VG Ansbach: Altbescheide gegen Onlinecasinos hinfällig

Rechtsanwalt Paul Voigt, Lic. en Derecho

Kanzlei TaylorWessing
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Nach dem Inkrafttreten des ersten Glücksspieländerungsstaatsvertrags zum 01.07.2012 in allen deutschen Bundesländern außer Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen stellt sich vermehrt die Frage, inwieweit Untersagungsbescheide, die noch unter dem Glücksspielstaatsvertrag 2008 ergangen sind, weiterhin Bestand haben können. Dies gilt insbesondere für private Sportwettenanbieter, die nach der reformierten Rechtslage nun unter bestimmten Bedingungen legal auf dem deutschen Markt auftreten können, aber auch für alle Onlineanbieter von Glücksspielen, da das ehemals bestehende Totalverbot für Internetglücksspiele deutlich aufgeweicht worden ist.

Für Online-Casino-Spiele stellte das Verwaltungsgericht Ansbach (Beschluss vom 21. November 2012, AN 4S 12.00264, unveröffentlicht) in einem Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO fest, dass ein unter dem Glücksspielstaatsvertrag 2008 ergangener Untersagungsbescheid gegen einen Online-Glücksspielanbieter, der sich im Wesentlichen auf das damals geltende Totalverbot von Onlineglücksspielen stützt, nach der heutigen Rechtslage keinen Bestand mehr haben kann.

Zwar lässt das VG Ansbach – im Gegensatz zum OVG Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 24.08.2012 – OVG 1 S 44.12) die Frage nach der Europarechtswidrigkeit des reformierten Internetverbots für Glücksspiele offen. Im Rahmen der Ermessenserwägungen kommt das Gericht jedoch zu dem Schluss, dass sich ein am Internettotalverbot orientierender Untersagungsbescheid nach der gebotenen Ex-nunc-Sichtweise als ermessensfehlerhaft erweisen dürfte,

„nach dem die von der Regierung von Mittelfranken zugrunde gelegten Erwägungen der hier maßgeblichen Sach- und Rechtslage seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuordnung des Glücksspiels in Schleswig-Holstein, jedenfalls aber seit Inkrafttreten des geänderten Glücksspielstaatsvertrages zum 1. Juli 2012 in Bayern nicht mehr entsprechen.“

Die Rechtslage habe sich

„entscheidungserheblich verändert. Nach § 4 Abs. 4 Glücksspielstaatsvertrag neue Fassung, die mittlerweile in allen Bundesländern außer Schleswig-Holstein Anwendung findet, besteht zwar weiterhin ein grundsätzliches Internetverbot für Glücksspiele. § 4 Abs. 5 Glücksspielstaatsvertrag sieht nunmehr jedoch die Möglichkeit vor, bei Vorliegen der aufgeführten Tatbestandsvoraussetzungen eine Erlaubnis zum Vertrieb bzw. zur Veranstaltung und Vermittlung von Lotterien und Sportwetten im Internet zu erhalten. Ein uneingeschränktes Internetverbot für Glücksspiele in Deutschland ohne Erlaubnisfähigkeit, von der die streitige Ermessensentscheidung ausgegangen ist, besteht daher nicht mehr. Vielmehr werden in Schleswig-Holstein auf Grundlage des Glücksspielgesetzes seit März 2012 unter den dort genannten Voraussetzungen auf Antrag Genehmigungen für die Veranstaltung von Online-Glücksspielen erteilt (…).

In den anderen Bundesländern ist der Vertrieb von Lotterien und Sportwetten über das Internet unter den in § 4 Abs. 5 Glücksspielstaatsvertrag genannten Voraussetzungen sowohl für den staatlichen Veranstalter als auch für Konzessionsinhaber grundsätzlich erlaubnisfähig. Tatsächlich wird das Onlineglücksspiel vom staatlichen Veranstalter bereits wieder angeboten (…).

Danach stellt sich die streitgegenständliche Verfügung aller Voraussicht nach als ermessensfehlerhaft dar, weil der Antragsgegner sein Ermessen nicht mit Blick auf die angeführten rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkte ausgeübt hat. Eine den nunmehr geltenden rechtlichen Bestimmungen unter Beachtung des Verfassungs- und Europarechts entsprechende Untersagungsanordnung muss sich an den Maßgaben für die Öffnung des Internets im Glücksspielbereich orientieren (…).

Nachdem es nicht von vornherein ausgeschlossen ist, dass die Antragstellerin als Großunternehmerin bei Beteiligung am Konzessionsverfahren den Zuschlag erhält, müsste sich die untersagende Behörde jedenfalls seit dem 1. Juli 2012 mit der Frage auseinandersetzen, ob eine vollständige Untersagung des Internetangebots der Antragstellerin vor der Entscheidung im Vergabeverfahren eine verhältnismäßige und den Vorgaben des Artikels 12 Abs. 1 Grundgesetz sowie der Europäischen Dienstleistungsfreiheit (Artikel 56 AEUV) entsprechende Maßnahme darstellt. Das erscheint fraglich, weil sich das nach § 4 Abs. 4 Glücksspielstaatsvertrag neue Fassung grundsätzlich weiterhin bestehende Internetverbot auch noch nach Abschluss des Konzessionsvergabeverfahrens durchsetzen lässt.

Ungeachtet dessen ist der Bescheid voraussichtlich aber bereits deshalb rechtswidrig, weil die Ermessensentscheidung des Antraggegners die neue Sach- und Rechtslage nicht berücksichtigt.“

Das VG Ansbach stützt seine Entscheidung somit ausdrücklich nicht nur auf die Liberalisierung in Schleswig-Holstein, sondern auch auf die Öffnung im Bereich des Onlineglücksspiels durch den ersten Glücksspieländerungsstaatsvertrag selbst. Die Änderung der Rechtslage in Deutschland führt somit zu Ermessensfehlern in auf die alte Rechtslage gestützten Untersagungsbescheiden (vgl. zur Frage des nachträglichen Ersetzen wesentlicher Ermessenserwägungen bei Dauerverwaltungsakten den Revisionszulassungsbeschluss des BVerwG vom 17.10.2012, 8 B 61/12).