Zur Reichweite und Bedeutung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

Rechtsanwalt Dr. Manfred Hecker
Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht
CBH - Rechtsanwälte
Bismarckstr. 11-13
D - 50672 Köln
Zur Reichweite und Bedeutung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (I BVR 223/05) vom 27 April 2005:

Wie an dieser Stelle bereits mehrfach berichtet, hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 27.04.2005 (1 BVR 223/05) auf Antrag eines privaten Sportwettenvermittlers Eilbeschlüsse des VG München und des Bay. VGH wegen Verletzung seines Grundrechts aus Art. 19 Abs. 4 GG (Recht auf rechtliches Gehör) aufgehoben und den Rechtsstreit an das VG zurückverwiesen.

Reichweite und Bedeutung des BVerfG – Beschlusses

Die Entscheidung des BVerfG stellt mitnichten den bereits vollmundig beschworenen „Anfang vom Ende des staatlichen Glücksspielmonopols“ dar. Das Gericht hat sich nämlich über die Verfassungsgemäßheit der nach wie vor uneingeschränkt geltenden Verbote privater Sportwettenveranstaltungen nicht einmal am Rande geäußert. Vielmehr hat das Gericht die angefochtenen Beschlüsse alleine deswegen aufgehoben, weil es in dem konkreten Eilverfahren einen Verstoß gegen die Gewährung des rechtlichen Gehörs nach Art. 19 Abs. 4 GG gesehen hat. Im Hinblick auf die nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts offene europarechtliche Situation sei die Anordnung der sofortigen Vollziehung im konkreten Fall ohne nähere Begründung des konkreten öffentlichen Interesses nicht zulässig. Ferner sei fraglich, ob es im Rahmen der gemeinschaftsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung tatsächlich erforderlich sei, einen Sportwettenveranstalter, der im EU – Mitgliedsstaat der Niederlassung einer Kontroll- und Sanktionsregelung unterliege, zusätzlich der Strafsanktion in dem anderen Mitgliedsstaat zu unterwerfen.

Es ist also festzustellen, dass das Bundesverfassungsgericht den vorliegenden Beschluss ausschließlich damit begründet, dass es zweifelhaft sei, ob die strafrechtliche Sanktionierung eines in Deutschland tätigen Veranstalters, der in seinem europäischen Niederlassungsland über eine Erlaubnis verfügt und dort auch angemessen kontrolliert wird, dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nach europäischem Recht entspricht. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass eine Verbotsverfügung, die ohne gleichzeitige Anordnung des sofortigen Vollzuges erlassen wird, nach wie vor zulässig und uneingeschränkt rechtmäßig ist.

Ebenso lässt sich dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts klar entnehmen, dass eine unter Sofortvollzug angeordnete Ordnungs- oder Verbotsverfügung zulässig ist, wenn sie sich nicht ausschließlich auf § 284 StGB stützt, sondern auf andere Normen, die unterhalb der Grenze des Strafrechts ein ordnungsbehördliches Verbot der Veranstaltung oder Vermittlung solcher Sportwetten trägt. Dies erfolgt insbesondere durch die im Staatsvertrag zum Lotteriewesen in § 6 für zwingend angeordnete Erlaubnispflicht für die Veranstaltung von Glücksspielen. Der Staatsvertrag ist durch entsprechende Landesgesetze in allen 16 Bundesländern in Landesrecht transformiert worden und stellt deshalb für alle Bundesländer unabhängig von § 284 StGB ein zwingendes Genehmigungserfordernis auf. Ein Verstoß hiergegen kann auf der Grundlage der Vorschriften des Polizei- und Ordnungsrechts in den Ländern ordnungsrechtlich nach wie vor wirksam untersagt werden.

Einschlägig sind hier ferner diejenigen Vorschriften, die in einzelnen Bundesländern die Veranstaltung von Sportwetten regeln und einen Verstoß gegen die dortigen Vorschriften als Ordnungswidrigkeit i.S.d. Ordnungswidrigkeitengesetzes qualifizieren. Exemplarisch sei hier z.B. § 9 des Ge-setzes Nr. 249 über die Veranstaltung von Sportwetten im Saarland zu benennen. Dort heißt es in § 9 Abs. 2 Nr. 1:

„Ordnungswidrig handelt ferner, wer außerhalb der zugelassenen Wettannahmestellen gewerbsmäßig Sportwetten abschließt oder vermittelt oder zu ihrem Abschluss oder zu ihrer Vermittlung Räume ohne Zulassung zur Verfügung stellt.“

Für die grundsätzliche Frage der Rechtmäßigkeit ordnungsrechtlicher Untersagungsverfügungen gibt die Entscheidung des BVerfG somit kaum etwas her. Auch das ordnungsrechtliche Vorgehen gegen ungenehmigte Sportwettenveranstaltungen und -vermittlungen zugunsten ausländischer Anbieter hat das Gericht nicht angegriffen. Klar ist auch, dass die Anwendung der §§ 284 ff StGB auf Sportwetten und sonstige Glücksspielveranstaltungen, die von Ländern außerhalb der EU nach Deutschland gelangen, weiterhin uneingeschränkt möglich und geboten ist.

Reichweite und Aussagegehalt der Entscheidung beziehen sich deshalb im Wesentlichen nur auf die Anordnung der sofortigen Vollziehung. Selbst diese sieht das Gericht aber als rechtmäßig an, wenn im Einzelfall konkrete Gefahren für das Gemeinwohl bestehen.

Konsequenzen aus dem Beschluss des BVerfG

Die Entscheidung des BVerfG bedeutet zunächst, dass seitens der Ordnungsbehörden nach wie vor uneingeschränkt gegen ungenehmigte Sportwettenveranstaltungen und Vermittlungen ohne weiteres vorgegangen werden kann. Lediglich bei der Anordnung des Sofortvollzuges ist zu prüfen, ob konkrete Gefahren für die öffentliche Ordnung im Einzelfall bestehen, die einen Vorrang des Sofortvollzuges gegenüber der Abwägung mit den o.g. europarechtlichen Bedenken rechtfertigen.

Sofern solche konkreten Gefahren für die öffentliche Ordnung im Einzelfall bei Erlass der Untersagungsverfügung nicht nachgewiesen werden können, bedeutet dies allerdings nicht, dass die Ordnungsbehörden dem ungenehmigten Handeln der ausländischen Sportwettenanbieter auf Dauer tatenlos zusehen müssten. Das Verwaltungsgericht Aachen, dessen Entscheidung vom Bundesverfassungsgericht als Musterbeispiel für die Prüfung konkreter Gefahren ausdrücklich herangezogen wird, führt insoweit aus, dass die zunächst unterbleibende Anordnung des Sofortvollzuges nicht bedeute, dass die Behörden der „zu Recht beanstandeten“ Tätigkeit der Vermittler und Veranstalter auf Dauer oder auch nur bis zum Abschluss des Widerspruchs bzw. Klageverfahrens tatenlos zusehen müssen. Denn nach einer gewissen Zeitspanne, in welcher sich die Unternehmer auf das Erfordernis der Einholung einer Erlaubnis durch Stellung eines entsprechenden Antrags habe einstellen können, werde das jetzt schon bestehende öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung durch eine Untersagungsverfügung gegenüber dem Aussetzungsinteresse des Unternehmers wieder das ausschlaggebende Gewicht gewinnen. Dann bestünden gegen die Anwendung des allgemeinen Grundsatzes, dass die Aufnahme einer erlaubnispflichtigen Tätigkeit ohne Erlaubnis ordnungsrechtlich nicht hingenommen werden muss, keine verfassungsrechtlichen Bedenken mehr.

Da das BVerfG sich diese Ausführungen durch seinen Verweis zu eigen macht, ist sein Beschluss insgesamt unter diesen Gesichtspunkten zu interpretieren. Aus dem Beschluss folgt daher nicht, dass die Anordnung des Sofortvollzuges dauerhaft zu unterbleiben hätte. Vielmehr sind die Ordnungsbehörden, wenn nicht schon bei Erlass der Untersagungsverfügung der Sofortvollzug wegen konkreter Gefahren für die öffentliche Ordnung angeordnet wird, gefordert, die ohne Erlaubnis handelnden Vermittler und Veranstalter streng zu überwachen und nach Ablauf einer gewissen Zeitspanne ggf. den Sofortvollzug anzuordnen.

Als Fazit ist somit festzuhalten, dass die Entscheidung des BVerfG einzig und allein die Anordnung des Sofortvollzuges von Untersagungsverfügungen, die allein auf § 284 StGB gestützt sind, betrifft. Diese werden auch nicht dauerhaft eingeschränkt und keinesfalls beinhaltet der Beschluss eine Freigabe unerlaubter Sportwettenveranstaltungen bzw. -vermittlungen oder nimmt diese vorweg. Auch stellt der Beschluss nicht die Verfassungsmäßigkeit der geltenden Beschränkungen privater Sportwettenveranstaltungen in Frage. Vielmehr ist bezeichnend, dass der Beschluss des BVerfG über die ebenfalls geltend gemachte angebliche Verletzung von Art. 12 GG schweigt.

Die Veranstaltung von Sportwetten ohne behördliche Erlaubnis des betreffenden Bundeslandes ist und bleibt somit in der Bundesrepublik Deutschland strikt verboten. Hiergegen können die Ordnungsbehörden nach wie vor ordnungsrechtlich ohne weiteres einschreiten.

Dr. Manfred Hecker