Hessischer VGH korrigiert seine Entscheidung aus dem Februar 2004

Rechtsanwalt Dr. Wulf Hambach

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Hessischer VGH korrigiert seine Entscheidung aus dem Februar 2004: Ein Rückschlag für die Liberalisierung des deutschen Glücksspielmarktes?

Kommentiert von Rechtsanwalt Dr. Wulf Hambach.

„Untersagung der Vermittlung von Oddset-Sportwetten durch private Anbieter ist rechtmäßig – Hessischer Verwaltungsgerichtshof korrigiert Rechtssprechung“ – was steckt hinter dieser Presseinformation?

Um es vorweg zu nehmen: Die Presseabteilung des VGH hätte die Überschrift für den mit 20 Seiten erneut sehr umfangreichen Beschluss sicherlich geschickter wählen können. So titelt die Rhein-Main Zeitung etwas deutlicher: „Kein EU-Recht auf Kanalinsel“. Zwar gehört die Isle of Man, auf der der Buchmacher in diesem Fall seinen Sitz hatte, nicht wie etwa Jersey zu den Kanalinseln im Ärmelkanal, sondern liegt in der „Irischen See“. Allerdings betraf die Entscheidung in der Tat vor allem die Frage, ob das europäische Gemeinschaftsrecht auf Anbieter aus der Isle of Man anzuwenden ist oder nicht.

Der VGH Kassel hat mit diesem Beschluss seine Entscheidung vom 9. Februar 2004 abgeändert bzw. richtigerweise aufgehoben (abgeändert wurde die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Kassel vom 24. Juni 2004), weil der VGH in seiner Entscheidung aus dem Februar irrigerweise davon ausgegangen war, die Isle of Man gehöre auch im juristischen Sinne zur EU. Nicht entschieden hat der VGH jedoch, dass die Vermittlung von Sportwetten generell von den Ordnungsbehörden untersagt werden darf.

Tatsächlich ist die Isle of Man „nur“ der britischen Krone unterstellt und damit ein abhängiges Territorium mit innerer Selbstverwaltung („crown dependency“). Die Insel ist folglich weder Teil des Vereinigten Königreiches von Großbritannien und Nordirland (dieses ist jedoch für die Verteidigung und die Außenpolitik zuständig) noch eine Kronkolonie (wie z. B. Gibraltar) und als solches kein Mitglied der Europäischen Union. Gem. Art. 299 Abs. 6 c EG-Vertrag (EGV) gilt zwar ein Teil des EG-Rechts für die Insel in der Irischen See (etwa hinsichtlich der Zollunion und damit der Warenverkehrsfreiheit). Das durch den EG-Vertrag für die Bürger und Unternehmen der Europäische Union gewährleistete Recht auf ein freies Angebot ihrer Dienstleitungen und auf die freie Wahl des Ortes ihrer Niederlassung innerhalb der Union ist allerdings bezüglich der Isle of Man nicht anwendbar.

In der entscheidenden Passage des Beschlusses führt der VGH hierzu aus:

„Zu Recht hat das Verwaltungsgericht auf der Grundlage des entsprechenden Vortrages der Antragstellerin im vorliegenden Abänderungsverfahren festgestellt, dass die Vorschriften des EG-Vertrages über die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit für die Insel Man, auf der die Fa. M. ihren Sitz hat, keine Geltung haben. (…) Die Gewährleistung des Niederlassungsrechts und des Rechts auf freien Dienstleistungsverkehr an Gesellschaften der genannten Art ist deshalb grundsätzlich davon abhängig, dass natürliche Personen, die die Staatsangehörigkeit des Mitgliedsstaates besitzen, in dem die Gesellschaft ansässig ist, diese Rechte gelten machen können. Dies ist aufgrund der in Art. 2 Satz 2 und Art. 6 des Protokolls Nr. 3 vom 22. Januar 1972 u. a. für Staatsangehörige der Insel Man getroffenen Sondervereinbarungen nicht der Fall.“

Im Weiteren nimmt der VGH Hessen noch zu dem Problem Stellung, ob Sportwetten generell als Glücksspiel oder Geschicklichkeitsspiel einzustufen sind (was hinsichtlich der Strafvorschrift des § 284 StGB von entscheidender Bedeutung ist). Im Ergebnis schließt sich der VGH der herrschenden Meinung an, dass Sportwetten als Glücksspiel zu qualifizieren seien. In diesem Zusammenhang überzeugt die Argumentation des Verwaltungsgerichtshofes allerdings nicht, dass es keine ausreichenden wissenschaftlichen Erkenntnisse über das Verhältnis zwischen Zufälligkeits- und Geschicklichkeitselementen bei Oddset-Sportwetten gäbe. Wenn der VGH darauf verweist, dass die Bewertung mangels hinreichender wissenschaftlicher Aussagen nur auf der Grundlage der Erfahrung mit Oddset-Sportwetten erfolgen könne, hätte der Verwaltungsgerichtshof aus meiner Sicht zu einem anderen Ergebnis kommen müssen. So hätte das Gericht gut daran getan, die heutzutage angebotenen Sportwetten auf ihren Zufallscharakter hin differenziert zu betrachten und vor allem zu unterscheiden, ob für die betreffende Sportwette mehr das Zufalls- oder aber mehr das Geschicklichkeitselement von Bedeutung ist.

Nach meiner Einschätzung werden im Zusammenhang mit Sportwetten auch Wetten angeboten werden, die vielleicht eher als Glücksspiel zu qualifizieren sind. Richtigerweise führt der VGH hier „exotische“ Sportergebnisse wie etwa die Ergebnisse der Fußballligen der Slowakei, Japan oder in den USA oder die Resultate der Dritten Schottischen Division an (für die es allerdings sicherlich auch Experten gibt). Der VGH hätte aber zu dem Ergebnis kommen müssen, dass es durchaus Sportwetten gibt, die als Geschicklichkeitsspiel einzustufen sind, da sie von menschlichen Fähigkeiten, insbesondere maßgeblich vom Informationsstand und der Erfahrung des Wettkunden abhängen. Dies ist vor allem bei Wetten auf den Ausgang von Bundesligaspielen und anderen wichtigen europäischen Fußballligen der Fall.

Auch geht der VGH auf das Tatbestandsmerkmal des „Bereitstellens von Einrichtungen“ im Sinne des § 284 Abs. 1 StGB insoweit ein, als dass er diese Tatbestandsvoraussetzung bereits dann als erfüllt ansieht, wenn ein Wettbüro Tische, Fachzeitschriften, Fernsehgeräte, Computer und ähnliches zur Information über das Sportgeschehen zur Verfügung stelle. Dies erscheint aus strafrechtlicher Sich eine zu starke, auch verfassungsrechtlich bedenkliche Vorverlagerung der Strafbarkeit zu sein. Fachzeitschriften dienen ja gerade dazu, dem Wettkunden eine umfassende Information zu ermöglichen und eine Wette nicht zu einem reinen Glücksspiel zu machen.

Als Fazit bleibt festzuhalten: Insgesamt ging es bei dem Beschluss nicht um die Frage, ob das Vermitteln von Sportwetten an einem im EU-Raum lizenziertes Wettunternehmen zulässig ist oder nicht. Das staatliche Glücksspielmonopol wurde nicht erneut auf seine europarechtliche und verfassungsrechtliche Konformität hin überprüft. Vielmehr wurde lediglich festgestellt, dass das Vermitteln von Sportwetten an einen nicht im EU-Raum zugelassenen Wettveranstalter unzulässig sei, weil dieser keine behördliche Genehmigung im Sinne des § 284 StGB besitze. Diese Entscheidung hilft daher weder den Fürsprechern einer Liberalisierung des Glücksspielmarktes noch den „Monopolisten“.