OLG Düsseldorf: 0190-Telefon-Gewinnspiel wettbewerbswidrig

Rechtsanwalt Dr. Martin Bahr

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Das OLG Düsseldorf (Urt. v. 23.09.2003 – Az.: I-20 U 39/03) hatte darüber zu entscheiden, ob 0190-Telefon-Gewinnspiele (1,86 Euro/Min) wettbewerbswidrig sind.

Die Situation von Gewinnspielen mit Mehrwertdiensten ist rechtlich außerordentlich umstritten, vgl. den Aufsatz von RA Dr. Bahr: „Gewinnspiele mit Mehrwertdienste-Rufnummern (0190, 0900, 013x)“.

Erst vor kurzem hatte die Staatsanwaltschaft München (StA) ihre Ermittlungen gegen den Fernsehsender „9 Live“ wegen des Verdachts auf Glücksspiel eingestellt, vgl. dazu die Anmerkung von RA Dr. Bahr: „StA München: Kein Glücksspiel bei 9 Live“. Die StA München hatte das für Glücksspiele erforderliche Merkmal des entgeltlichen Einsatzes ablehnt, weil pro Anruf nur 0,49 EUR anfielen und dies im rechtlichen Sinne nicht erheblich sei.

Zur zivilrechtlichen Seite siehe dazu auch die Anmerkung von RA Dr. Bahr: „LG München I: Erlaubte Gewinnspiele bei 9 Live“.

Das OLG Düsseldorf dagegen kam im vorliegenden Fall zu einem anderen Ergebnis und bejahte das Vorliegen eines strafbaren Glücksspiels iSd. § 284 StGB.

Erstaunen ruft dabei zunächst hervor, dass die Richter – anders als die des LG Memmingen (Urt. v. 10.05.2000 – Az.: 1H O 2217/99) und des LG Hamburg (Beschl. v. 08.01.2002 – Az.: 406 O 7/02) – keine unzulässige Kopplung mit dem Warenabsatz bejahen.

Nach ständiger Rechtsprechung wird die Grenze des wettbewerbsrechtlich Zulässigen dort überschritten, wo der Erwerb von Waren oder die Inanspruchnahme von Leistungen des Gewinnveranstalters zwangsweise als Voraussetzung für die Teilnahme an einem Gewinnspiel verlangt wird (sog. Kopplungsfälle).

„Zu Recht hat das Landgericht (…) die Beurteilung des Spiels als wettbewerbswidrig unter dem Gesichtspunkt der Koppelung mit einer Ware oder Dienstleistung abgelehnt.

Es gibt nämlich keine andere von der Beklagten angebotene Ware oder Dienstleistung als die Beteiligung an dem angegriffenen Spiel. Soweit der Kläger auf die Beteiligung der Beklagten an den Telefonkosten verweist, handelt es sich um Einnahmen, die unmittelbar mit dem Spiel zusammenhängen, nicht um eine Gegenleistung für eine nicht damit zusammenhängende Ware oder Dienstleistung.“

Diese Argumentation ist wenig überzeugend, da hier sehr wohl eine Ware abgenommen wird: Nämlich der Teil der Minuten-Preises, der in voller Höhe dem Veranstalter zufließt.

Dann bejaht das OLG Düsseldorf ein Glücksspiel und somit eine wettbewerbswidrige Handlung iSd. § 3 UWG (= § 1 UWG a.F.).

Zunächst setzt es sich mit dem Merkmal des Zufalls auseinander:

„Ein Glücksspiel (…) wird von einem – grundsätzlich nicht strafbaren – Geschicklichkeitsspiel dadurch abgegrenzt, dass die Entscheidung über Gewinn und Verlust (…) nicht wesentlich von den Fähigkeiten, Kenntnissen und der Aufmerksamkeit der durchschnittlichen Spieler abhängt, sondern jedenfalls hauptsächlich von dem ihrer Einwirkungsmöglichkeit entzogenen Zufall (…).

Danach handelt es sich bei dem Gewinnspiel, wie es die Beklagte auf ihrer Website (…) angekündigt hat, nicht um ein Geschicklichkeitsspiel, vielmehr um ein Glücksspiel.“

Und weiter:

„Dass die Chance, ob jemand tausendster Anrufer usw. ist, maßgeblich vom Zufall abhängt, wird auch im Gutachten (…) nicht in Frage gestellt. Das gilt auch für Folgeanrufe. Zwar erfährt der Anrufer, wie viele Anrufe noch bis zum nächsten Anruf ausstehen, bei dem eine Gewinnmöglichkeit besteht. Durch eine Vielzahl von Anrufen ließe sich zwar errechnen, wie viele Anrufe in der Zwischenzeit stattgefunden haben.

Das gilt aber bereits dann nicht, wenn in der Zwischenzeit – vom Anrufer unbemerkt – ein tausendster Anruf usw. stattgefunden hat, weil die Beklagte die nächste Gewinnschwelle nicht näher bezeichnet. Abgesehen davon lässt sich die Zahl der vergangenen Anrufe nicht verlässlich für die Zukunft hochrechnen, zumal eine Gewinnchance nur bei „punktgenauem Treffen“ besteht.

Die Abgrenzung zwischen Geschicklichkeitsspiel und Glücksspiel ist bei Fallgestaltungen, in denen unter den Anrufern (…) per Zufall diejenigen ausgewählt werden, die an einem isoliert betrachtet als Geschicklichkeitsspiel anzusehenden Quiz teilnehmen können, streitig. (…)

Der Bundesgerichtshof (…) hat entschieden, das die Zuerkennung von Preisen für den Gewinn von mehreren Spielen hintereinander selbst dann maßgeblich auf Zufall beruht, wenn die einzelnen Spiele als Geschicklichkeitsspiele anzusehen sind und der Zufall lediglich die Kombination (Gewinn mehrerer Spiele hintereinander) beeinflusst. Diese Entscheidung spricht dafür, bei der Kombination eines vorgeschalteten Glücksspiels und eines folgenden Geschicklichkeitsspiels (oder umgekehrt), die erst zusammen den Gewinn eines Preises ermöglicht, insgesamt von einem Glücksspiel auszugehen.“

Schließlich bejahen die Richter auch die Voraussetzung des entgeltlichen Einsatzes. Dabei stellen sie ausdrücklich fest, dass die 1,86 Euro/Minute an sich nicht erheblich seien. Relevant werde díe Summe jedoch durch die Tatsache, dass die Teilnehmer häufiger anrufen würden:

„(…) Aber kann (…) nicht nur auf die Kosten eines einzelnen Anrufs abgestellt werden. Sie wären zwar mit höchstens 1,86 Euro als Bagatelle anzusehen (…).

Die Bagatellgrenze wird aber nicht nur dadurch überschritten, dass der Veranstalter die Möglichkeit hat, durch Verlängerung des Telefonats dessen Kosten in die Höhe zu treiben (…), was hier wegen der Begrenzung eines Telefonats auf maximal 1 Minute nicht der Fall ist.

Das Gewinnspiel der Beklagten ist dadurch gekennzeichnet, dass es über eine lange Zeit fortdauert und jeder Interessent mehrfach teilnehmen kann, und zwar auch dann, wenn er bei vorherigen Anrufen nicht zu den Gewinnern gezählt hat. Durch wiederholtes Anrufen, insbesondere kurz vor einer Gewinnschwelle, werden Interessenten versuchen, ihre Gewinnchancen zu erhöhen. Das Gewinnspiel ist darauf ausgerichtet, dass sich ein Interessent an die nächste Gewinnschwelle „herantelefoniert“.

Dazu ruft die Beklagte in ihrer Werbung auch ausdrücklich auf („So ist es ihm möglich abzuschätzen, wann er es erneut probieren sollte“).

Aus diesem Grunde ist nicht auf die Kosten eines einzigen Telefonats, sondern auf die Gesamtkosten abzustellen. Die Kosten mehrerer Telefonate überschreiten die Bagatellgrenze.“

Dies ist exakt die gegenteilige Argumentation zur StA München im Verfahren „9 Live“, die eine Strafbarkeit wegen einer möglichen Kumulierung der Werte ausdrücklich abgelehnt hat.

Folgt man der Ansicht der Düsseldorfer Richter, dürfte es auch unerheblich sein, ob es sich um 0,49 Euro oder 1,86 Euro pro Anruf handelt, da die Wettbewerbswidrigkeit sich aus der Addition der Beträge ergibt.

Daher kann diese Wertung nicht überzeugen. Eine solche Interpretation würde nämlich dazu führen, dass jedes Gewinnspiel, das mittels eines Premium Rate-Dienstes veranstaltet wird, praktisch automatisch ein strafbares Glücksspiel ist.

Nach dieser kritikbedürtigen Meinung würde demnach nicht nur „9 Live“, sondern auch RTL, SAT.1, NTV und Kabel 1, die solche Telefon-Gewinnspiele mittels Televoting-Nummer seit kurzem betreiben, ein strafbares Glücksspiel iSd. § 284 StGB anbieten. Und jeder Anrufer würde sich wegen Beteiligung an einem unerlaubten Glücksspiel strafbar machen (§ 285 StGB).

Über die Absurdität eines solchen Ergebnisses bedarf es wohl keiner großen Ausführungen.

Es ist daher vielmehr auf den entgeltlichen Einsatz pro Teilnahme abzustellen und zu untersuchen, ob dieser die Erheblichkeits-Grenze überschreitet.