Unionsrechtswidriges Sportwettmonopol

Rechtsanwalt Dr. Ronald Reichert
Fachanwalt für Verwaltungsrecht
Sozietät Redeker Sellner Dahs
Willy-Brandt-Allee 11
D - 53113 Bonn
– Entscheidungsgründe des VG Minden zum Urteil vom 01.02.2011 –

Ein Artikel von Rechtsanwalt Dr. Ronald Reichert und Rechtsanwältin Imke Schneider

Mit Urteil vom 01.02.2011 hatte auch das Verwaltungsgericht Minden als siebtes deutsches Verwaltungsgericht in einem Hauptsacheurteil zugunsten der privaten Glücksspielvermittler entschieden und die angefochtene Untersagungsverfügung der Stadt Bielefeld aufgehoben (Az.: 1 K 2346/07). Über den Ausgang des von der Kanzlei Redeker Sellner Dahs geführten Verfahrens hat der Linksunterzeichner als Prozessbevollmächtigter der Klägerin bereits am 02.01.2011 berichtet.

Inzwischen liegen die schriftlichen Urteilsgründe der 1. Kammer des VG Minden vor. Sie geben wichtige neue Erkenntnisse:

I) Da die streitgegenständliche Untersagungsverfügung aus dem Jahr 2007 stammte und damit nicht auf den Glücksspielstaatsvertrag, sondern noch auf den Lotteriestaatsvertrag gestützt war, hat sich die Kammer zunächst mit der Frage beschäftigt, welcher Beurteilungszeitpunkt maßgeblich für die (Sach-) und Rechtslage sei. Sie hat diese Frage konsequent offen gelassen und ist insoweit dem Vortrag der Prozessbevollmächtigten der Klägerin in der mündlichen Verhandlung gefolgt. Stellt man nämlich auf die Rechtslage im Jahr 2007 als dem maßgeblichen Zeitpunkt ab, folgt die Verfassungs- und Unionsrechtswidrigkeit bereits aus dem Sportwettenurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28.03.2006 (1 BvR 1054/01). Der Übergangszeitraum, den das Bundesverfassungsgericht zwar seinerzeit zugebilligt hat, ist unionsrechtlich nicht haltbar, wie der EuGH inzwischen in seiner Winner Wetten-Entscheidung vom 08.09.2010 (Rs. C-409/06) ausdrücklich klargestellt hat. Dieser Befund ist auch für die insoweit anhängigen Schadensersatzklagen gegen nordrhein-westfälische Kommunen bedeutsam. Stellt man dagegen auf die heutige Rechtslage ab und legt damit den Glücksspielstaatsvertrag zugrunde, erweist sich die Rechtslage ebenfalls als unionsrechtswidrig und die Untersagungsverfügung ist rechtswidrig. Die Kammer hat diese Überlegungen bestätigt.

II) Zur Unionsrechtswidrigkeit des Glücksspielstaatsvertrages bestätigt die 1. Kammer zunächst die Gesamtkohärenzbetrachtung als richtigen Maßstab. Die von den nationalen Gerichten vormals überwiegend vertretene Auffassung einer rein sektoralen Kohärenzbetrachtung ist durch die Urteile des EuGH vom 08.09.2010 und die Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 24.11.2010 widerlegt. Dass der Glücksspielstaatsvertrag das angestrebte Ziel der Suchtbekämpfung nicht kohärent und systematisch verfolgt, macht die Kammer anschließend an folgenden Punkten fest:

  1. Das Geldgewinnspiel in Spielhallen und Gaststätten sei – anders als der Sportwettbereich – nicht monopolisiert, sondern darf von privater Seite veranstaltet werden. Durch die Novellierung der Spielverordnung im Jahr 2006 ist es in diesem Bereich in den Jahren 2006 bis 2010 zu einer Angebotsausweitung, für die sich das VG Minden einerseits auf die Zunahme der Zahl der Geldspielgeräte (27 bundesweit insgesamt; 47 in Spielhallen) und andererseits unter Verweis auf den Fachbeirat Glücksspielsucht auf eine„überproportionale Umsatzsteigerung“ bei den gewerblichen Automatenbetreibern beruft.
  2. Bei einer Angebotsausweitung sei es auch im Bereich der Spielcasinos geblieben, deren Zahl in den Jahren 2000 bis 2007 von 69 auf 85 gestiegen und bis 2009 lediglich auf 84 verringert worden ist.
  3. Als Beleg für die bestehende Inkohärenz wertet es das Gericht weiter, dass selbst die Ministerpräsidenten der Bundesländer, die im Rahmen der politischen Diskussion derzeit nach wie vor am Lottomonopol festhalten wollen, eine Novellierung des GlüStV anstreben. Damit wird nach Auffassung des Gerichts eingeräumt, dass das derzeitige Monopol und seine Ausgestaltung den europarechtlichen Anforderungen nicht genügen.
  4. Auch wenn die vorgenannten Punkte zum Nachweis der Inkohärenz bereits ausreichen würden, äußert sich die Kammer auch noch zu der in den letzten Jahren von den Oberverwaltungsgerichten häufig verkannten Frage der Werbung. Dazu heißt es im Urteil wörtlich:
    „Gleichwohl kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass der EuGH auf der Grundlage der Vorlagefragen ergänzend festgestellt hat, dass die in Deutschland betriebene Werbung für Lotterien, Sportwetten und Casinos durch die staatlichen Monopolinhaber europarechtlichen Vorgaben widerspricht.“
    Anschließend spricht die Kammer von „agressiver“ Werbung für die Produkte von Lotto, die nach wie vor betrieben werde. Die Werbung für ansteigende Jackpots nimmt nach den Feststellungen der Kammer „jeweils fast hysterische Züge an“. Die harsche Kritik der Kammer an der Werbepolitik der Monopolanbieter deckt sich dabei mit den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts, die nur Stunden später bekannt werden (s. dazu weitere ISA-Meldung vom gleichen Tag).

III) Abschließend beschäftigt sich die Kammer mit dem Einwand der Beklagten, die Untersagungsverfügung sei bereits deshalb gerechtfertigt gewesen, weil die Klägerin nicht im Besitz der für die Wettvermittlung erforderlichen Erlaubnis gewesen sei. Hierzu stellt die Kammer mit wenigen Worten überzeugend fest, dass diese Argumentation nicht tragfähig ist: Wegen des staatlichen Sportwettmonopols kann die Klägerin als Privatperson keine Erlaubnis erhalten. Da das Sportwettmonopol mit Unionsrecht aber nicht vereinbar ist, müssen alle das Monopol betreffenden nationalen Regelungen – dazu gehört auch der Erlaubnisvorbehalt in § 4 Abs. 1 GlüStV – unangewendet bleiben. Dementsprechend kann der Klägerin das Fehlen der Erlaubnis nicht entgegengehalten werden.

Das Urteil des VG Minden reiht sich damit konsequent in die Reihe der positiven Hauptsacheentscheidungen in Anfechtungsklagen gegen Untersagungsverfügungen der Verwaltungsgerichte Berlin, Hamburg, Köln, Stuttgart und Gera ein (s. dazu bereits ISA-Meldung vom 02.02.2011).