranstalter oder Betreiber von Glückspielen oder Glückspielgeräten vor den nationalen Gerichten darauf berufen kann, um die Anwendung mit dieser Bestimmung unvereinbarer innerstaatlicher Rechtsvorschriften zu verhindern.“

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin ist der Revision entgegengetreten.

II.

Die Revision ist unbegründet. Das FG hat zu Recht entschieden, dass sich die Klägerin auf die Steuerbefreiung ihrer Spielautomatenumsätze nach Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG berufen kann.

1. Der Ehemann der Klägerin hat als Automatenaufsteller Umsätze i.S. des §1 Abs. 1 Nr. 1 UStG gegenüber den Spielern ausgeführt.

2. Diese Umsätze waren nicht nach § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG steuerfrei. Nach dieser Vorschrift sind die Umsätze, die unter das Rennwett- und Lotteriegesetz (RennwLottG) fallen, sowie die Umsätze der zugelassenen öffentlichen Spielbanken, die durch den Betrieb der Spielbanken bedingt sind, steuerfrei.

Die Voraussetzungen dieser Vorschriften sind nicht erfüllt, da die streitigen Umsätze nicht unter das RennwLottG fallen und der Ehemann der Klägerin keine öffentliche Spielbank betrieb.

3. Die Klägerin kann sich jedoch auf die Steuerfreiheit nach Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG berufen.

Nach dieser Bestimmung befreien die Mitgliedstaaten Wetten, Lotterien und sonstige Glücksspiele mit Geldeinsatz „unter den Bedingungen und Beschränkungen, die von jedem Mitgliedstaat festgelegt werden“ und die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der Befreiungen sowie zu Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer.

a)Wie der EuGH in der vorliegenden Sache entschieden hat, ist Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG „dahin auszulegen, dass er nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, wonach die Veranstaltung oder der Betrieb von Glückspielen und Glückspielgeräten aller Art in zugelassenen öffentlichen Spielbanken steuerfrei ist, während diese Steuerbefreiung für die Ausübung der gleichen Tätigkeit durch Wirtschaftsteilnehmer, die nicht Spielbankenbetreiber sind, nicht gilt.“

Eine derartige nationale Rechtsvorschrift ist § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG. Nach ihr sind die Umsätze der öffentlichen Spielbanken, die durch den Betrieb der Spielbank bedingt sind, und damit auch die Umsätze aus dem Betrieb von Glückspielgeräten in zugelassenen öffentlichen Spielbanken steuerfrei, während diese Steuerbefreiung für die Ausübung der gleichen Tätigkeit durch Wirtschaftsteilnehmer, die nicht Spielbankbetreiber sind, nicht gilt. Die Vorschrift des § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG macht die Steuerbefreiung der von ihr erfassten Spielumsätze von der Identität des Veranstalters oder Betreibers der Glückspiele oder Glückspielgeräte abhängig und ist deshalb nach Auffassung des EuGH unter Berücksichtigung des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität mit Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG unvereinbar (vgl. RandNr. 24 ff., 29 und 30 des EuGH-Urteils).

Der Frage, ob die außerhalb der Spielbanken betriebenen Glücksspielautomaten in einzelnen Punkten, wie z.B. beim Höchsteinsatz und Höchstgewinn oder beim Verhältnis der Spieleinsätze zu den Ausschüttungsbeträgen, mit den Geldspielautomaten in den Spielbanken vergleichbar sind, hat der EuGH daher keine Bedeutung beigemessen.

Ebenso wenig hindert der Umstand, dass die Spielbanken einer auf der Grundlage ihrer Spielerträge berechneten Spielbankenabgabe unterliegen, dass der Betrieb von Glücksspielgeräten in zugelassenen öffentlichen Spielbanken und außerhalb dieser Spielbanken, „die Ausübung der gleichen Tätigkeit“ darstellt (vgl. EuGH-Urteil in Slg. 1998, I-3369, IStR 1998, 399 RandNr. 29).

b) Da § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG mit der Bestimmung des Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG unvereinbar ist, kann sich die Klägerin in dem Sinne auf diese – inhaltlich unbedingte und hinreichend genaue – Bestimmung berufen, dass die Vorschrift des § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG keine Anwendung findet.

4. Der Senat entscheidet gemäß § 121 Satz 1, § 90a Abs. 1 FGO durch Gerichtsbescheid. Die Kostenentscheidung erfolgt aus § 135 Abs. 2 FGO.