EuGH setzt klare Maßstäbe für Europa

Von Rechtsanwalt Heinrich Sievers

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat sich inzwischen in einer Reihe von Urteilen zur Auslegung der Vorschrift des Art. 49 EG (Dienstleistungsfreiheit) in Bezug auf Glücksspiele geäußert, zuletzt am 3. Juni 2010.

Der Gerichtshof der Europäischen Union entscheidet im Wege der Vorabentscheidung über die Auslegung des Rechts der Europäischen Union und über die Gültigkeit der Handlungen der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union.

Die Rolle des Gerichtshofs im Vorabentscheidungsverfahren besteht darin, das Unionsrecht auszulegen oder über seine Gültigkeit zu entscheiden, nicht aber darin, dieses Recht auf den Sachverhalt anzuwenden, der dem Ausgangsverfahren zugrunde liegt; dies ist vielmehr Sache des nationalen Gerichts.

Deshalb verwundert es wenig, dass der EuGH den nationalen Gerichten nur Hinweise auf die Auslegung des Rechts der EU gibt, nicht jedoch den konkreten Fall entscheiden kann. Jedoch sind die nationalen Gerichte gehalten, in allen Fällen auf vergleichbare Sachverhalte die vom EuGH gefundene Auslegung des EU-Rechts anzuwenden und nicht davon abzuweichen. Dies gilt auch bereits jetzt für die deutschen Gerichte.

Der EuGH hat inzwischen in gefestigter Rechtsprechung Tätigkeiten im Glücksspielwesen als grundsätzlich unter die Dienstleistungsfreiheit fallend angesehen, jedoch ebenfalls in allen Fällen entschieden, dass Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit in diesem Sektor nach Art. 46 Abs. 1 EG gerechtfertigt sein können, der Beschränkungen zulässt, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind. Außerdem hat die Rechtsprechung des Gerichtshofs hat eine Reihe von zwingenden Gründen des Allgemeininteresses herausgestellt, die diese Beschränkungen ebenfalls rechtfertigen können, wie die Ziele des Verbraucherschutzes, der Betrugsvorbeugung, der Vermeidung von Anreizen für die Bürger zu überhöhten Ausgaben für das Spielen und der Verhütung von Störungen der sozialen Ordnung im Allgemeinen.

Ganz klar ist jetzt, dass kein Mitgliedsstaat verpflichtet ist, ausländischen Glücksspielerlaubnissen für eine Betätigung im eigenen Land eine Bedeutung beizumessen. Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung von Erlaubnissen gilt im Glücksspielbereich nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung des EuGH gerade nicht.

Art. 49 EG ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats [wie der des Ausgangsverfahrens] nicht entgegensteht, die die Veranstaltung und die Förderung von Glücksspielen einer Ausschließlichkeitsregelung zugunsten eines einzigen Veranstalters unterwirft und es allen anderen – auch den in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen – Veranstaltern untersagt, im Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedstaats von dieser Regelung erfasste Dienstleistungen über das Internet anzubieten.

Aus den Urteilen des EuGH ist auch ersichtlich, dass der in Deutschland geltende Glücksspielstaatsvertrag mit seinem § 1 (Ziele) Gründe des Allgemeininteresses benennt, die den Ausschluss ausländischer Glücksspielanbieter rechtfertigen. Insofern hat der EuGH jetzt erneut klargestellt, dass mehre von einem Staat verfolgte Ziele in ihrer Gesamtheit zu würdigen sind, weil sie sich auf den Schutz der Verbraucher sowie den Schutz der Sozialordnung beziehen.

Im Hinblick auf künftige Änderungen des Glücksspielstaatsvertrags ist besonders hervorzuheben, dass der EuGH ausdrücklich festgestellt hat, dass eine Politik der kontrollierten Expansion im Glücksspielsektor durchaus mit dem Ziel in Einklang stehen [kann], Spieler, die als solchen verbotenen Tätigkeiten geheimer Spiele oder Wetten nachgehen, dazu zu veranlassen, zu erlaubten und geregelten Tätigkeiten überzugehen. Zur Erreichung dieses Ziels ist es erforderlich, dass die zugelassenen Veranstalter eine verlässliche und zugleich attraktive Alternative zur verbotenen Tätigkeit bereitstellen, was als solches das Angebot einer breiten Palette von Spielen, einen gewissen Werbeumfang und den Einsatz neuer Vertriebstechniken mit sich bringen kann.

Für den in Deutschland gegenwärtig geltende Glücksspielstaatsvertrag bedarf es dieser europarechtlichen Rechtfertigung nicht, denn er hat zu einem deutlichen Rückgang der Einnahmen der legalen Anbieter geführt. Dies ist aber das klare Gegenteil einer Expansion.

Für das künftige Recht müssen die Gesetzgeber abwägen, wie sie zwischen den verschiedenen Zielen des § 1 GlüStV, z.B. Spielsuchtprävention und Spielsuchtbekämpfung einerseits und Eindämmung des nach der Rechtsprechung des EuGH jetzt eindeutig illegalen ausländischen Glücksspielangebots ohne eine deutsche Erlaubnis anderseits die beste praktische Konkordanz herstellen können.

Im übrigen hat der EuGH jetzt auch deutlich gemacht, dass sich der Begriff „kohärent“ in seinen glücksspielrechtlichen Urteilen immer auf die Frage der Widerspruchsfreiheit der zur Rechtfertigung von Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit geltend gemachten Ziele mit den zur Erreichung dieser Ziele getroffenen Regelungen bezieht. Eine darüber hinaus gehende Bedeutung kommt ihm nicht zu.

Kontakt:
Rechtsanwalt Heinrich Sievers
Ministerialrat a.D.
Ebersdorfer Str. 20 A
37081 Göttingen

Tel. (0551) 38 73 95 20
Fax (0551) 38 73 95 40