Urteile des Verwaltungsgerichts Köln: Mehreren Klagen von Sportwettvermittlern stattgegeben

Rechtsanwalt Guido Bongers

Rechtsanwaltskanzlei Bongers
Landgrafenstraße 49
D - 50931 Köln
Das Verwaltungsgericht Köln hat in mehreren Hauptsacheentscheidungen (u.a. 1 K 3288/07) Klagen unterschiedlicher, durch die Kanzlei Bongers vertretener Sportwettvermittlungsunternehmen stattgegeben und die Ordnungsverfügungen der Stadt Köln in Gestalt der erlassenen Widerspruchsbescheide aufgehoben.

Dabei verweist die 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Köln in der Urteilsbegründung zutreffend darauf, dass es für Verfahren, in denen Untersagungsverfügungen und Widerspruchsbescheide vor dem 31.12.2007 ergangen sind, maßgeblich auf die Rechtslage ankommt, die bis zum 31.12.2007 bestanden hat.

Dies ergebe sich zum einen daraus, dass sich der maßgebliche Zeitpunkt zur Bewertung der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes nach materiellem Recht richte. Es komme in Fällen der vorliegenden Art grundsätzlich darauf an, ob das neue Recht seine gewissermaßen „rückwirkende Berücksichtigung“ bei der gerichtlichen Beurteilung der nach früherem Recht erlassenen Verwaltungsakte vorschreibe. Dies sei aber weder im Glücksspielstaatsvertrag, noch im Ausführungsgesetz zum Glücksspielstaatsvertrag NRW geschehen. Eine Ausnahme habe das Bundesverwaltungsgericht in ähnlichen Fällen nur für Anfechtungsklagen aus dem Erschließungsbeitragsrecht angenommen, da dort eine Pflicht zur Beitragserhebung bestehe und somit feststehe, dass der etwa aufgehobene Bescheid aufgrund geänderter Rechtslage sogleich wieder an den Beitragspflichtigen gerichtet werden müsse. Vergleichbare Voraussetzungen seien aber im „Sportwettenrecht“ nicht gegeben. Unter diesen Umständen sei wegen der Dauerwirkung der angefochtenen Verfügung nicht – wie in der Regel – auf den Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung abzustellen, andererseits jedoch zu berücksichtigen, dass den Regelungen des Glücksspielstaatsvertrages, die ab 1. Januar 2008 Geltung gefunden haben, keine Rückwirkung zukommen könne. Dies ergebe sich nicht nur aus dem Fehlen einer ausdrücklichen Rückwirkungsregelung, sondern auch daraus, dass durch § 22 Abs. 2 GlückStV – AG NRW das vorher geltende Sportwettengesetz NRW erst mit Wirkung ab dem 1. Januar 2008 aufgehoben wurde. Daher könne das neue Recht weder für die vor diesem Zeitpunkt erlassenen Verwaltungsakte gelten, noch finde es ab diesem Zeitpunkt ohne Weiteres auf Altverfügungen Anwendung.

Sodann stellt das Verwaltungsgericht fest, dass im maßgeblichen Beurteilungszeitraum bis zum 31. Dezember 2007 die untersagte Tätigkeit nicht gegen § 14 Abs. 1 OBG verstoßen habe, weil es sich gerade nicht um unerlaubtes Glücksspiel im Sinne von § 284 StGB gehandelt habe. Das staatliche Sportwettenmonopol habe im Übergangszeitraum den Anforderungen des Europarechts schon in formeller Hinsicht nicht genügt. Der Text des Artikels 46 Abs. 1 EG fordere nämlich für die Rechtfertigung von Beeinträchtigungen entsprechende Rechts- und Verwaltungsvorschriften. Diese seien aber nicht gegeben gewesen. Zudem habe der EuGH für das Glücksspielrecht gefordert, dass die Mitgliedsstaaten das von ihnen angestrebte Schutzniveau genau zu bestimmen hätten, wobei das Verwaltungsgericht sodann ergänzend auf die Vorgaben im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28.03.2006 verweist. Sämtliche dieser Voraussetzungen seien unter europarechtlichen Gesichtspunkten gerade nicht verwirklicht worden. Der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28.03.2006, mit welcher eine „Übergangsregelung“ getroffen wurde, komme keine Gesetzeskraft zu. Zudem seien für die vom Bundesverfassungsgericht als Voraussetzung für Untersagungsmaßnahmen dargestellten Maßgaben, jedenfalls unter Berücksichtigung der EuGH-Rechtsprechung, keine konkreten Formulierungen gewählt worden. Die Formulierungen “Mindestmaß an Konsistenz” bzw. “konsequent auszurichten” oder “expansive Vermarktung” seien zu unbestimmt. Ob die Übergangspraxis dem genügt habe, hing im Übrigen nicht nur von den Anweisungen der zuständigen Landesministerien oder des Monopolisten ab, sondern maßgeblich von der lückenlosen tatsächlichen Umsetzung vor Ort.

Letztlich genüge die Gesetzeslage auch in materieller Hinsicht während der Übergangszeit den Anforderungen des Europarechts nicht. Hierbei wird vom Verwaltungsgericht umfassend dargestellt, dass sich die Anzahl der Spielbanken zwischen den Jahren 2000 und 2007 dauerhaft erhöht hat, im Übrigen die wirklich suchtrelevante Spielbereiche sich insbesondere im Casino- und Automatenspiel befänden, nicht hingegen im Bereich von Lotterien und Sportwetten. Insbesondere habe es maßgebliche Lockerungen durch die am 01.01.2006 in Kraft getretene Spielverordnung gegeben, so dass letztlich eine Inkohärenz der deutschen glücksspielrechtlichen Regelungen vorliege. Es komme somit gar nicht mehr darauf an, ob sich die Inkohärenz und die fehlende Systematik zusätzlich auch aus intensiven Werbekampagnen des Monopolinhabers ergebe, sondern schon die nichtkohärente Gesetzeslage führe zur Feststellung der Gemeinschaftswidrigkeit des staatlichen Wettmonopols. Zudem hebt das Verwaltungsgericht hervor, dass auch ein Interesse an der Einnahmenmaximierung bei den staatlichen Stellen bestehe, weil durch die Zulassung weiterer Spielbanken und die Ermöglichung eines erweiterten Automatenspiels nach der SpielV notwendigerweise auch höhere Einnahmen aus Spielbankenabgaben und örtlichen Aufwandssteuern erfolgen würden.

Mit Nachdruck kritisiert das Verwaltungsgericht in der Entscheidung die Rechtsauffassung des OVG Nordrhein-Westfalen in dessen jüngster Eilentscheidung, wobei das Verwaltungsgericht zutreffend darauf hinweist, dass das OVG NRW vom bindenden Inhalt der EuGH-Rechtsprechung abweiche.

Insgesamt führt das Verwaltungsgericht aus, dass damit auch nach aktueller Rechtslage von einer Gemeinschaftswidrigkeit des Sportwettenmonopols auszugehen sei und sich daraus gleichzeitig ergebe, dass selbstverständlich dann auch während der Übergangszeit bis Ende 2007 eine gemeinschaftswidrige Rechtslage bestanden hat. Abschließend wird sodann klargestellt, dass die vom OVG Münster in der Übergangszeit vertretene Auffassung, der Anwendungsvorrang des EU-Rechts könne ausnahmsweise durchbrochen werden, weil andernfalls eine „inakzeptable Gesetzeslücke“ entstehe, ebenfalls – wie höchst richterlich durch den EuGH geklärt – rechtsfehlerhaft war. Der EuGH habe auf Ersuchen der Kammer explizit entschieden und verbindlich festgestellt, dass aufgrund des Vorrangs des unmittelbar geltenden Unionsrechts eine nationale Regelung über ein staatliches Sportwettenmonopol, die nach den Feststellungen eines nationalen Gerichts Beschränkungen mit sich bringe, die mit dem freien Dienstleistungsverkehr unvereinbar seien, nicht für eine Übergangszeit weiter angewandt werden dürfe.

Auch erteilt das Verwaltungsgericht den zuletzt von einigen Verwaltungsgerichten in Eilverfahren merkwürdigerweise vertretenen Meinungen, trotz einer gemeinschaftswidrigen Rechtslage bedürfe es noch einer Erlaubnis, eine klare Absage. Hier gelte der Anwendungsvorrang des EU Rechts. Schließlich verweist es zutreffend darauf, dass das OVG Nordrhein-Westfalen auch mit seiner Rechtsauffassung unrichtig liege, das Vermitteln von Sportwetten stelle unter dem Gesichtspunkt der Spielsucht und ihrer Folgen eine konkrete Gefahr dafür dar, dass in jedem Einzelfall der Sportwettvermittlung durch die Kläger beim jeweiligen Wettteilnehmer mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Spielsucht ausgelöst oder verschlimmert würde. Hierzu fehle es schlichtweg an gerichtsverwertbaren Anhaltspunkten.

Das Gericht hat die Berufung in den einzelnen Urteilen nicht zugelassen, wobei allerdings für die Beklagtenseite die Möglichkeit besteht, einen Antrag auf Zulassung der Berufung unter den dort dargestellten, erschwerten Bedingungen zu stellen.

Die Stadt Köln wird sich abschließend auf die Geltendmachung umfangreicher Schadensersatzansprüche einstellen müssen. Diverse Betriebsstätten sind in der Übergangszeit und auch in den Jahren danach durch ordnungsbehördliche Zwangsmaßnahmen geschlossen worden, wobei den Betreibern diverser Wettannahmestellen erhebliche Schäden durch massive Gewinnausfälle entstanden sind. Diese werden nunmehr kurzfristig geltend gemacht werden, wobei mit Interesse zu verfolgen sein wird, wie die Stadt Köln es rechtfertigen will, Schadensersatzansprüche in Millionenhöhe bedienen zu müssen, während man gleichzeitig die leeren Kassen der Kommunen beklagt.