Schlussanträge Generalanwalt Mengozzi 
in den deutschen Vorabentscheidungsverfahren

Plädoyer für sektorielle Kohärenz – Werbung nur in engen Grenzen – 
Bedenken wegen DDR-Erlaubnissen

Dr. Ronald Reichert
Dr. Ronald Reichert

Die Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi zu den deutschen Vorabentscheidungsersuchen der Verwaltungsgerichte Gießen und Stuttgart bringen wichtige neue Erkenntnisse sowohl für die gerichtliche als auch für die politische Diskussion:

1. Der Generalanwalt plädiert eindeutig und unmissverständlich für eine rein sektorielle Betrachtung der Kohärenzfrage. Diese Prüfung müssen die deutschen Gerichte vornehmen.

Würde der Gerichtshof dem folgen, entfiele dieser Teil der gemeinschaftsrechtlichen Beanstandungen in den gerichtlichen Auseinandersetzungen.

Umgekehrt wäre dies für die derzeit geführte politische Diskussion indessen nur nützlich, weil die Sorgen der Länder, mit einer Öffnung des Sportwettmarktes, wie sie nach der Sachlage sich aufdrängt, das Lotteriemonopol zu gefährden, vom Tisch wären.

  1. Darüber hinaus nimmt der Generalanwalt eine Reihe von rechtlichen Präzisierungen der Anforderungen an die Monopolisierung vor, die für die in Deutschland laufenden gerichtlichen Auseinandersetzungen von wesentlicher Bedeutung und aus Sicht der privaten Anbieter auch sehr hilfreich sein dürften.
Dr. Michael Winkelmüller
Dr. Michael Winkelmüller
  • Der Generalanwalt hebt zunächst den „Hypocrisy-Test“, zu Deutsch: den Scheinheiligkeits-Test, aus der Taufe. Der Sache nach rekurriert er damit auf die Forderung des EuGH, die vorgegebenen Ziele müssten die wirklichen Ziele des Mitgliedstaats darstellen (Rn. 50). Er betont damit eine Facette des klassischen Geeignetheits- und Verhältnismäßigkeitsprüfung, die in der deutschen Rechtsprechung bislang leider nur eine untergeordnete Bedeutung eingenommen hat.
  • Sodann bekennt sich der Generalanwalt mit einem klaren Votum zu engen Beschränkungen der Werbetätigkeit. Anlehnend an das Placanica-Urteil differenziert der Generalanwalt deutlich zwischen den Werbeanforderungen an ein Monopol, das der Kriminalitätsbekämpfung dient wie in Italien, und denen, die eingehalten sein müssen, wenn das Monopol wie in Deutschland aus verfassungsrechtlichen Gründen allein auf die Spielsuchtbekämpfung gestützt werden kann. Für ein Monopol, das wie in Deutschland nach dem Bundesverfassungsgericht allein auf die Spielsuchtbekämpfung gestützt werden darf, darf die Werbung nach Auffassung des Generalanwalts nämlich nur in „engem Rahmen“ zulässig sein. Die Werbung müsse moderat sein und darf nur in gemäßigter Form ausgeübt (Rn. 61) werden. Sie dürfe ferner „tatsächlich allein dazu bestimmt“ sein, das Spiel auf das „reglementierte und kontrollierte Spiel zu konzentrieren, und nicht dazu, Einnahmen des Staates zu erhöhen“. Der Generalanwalt bezieht sich in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf den EFTA-Gerichtshof, der davon spricht „Spieler von Spielen mit hohem Suchtpotentaial fernzuhalten, die über das Internet oder andere schwer zu beseitigen Kanäle angeboten würden“ (Rn.60). Von alledem kann in Deutschland derzeit keine Rede sein.
  • Die Schlussanträge verlaufen hinsichtlich der Werbeanforderungen auffällig parallel zu denen des Generalanwalts Mazak im österreichischen Verfahren (C-64/08). Dort hatte der Generalanwalt auf die Werbestrategien abgestellt und hervorgehoben, dass hinsichtlich der Werbung namentlich die „relevanten Strategien des faktischen Monopolinhabers“ betrachtet werden müssen (Rn. 84). Auch er differenzierte zwischen kanalisierender Werbung und anreizender und ermunternder Werbung.
  • Generalanwalt Mengozzi greift diese Überlegungen mit dem von ihm formulierten Kriterium der Sache nach auf. Die derzeitige Werbestrategie des deutschen Lotto Toto Blocks, die darauf ausgerichtet ist, Kunden dazu zu veranlassen, mehr als bisher zu spielen und auch das Konzept der Kumulation der Lottogewinne durch Jackpotts stehen im klaren Widerspruch zu den formulierten Anforderungen. Dies zu kontrollieren, ist nach Mengozzi Sache der nationalen Gerichte. Der Generalanwalt verweist in diesem Zusammenhang interessanterweise auf die „regen Aktivitäten“ bei der Werbung mit Lotto-Jackpots (Rn. 53 in der Sache Stoß u.a.).
  • Die Beweislast für die Verhältnismäßigkeit und die Kohärenz liegt, wie der Generalanwalt betont, ausschließlich bei dem Mitgliedstaat. Er bekennt sich damit zu der entsprechenden Rechtsprechung des EuGH seit dem Urteil Lindman, nach dem der Mitgliedstaat eine Untersuchung zur Zweckmäßigkeit und zur Verhältnismäßigkeit der Beschränkungen vornehmen muss. Nach Mengozzi soll diese allerdings auch nachträglich vorgenommen werden können und muss nicht „statistischer Natur“ sein, wobei offen bleibt, in welcher Weise der Nachweis sonst geführt werden soll.
  • Den Versuchen der Länder, die föderalen Gesetzgebungskompetenzen als Entschuldigung für etwaige Inkohärenzen anzuführen, wird ebenfalls eine klare Absage erteilt (Rn. 59 in der parallelen Sache Carmen Media). Der Generalanwalt beruft sich insoweit auf die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs.
  • Deutliche Bedenken lässt der Generalanwalt dabei insbesondere in Richtung der DDR-Gewerbeerlaubnisse erkennen. Er erklärt unmissverständlich, dass regionale Besonderheiten innerhalb des Sektors die Monopole insgesamt gefährdeten. Auch diese Beurteilung müssten die deutschen Gerichte treffen, der Generalanwalt merkt aber bereits an, es sei angesichts der DDR-Spielerlaubnisse „schwierig, solche Besonderheiten für mit einem System vereinbar zu erklären, das sich auf die Begrenzung der Zahl der Veranstalter als ein Mittel beruft, die Gelegenheit zum Spiel zu vermindern und die Kriminalität zu bekämpfen“. Das ist konsequent, weil der Generalanwalt nur enge und vorübergehende Ausnahmen als unschädlich ansieht (Rn. 79 in der Sache Carmen Media), die DDR-Erlaubnisse aber nicht befristet sind und angesichts des auf sie entfallenden Marktanteils auch nicht als „enge Ausnahme“ angesehen werden können.
  1. Einer allgemeinen gegenwärtigen Anerkennung EU-ausländischer Erlaubnisse erteilt der Generalanwalt in Übereinstimmung mit dem Urteil in Sachen Liga Portuguesa für den nicht harmonisierten Glücksspielbereich eine klare Absage. Das war indessen bereits erwartet worden. Es entspricht bereits der Rechtsprechung in dem Urteil Placanica.

4. Schließlich fällt auf, dass der Generalanwalt den Glücksspielstaatsvertrag nicht konkret beurteilt, sondern vom Lotteriestaatsvertrag und dem Bundesverfassungsgerichtsurteil ausgeht. Diese frühere Rechtslage sieht der Generalanwalt klar als gemeinschaftsrechtswidrig an (Rn. 64 des Schlussantrags in der Sache Stoß u.a.). Über die EU-Rechtmäßigkeit des mit dem GlüStV eingeführten Internet-Verbots fällt der Generalanwalt hingegen kein eigenes Urteil. Er verweist auf die beschränkte Vorlagefrage, mit der das vorlegende Gericht das Internet-Verbot nicht in abstrakter und allgemeiner Weise in Frage gestellt habe, sondern nur in Bezug auf die Übergangsvorschrift in § 25 GlüStV. Ob zur Rechtfertigung des Monopolsystems insgesamt die „Metamorphose, die in dem Sektor stattgefunden haben soll, ausreicht“, und ob das Internet-Verbot zur Suchtbekämpfung notwendig sei, müssten die nationalen Gerichte beurteilen (a.a.O., Rn. 65).

5. Inwieweit der EuGH dem Entscheidungsvorschlag des Generalanwalts folgen wird, bleibt abzuwarten. Dass einige wesentliche Fragen vom Generalanwalt unerörtert bleiben, ist hier kritisch anzumerken. Gerichtshof und Kommission haben die Kohärenzfrage bisher stets an den vom Mitgliedstaat für die Binnenmarktbeschränkungen vorgegebenen Zielsetzungen gemessen. Das erfordert zum einen eine Betrachtung der Politik des Mitgliedstaats auch in anderen Sektoren des Glücksspielmarktes, in denen die gleichen Ziele verfolgt werden. Es verlangt ferner eine sektorübergreifende Betrachtung, wenn dies aus der Sache heraus geboten ist, um das verfolgten Ziel überhaupt erreichen zu können. Diese letztere Überlegung liegt für die deutsche Glücksspielpolitik gerade deshalb nahe, weil unter Glücksspielexperten anerkannt ist, dass gerade pathologische Spieler zwischen den Glücksspielformen wechseln (sog. Substitution). Dies zeigt das zentrale Problem eines bloß sektoriellen Monopols auf, das Suchtbekämpfung betreiben soll. Mit diesen zentralen Überlegungen befasst sich der Generalanwalt bedauerlicherweise nicht. Es bleibt zu hoffen, dass der Gerichtshof diesen in der mündlichen Verhandlung thematisierten Bedenken dennoch nachgeht.

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