Mit den Revisionsentscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 24.11.2010 hat nun das zweite Bundesgericht aus den EuGH-Urteilen vom 08.09.2010 Konsequenzen gezogen.
Das Bundesverwaltungsgericht hat das Gebot der Gesamtkohärenz bestätigt. Über den Sportwettbereich hinaus hat das Gericht eine konsistente Bekämpfung von Suchtgefahren für alle Glücksspielarten mit ähnlichem oder höherem Suchtpotential eingefordert. Die Urteile ergingen in drei Verfahren von Wettbürobetreibern, die Sportwetten an die Anbieter Tipico (8 C 15/09, vertreten durch Rechtsanwälte Kuentzle und Redeker Sellner Dahs) und Happybet (8 C 13/09 und 8 C 14/09 – Redeker Sellner Dahs) vermittelten.
Verfassungsrechtlich beanstandet das BVerwG, dass die Grenzen der zulässigen Werbung nach § 5 GlüStV mit den Anforderungen des BVerfG im Sporwettenurteil nicht zu vereinbaren sei. Namentlich Sponsoringwerbung ist danach nicht möglich (s. unten 1.).
EU-rechtlich hat das BVerwG – nach den EuGH-Urteilen nicht weiter überraschend – gefordert, dass dem Ziel einer „Begrenzung der Wetttätigkeiten“ entgegenlaufende Ausgestaltungen in anderen Glücksspielbereichen weder betrieben noch geduldet werden. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof soll dazu nähere Feststellungen treffen.
Das Bundesverwaltungsgericht als Revisionsgericht konnte und durfte dies aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht. Das Ergebnis der danach vom BayVGH vorzunehmenden weiteren Untersuchung ist allerdings schon jetzt absehbar:
1. Im Spielbankenbereich sind private Spielbankenbetreiber – anders als bei Sportwetten – zugelassen. Es werden bundesweit an 81 Standorten über 8.000 Slotmachines ohne jegliche Spieleinsatz- und Verlusthöhenbegrenzungen betrieben. Ein Alkoholverbot gibt es – anders als bei Spielhallen – nicht. Die einzige Schutzvorkehrung ist die Spielersperrdatei, die freilich nur wirkt, wenn pathologische Spieler sich bereits in einem Stadium befinden, in dem sie selbst oder Dritte eine Spielersperre veranlassen.
2. Im Spielhallenbereich ist namentlich für Bayern in den letzten fünf Jahren eine erhebliche Ausweitung des Automatenangebotes dokumentiert. Gleiches gilt für die meisten anderen Länder und im Bundesdurchschnitt.
3. Im Pferderennwettbereich gibt es weder Internetverbot noch sonstige dem Sportwettbereich vergleichbare Beschränkungen.
4. Die Geldgewinnspiele in TV und Internet sind überhaupt erst in den letzten Jahren am Markt erschienen und von den Behörden geregelt worden. Das regulatorische Schutzniveau ist gering.
Das Ergebnis der Überprüfung durch den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof ist damit bereits absehbar. Auch dieser wird nunmehr aller Voraussicht nach die Unionsrechtswidrigkeit der derzeitigen Rechtslage bestätigen.
Inwieweit das Bundesverwaltungsgericht die vom EuGH mit seinen Urteilen vom 08.09.2010 verbindlich aufgestellten Maßstäbe durch die jetzt ergangenen Urteile vollständig umgesetzt hat, wird erst beurteilt werden können, wenn die schriftlichen Urteilsgründe vorliegen. Diesen wird mit Spannung entgegengesehen werden können.
Auswirkungen hat dies auch auf die derzeit in einzelnen Bundesländern (vor allem Berlin, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz) geführten Eilverfahren. Bis zur Klärung der tatsächlichen Lage Untersagungsverfügungen in den Ländern gleichwohl durchzusetzen, ist angesichts der dazu schon vorliegenden Daten nicht nur mit dem gemeinschaftsrechtlichen Anwendungsvorrang und dem effet utile des Unionsrechts unvereinbar, sondern birgt für die Länder auch erhebliche Schadensersatzrisiken seitens der betroffenen Betreiber.
Am 18.11.2010 hatte bereits der Bundesgerichtshof in den Verfahren I ZR 156/07, I ZR 159/07, I ZR 163/07, I ZR 165/07, I ZR 168/07, I ZR 170/07 und I ZR 171/07 Urteile des Landgerichts und Oberlandesgerichts Köln aufgehoben. Die Entscheidungen betrafen Online-Lotterien, -Sportwetten und -Casinospiele. Der BGH hat dabei wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche aus der Zeit bis zum Inkrafttreten des Glücksspielstaatsvertrags erstmals nicht nur für den Sportwettbereich, sondern nun auch für den Spielbankenbereich verworfen. Auch das Spielbankenmonopol in seiner bisherigen Gestalt wurde danach höchstrichterlich als europarechtswidrig beurteilt. Die schriftlichen Urteilsgründe liegen noch nicht vor.
Es zeigt sich einmal mehr, dass die Länder politisch gut daran täten, umgehend eine gemeinschaftsrechtskonforme Rechtslage herzustellen. Da es den Ländern in zwölf Jahren nicht gelungen ist, das Sportwettmonopol auch nur ansatzweise durchzusetzen, dieses mittlerweile nur noch einen Marktanteil von etwa 2,5 % des Sportwettmarktes ausmacht, spricht alles dafür, endlich die gebotenen Konsequenzen zu ziehen und private Anbieter auch gesetzlich zuzulassen. Nur so entgehen die Länder auch der Notwendigkeit umfassender Gesetzesänderungen im Spielbanken, Automaten- und Pferderennwettbereich, die eine parteipolitisch kaum wahrscheinliche Mitwirkung des Bundes voraussetzen.
Für die politische Bewertung der Urteile des BVerwG sind zwei spannende rechtliche Aspekte darüber hinaus wesentlich:
1. Das BVerwG hat keinen Zweifel daran gelassen, dass es die Werberegelungen des Glücksspielstaatsvertrags mit dem Sportwettenurteil des Bundesverfassungsgerichts für unvereinbar hält, weil dieses Werbung auf Information und Aufklärung über die Möglichkeit zum Wetten beschränkt hat und Sponsoringwerbung darüber hinausgeht. Da die Sponsoringwerbung einen wesentlichen Teil der Finanzierung des Breitensports ausmacht, dürfte dies das Interesse des deutschen Sports an einer Marktöffnung im Sportwettbereich noch einmal erheblich verstärken, weil nur bei dieser das Sponsoring weiter zulässig bleibt.
2. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich im Rahmen des Revisionsverfahrens 8 C 13/09 zu einem weiten Verständnis des Trennungsgebotes in § 21 GlüStV entschieden. Dieses soll danach selbst Amateur-Sportvereine, auf deren Spiele keine Wetten platziert werden, nicht nur an der Wettveranstaltung, sondern auch der Vermittlung an einen anderen Sportwettveranstalter hindern. Einer an dem Zweck der Regelung, die Integrität des Sports gegen Wettbetrügereien zu schützen, orientierten engen Auslegung hat das Bundesverwaltungsgericht eine Absage erteilt. Sogar die Nutzung eines Vereinsheims durch einen Dritten zur Entgegennahme von Sportwetten für einen EU-ausländischen Veranstalter soll unter dieses Verbot fallen, obwohl ein Einfluss auf die Festsetzung von Quoten in dieser Konstellation ersichtlich ausscheidet.
Dieses weite Verständnis der Regelung kann freilich fatale Folgen für die Beteiligung der Landessportbünde im Saarland und Rheinland-Pfalz an der Sportwettveranstaltung haben.
Insgesamt dürften die Urteile diejenigen Länder beflügeln, die sich schon in der regulatorischen Diskussion für eine Öffnung des Sportwettmarktes ausgesprochen haben. Deren Ergebnisse bleiben abzuwarten.