Die Wahrheit liegt schon in Zenatti und Gambelli – erst Recht im Wettbewerbsrecht!

Ein Artikel von Rechtsanwalt Rolf Karpenstein

Zur Vorlage des BGH in I ZR 171/10

Die Vorlage des Wettbewerbssenats beim BGH an den EuGH vom 24.1.2013 polarisiert (vgl. nur Reichert, isa-guide-law v. 1.3.2013 und zur fehlenden Rechtfertigung eines Internetvertriebsverbotes Bartholmes, isa-guide-law v. 25.10.2011). Der BGH legt dem EuGh nicht nur die von den Monopolverfechtern erwünschte Antwort in den Mund, sondern spricht ohne entsprechende Feststellungen der Vorinstanz von „schwer tragbaren Entschädigungszahlungspflichten“ der öffentlichen Hand. Das befremdet schon deshalb, weil die Bundesländer die Kosten zur Herstellung eines rechtmäßigen Zustandes aus der Portokasse der seit 1999 EU-rechtswidrig erwirtschafteten Monopolgewinne (dazu BGH, I ZR 13/06, Rn. 25) zahlen könnten und weil bei der angeblichen Bekämpfung von Suchtgefahren das Geld nicht die maßgebliche Rolle spielen dürfte, was der EuGH schon in Zenatti 1999 (Rs. C-67/98, Rn. 35 f.) klarstellte und in Gambelli (2003, Rs. C-243/01, Rn. 62) wiederholte.

Der BGH spricht im Sinne der fiskalischen Interessen der Länder offen aus, dass er sich vom EuGh die Bestätigung erhofft, dass die unionsrechtskonforme Legalisierung des Online-Vertriebs in Schleswig Holstein nur eine unionsrechtlich „unerhebliche Beeinträchtigung“ der Systematik und Kohärenz einer staatlichen Beschränkung darstellt, damit die unionsrechtswidrigen Monopoleinnahmen nicht zur Bekämpfung von Suchtgefahren ausgegeben werden müssen (BGH, Rn. 36, 37). Diese und andere Gradwanderungen wären dem BGH bei einem ungetrübten Blick in Zenatti, Gambelli aber auch in die – ansonsten oft höchst befremdliche – Entscheidung des BVerwG vom 1.6.2011 (BVerwG 8 C 5.10) erspart geblieben. Jene höchstrichterlichen Entscheidungen stellen klar, was auf der Hand liegt: Bezweckt der Staat mit der Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit in erster Linie die Erzielung von Einnahmen, scheidet eine Rechtfertigung des Eingriffs in die Verbotsnorm des Artikels 56 AEUV von vornherein aus. Der achte Senat beim BVerwG hatte 2011 dem ersten Senat beim BGH die unionsrechtliche Rechtslage im Anschluss an Zenatti wie folgt beschrieben:

„Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs setzt die Eignung der Internetverbote zusätzlich voraus, dass sie zur Erreichung der mit ihnen verfolgten Gemeinwohlzwecke in systematischer und kohärenter Weise beitragen (EuGH, Gambelli, Rn. 67, Ladbrokes, Rn. 21, Markus Stoß, Rn. 88 ff., Carmen Media, Rn. 55, 64). … Für dieses sog. Kohärenzgebot lassen sich zwei Anforderungen unterscheiden. Zum einen muss der Mitgliedstaat die Gemeinwohlziele, denen die die Dienstleistungsfreiheit beschränkende Regelung dienen soll und die diese legitimieren sollen, im Anwendungsbereich der Regelung auch tatsächlich verfolgen; er darf nicht in Wahrheit andere Ziele – namentlich solche finanzieller Art – anstreben, welche die Beschränkung nicht legitimieren könnten (EuGH, Urteile vom 21. Oktober 1999 – Rs. C-67/98 C-67/98, Zenatti – Slg. 1999, I-7289 Slg. 1999, I-7289 Rn. 35 ff., vom 6. November 2003, Gambelli u. a., a. a. O. Rn. 67 ff. und vom 8. September 2010, Carmen Media, a. a. O. Rn. 65; vgl. BVerwG, Urteil vom 24. November 2010 BVerwG, 24.11.2010 – 8 C 13.09 a. a. O. Rn. 77, 80). …“

Das BVerwG folgt insoweit also dem EuGH, der schon in Zenatti 1999 unmissverständlich klargestellt hatte, dass eine staatliche Beschränkung, wie z. B. die komplette Ausschaltung eines Online-Anbieters als Wettbewerber des DLTB, von vornherein nicht zu rechtfertigen ist, wenn „der eigentliche Grund“ der Beschränkung die Erzielung von Einnahmen ist. Die unionsrechtliche Rechtfertigungsmöglichkeit des wettbewerbsrechtlichen Eingriffs von Westlotto, die Gegenstand der BGH-Vorlage ist, entfällt also absolut, wenn die wettbewerbsrechtliche Unterlassungs- und Schadensersatzklage in erster Linie auf die Einnahmeerzielung abzielt. An eben dieser Zielrichtung kann man aber nicht ernsthaft zweifeln. Eine Schadensersatz- und Unterlassungsklage eines staatlichen Anbieters als denkbar schwerster Eingriff in die Verbotsnorm des Artikels 56 AEUV kann daher niemals gerechtfertigt sein. Die Erzielung von Einnahmen ist nicht lediglich die unionsrechtlich unbedenkliche „erfreuliche Nebenfolge“, sondern das eigentliche Ziel einer wettbewerbsrechtlichen Klage.

Die BGH-Vorlage verkennt daher die unionsrechtliche Problematik, die die Heranziehung des Lauterkeitsrechts durch Westlotto aufwirft. Ein auf das Wettbewerbsrecht gestützter staatlicher Eingriff kann mit Blick auf die Verbotsnorm des Artikels 56 AEUV und mit Blick auf Zenatti und Gambelli und sogar das BVerwG 8 C 5.10 niemals gerechtfertigt sein, weil die Nutzung des Wettbewerbsrechts und erst Recht die Beanspruchung von Schadensersatz durch Westlotto belegen, dass der staatliche Eingriff im Ausgangsfall der BGH-Vorlage primär auf fiskalische Interessen ausgerichtet ist.

Aus dieser Zwickmühle, in die sich der von dem verlängerten Arm der hessischen Konzessionsstelle anwaltlich beratene glücksspielrechtliche Trabant Nordrhein-Westfalens aus Geldgier und nicht zur Bekämpfung von Suchtgefahren begeben hat, gibt es kein Entrinnen. Das Lauterkeitsrecht (UWG) kann Westlotto nur beanspruchen, wenn es im Bereich des Glücksspiels fiskalisch orientiert handelt, nämlich „zur Förderung des Absatzes von Dienstleistungen zu Gunsten des eigenen Unternehmens“, und wenn diese fiskalische Zielsetzung „nicht völlig hinter anderen Zielen“ zurücktritt (Köhler/Bornkamm, UWG, 29. Aufl., § 4, Rz. 13.17, m.w. Nachweisen). Wie auch der I Senat beim BGH in seinem Urteil vom 18.11.2010 (I ZR 156/07, Tz. 31; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 24.11.2010, 8 C 13.09, Rz. 66) ausführt, ist aber, entsprechend der ständigen Rechtsprechung des EuGH seit Zenatti und Gambelli ein Eingriff der öffentlichen Hand in die Dienstleistungsfreiheit eines privaten Wett- und Glücksspielanbieters allenfalls dann zu rechtfertigen, wenn die Beschränkung in erster Linie „wirklich“ dem Ziel dient, die Gelegenheiten zum Spiel zu vermindern und die Einnahmen der öffentlichen Hand allenfalls „erfreuliche Nebenfolgen“ sind, nicht aber der eigentliche Grund der betriebenen restriktiven Politik.

Aus diesem Spannungsverhältnis zwischen der Anwendung des Lauterkeitsrechts und der Rechtfertigung des Eingriffs finden weder der BGH noch Westlotto heraus. Ein Eingriff der öffentlichen Hand in die Grundfreiheiten ist nur verhältnismäßig, wenn die Förderung des Absatzes von Glücksspiel hinter legitimen Zielen wie der Bekämpfung der Spielsucht völlig zurücktritt. Ein Handeln im geschäftlichen Verkehr liegt hingegen nur dann vor, wenn die Förderung des Absatzes von Glücksspiel nicht völlig hinter dem Ziel der Bekämpfung von Spielsucht zurücktritt, d.h. wenn das Tätigwerden der öffentlichen Hand „zur Erfüllung der öffentlichen Aufgabe nach Art und Umfang sachlich nicht notwendig ist“, sondern eine Wettbewerbsförderungsabsicht besteht. Die Auswirkung auf den Wettbewerb darf nicht lediglich „eine notwendige Begleiterscheinung der Erfüllung öffentlicher Aufgaben sein“. Das Lauterkeitsrecht ist mit anderen Worten nur anwendbar, wenn die öffentliche Hand das Ziel verfolgt, fiskalisch in den Wettbewerb einzugreifen (Köhler/Bornkamm, a.a.O., § 4 Rz. 13.22 m.w.Nachweisen).

Damit entspricht die Definition der deutschen Rechtsprechung und Kommentierung für eine „geschäftliche Handlung“ der öffentlichen Hand im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG exakt der Abgrenzung des EuGh zwischen einem unter weiteren Umständen zu rechtfertigen und einem verbotenen Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit ohne die Möglichkeit der Rechtfertigung. Das ist auch nur konsequent und entspricht dem Erfordernis der Einheit der Rechtsordnung und der unionsrechtskonformen Auslegung und Anwendung des nationalen Rechts. Das an die Mitgliedstaaten gerichtete Verbot des Art. 56 AEUV soll nämlich gerade verhindern, dass die öffentliche Hand das Recht des Bürgers auf freie Dienstleistung mit der Zielsetzung verletzt, selbst in den Wettbewerb einzugreifen und die staatlichen Einnahmen zu vermehren oder abzusichern.

Der BGH nimmt an, Westlotto handle im geschäftlichen Verkehr mit dem Ziel, in den Wettbewerb einzugreifen, denn weder der BGH noch Westlotto stellen ein Wettbewerbsverhältnis in Frage. Dem erwerbswirtschaftlichen Ziel entspricht auch das Wesen der wettbewerbsrechtlichen Unterlassungs- und Schadensersatzklage. Damit aber steht unwiderlegbar fest, dass der von Westlotto und seinen Adlaten aus rein fiskalischen Interessen veranlasste wettbewerbsrechtliche Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit von Digibet nicht gerechtfertigt ist und selbst dann nicht gerechtfertigt werden könnte, wenn die Gesetzeslage systematisch und kohärent allein auf legitime Ziele ausgerichtet wäre. Der wettbewerbsrechtliche Eingriff und das gesamte geschäftliche Handeln von Westlotto stehen in einem primären und objektiven Zusammenhang mit der Förderung des Absatzes von Glücksspiel und Sportwetten, der nicht völlig hinter legitimen Zielen des aktuellen Glücksspielstaatsvertrages zurücktritt.

Westlotto belegt mithin durch die Einleitung und Aufrechterhaltung des wettbewerbsrechtlichen Schadensersatz- und Unterlassungsanspruchs, dass es im Verbund des DLTB nicht systematisch und kohärent allein legitime Ziele des Gemeinwohls verfolgt, sondern fiskalisch in der Absicht handelt, in den Wettbewerb einzugreifen. Damit gehen alle Versuche, den Eingriff in die Verbotsnorm des Artikels 56 AEUV mit legitimen Interessen des Gemeinwohls zu rechtfertigen, von vornherein in Leere. Westlotto kann sich eine Stellungnahme an den EuGh ersparen und diese Gelder in die Bekämpfung von Suchtgefahren investieren.

Fazit: Es steht schon seit Zenatti (1999) und Gambelli (2003) fest, dass der EuGh die fehlende Rechtfertigungsmöglichkeit des staatlichen Eingriffs von Westlotto in den freien Dienstleistungsverkehr bestätigen wird. Die Inanspruchnahme des Wettbewerbsrechts beweist die fiskalische Ausrichtung des Staates und seines glücksspielrechtlichen Trabanten aus Münster.

Darüber hinaus offenbart die BGH-Vorlage dem EuGh, dass Deutschland die Verfolgung legitimer Ziele in Wahrheit nicht systematisch und kohärent zur Bekämpfung von Suchtgefahren verfolgt, sondern im Wettbewerb, also mit dem eigentlichen Ziel, die Einnahmen durch die Ausschaltung des Wettbewerbs und die Erlangung von Schadensersatz zu erhöhen, denn die zum EuGh gelangte wettbewerbsrechtliche Schadensersatz- und Unterlassungsklage von Westlotto ist kein einmaliger unbedachter Ausrutscher.

Die Antwort, die der BGH auf die vom EuGh dann entsprechend umformulierten Vorlagefragen erhalten wird, findet sich mithin schon in Zenatti und Gambelli und letztlich auch beim BVerwG:

„Artikel 56 AEUV ist dahin auszulegen, dass das Recht des Einzelnen auf freien Dienstleistungsverkehr einem staatlichen Eingriff wie demjenigen des Ausgangsverfahrens entgegensteht, weil durch die Geltendmachung eines Schadensersatz- und Unterlassungsanspruchs durch den Staat als Wettbewerber eines privaten Anbieters unwiderlegbar feststeht, dass die Erzielung von Einnahmen aus genehmigten staatlichen Lotterien, Glücksspielen oder Sportwetten der eigentliche Grund der betriebenen restriktiven wettbewerbsrechtlichen Politik des Staates ist, was nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Rechtfertigung einer Verletzung der Verbotsnorm des Artikels 56 AEUV von vornherein und ohne Ausnahme entgegensteht.“

Kontakt:
Blume Ritscher Nguyen Rega Rechtsanwälte

Rechtsanwalt Rolf Karpenstein
Gerhofstraße 38
20354 Hamburg

Telefon: 040 /355 030 – 0
Telefax: 040 /355 030 – 30
eMail: karpenstein@raeblume.de
Online: www.raeblume.de