Glücksspielrecht: Der EuGH entscheidet, die deutsche Politik ist gefordert

– Entscheidungen betreffen vorrangig Sportwettenmonopol
– Politiker können Veranstaltung und Vertrieb von Lotterien nun angemessen regeln
– Spielsucht für Lotto kein Argument

Hamburg, 07. September 2010 – Der Europäische Gerichtshof (EuGH) wird morgen die lang erwarteten Beschlüsse in den deutschen Vorlageverfahren zum Glücksspielrecht verkünden. Es ist zu erwarten, dass der EuGH den Schlussanträgen des Generalanwalts Paolo Mengozzi folgen wird. Demnach wären die deutschen Gerichte dazu angehalten, die Kohärenz und Verhältnismäßigkeit der deutschen Regelungen im Glücksspielrecht – insbesondere für den Bereich der Sportwetten – zu überprüfen.

Der Generalanwalt Paolo Mengozzi hatte in seinen Schlussanträgen im März die deutsche Glücksspielpolitik kritisch hinterfragt und eine angemessene Regelung eingefordert. Folgt der EuGH seinen Schlussanträgen, wäre es Aufgabe der Bundesländer, das Lotterie- und Sportwettenmonopol „verhältnismäßig, kohärent und systematisch“ auszugestalten. Der Glücksspielstaatsvertrag müsste hiernach einen „Scheinheiligkeitstest“ vor deutschen Gerichten bestehen. Eine finale Entscheidung wird somit wieder um Jahre verzögert.

Klarheit für die im Rahmen des Glücksspielstaatsvertrages heftig umstrittenen gesetzlichen Werbe- und Vertriebsbeschränkungen von staatlichen Lotterien und deren gewerblichen Vermittlung ist indes morgen aus Brüssel nicht zu erwarten. Derzeit beschäftigen sich dutzende deutsche Gerichte bis hin zum Bundesgerichtshof in hunderten von Verfahren mit der Frage, wie für Lotterien geworben werden darf.

Auch das Verbot der Internetvermittlung von Lotterien wird vermutlich nicht in Brüssel geklärt werden. Mengozzi hatte bereits in seinen Schlussanträgen darauf hingewiesen, dass diese Beurteilung nicht Inhalt der dem EuGH vorgelegten Fragen sei. So sei es Sache der deutschen Gerichte zu entscheiden, ob das Internetverbot für Lotto und Lotterien zur Suchtbekämpfung notwendig sei. Das Internetvermittlungsverbot für Lotto wird bereits aktuell in dutzenden deutschen Verfahren angegriffen.

„Ganz gleich, wie der EuGH morgen entscheidet, die Politiker sind aufgefordert, die Zukunft des deutschen Lottos nicht den Gerichten zu überlassen, sondern nun selbst zu handeln“, so Norman Faber, Präsident des Deutschen Lottoverbandes. „Die Lotterie-Initiative staatlicher Veranstalter und privater Vermittler sowie Schleswig-Holstein haben Vorschläge für eine vernünftige und angemessene Regulierung des deutschen Glücksspielmarktes vorgelegt. Diese Lösungsansätze müssen sachlich und konstruktiv diskutiert werden.“

Kernpunkt des Vorschlags der Lotterie-Initiative ist eine angemessene und gefahrenadäquate Lockerung der Werbung und des Vertriebs der aktuell überregulierten Lotterien. Durch die massiven und undifferenzierten Werbe- und Vertriebsbeschränkungen des GlüStV, wie dem generellen Internetverbot, ist der Umsatz der Lotterien teilweise um 50% eingebrochen. Infolge dessen verlieren die Länder bis 2011 voraussichtlich rund 5 Mrd. Euro an Steuern und Zweckerträgen, die u. a. für die Förderung von Breitensport, Wohlfahrt und Kultur dringend benötigt werden.

Der Glücksspielexperte Dr. Luca Rebeggiani (Universität Hannover) prognostiziert in einem bereits veröffentlichten Wirtschaftsgutachten, basierend u. a. auf Studien der Markforschungsinstitute ifo, MKW und Goldmedia, dass die Bundesländer infolge einer solchen Neuregelung von 2012 bis 2016 bis zu 10 Milliarden Euro Netto-Mehreinnahmen aus Lotto, den Klassen- und Soziallotterien generieren könnten. Dieses entspricht mittelfristig fast 3 Milliarden Euro an zusätzlichen Steuern, Zweckerträgen und sonstigen Einnahmen pro Jahr.

Auch verfassungs- und europarechtlich ist die Novellierung des noch bis Ende 2011 geltenden GlüStV dringend notwendig. Der Verfassungsrechtler Prof. Dr. Jarass (Universität Münster) kommt in einem aktuellen rechtswissenschaftlichen Gutachten zum Schluss, dass die Suchtbegründung für harmlose Lotterien verfassungs- und gemeinschaftsrechtlich widersprüchlich und angreifbar ist. Es gibt vielmehr andere Argumente als die Spielsuchtprävention, die das Lotterie-Veranstaltungsmonopol ausreichend sichern können, ohne dass die unverhältnismäßigen Restriktionen aufrechterhalten werden müssen.

Über die deutschen Vorlageverfahren:

Insgesamt liegen dem EuGH acht Verfahren von deutschen Gerichten zur Vorabentscheidung vor. In allen acht Verfahren geht es im weitesten Sinne um die Vereinbarkeit des deutschen Monopols für Sportwetten mit europäischem Recht. Für sieben dieser Verfahren hat der EuGH am 04. März 2010 die Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi veröffentlicht. In rund 97 Prozent aller Fälle folgen die Richter des EuGH in ihren Urteilen den Schlussanträgen des Generalanwalts.