Stellungnahme zu den Schlussanträgen des Generalanwalts Yves Bot vom 26.01.2010 in der Rs. C-409/06 Winner Wetten GmbH ./. Bürgermeisterin der Stadt Bergheim

Rechtsanwalt Dr. Manfred Hecker
Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht
CBH - Rechtsanwälte
Bismarckstr. 11-13
D - 50672 Köln
Grundsätzlich ist festzustellen, dass dieses Schlussplädoyer des Generalanwalts in außergewöhnlicher Deutlichkeit die Grenzziehung zwischen europäischem und nationalem Recht hervorhebt. Obwohl der Generalanwalt nämlich offenkundige Zweifel an der Richtigkeit der juristischen Einschätzung des vorlegenden Verwaltungsgerichts Köln äußert und diese im vorliegenden Schlussantrag mit außergewöhnlicher Deutlichkeit hervorhebt, hält er den Europäischen Gerichtshof für veranlasst, die Vorlagefragen unter den fehlerhaften Prämissen des nationalen Gerichts zu beantworten.

So beinhalten die Ausführungen des Generalanwalts zunächst ein Repetitorium an das vorlegende Gericht, wie und unter welchen Voraussetzungen eine Europarechtswidrigkeit der rechtlichen Gegebenheiten durch den nationalen Richter festzustellen ist. Erst nach diesen bemerkenswerten Ausführungen wendet sich der Generalanwalt der vom VG Köln vorgelegten Frage zu, ob europäisches Gemeinschaftsrecht dann auszusetzen sei, wenn die konkreten nationalen Regelungen nicht denjenigen Voraussetzungen entsprechen, die der Europäische Gerichtshof an eine zulässige Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit stellt.

Zusammenfassend beinhalten die Schlussanträge des Generalanwalts folgende wesentlichen Feststellungen:

1. Die Voraussetzungen, die das europäische Recht an eine Beschränkung der Grundfreiheiten anlegt, sind weniger streng als diejenigen, die das Grundgesetz für eine Beschränkung der Berufsfreiheit nach Art. 12 GG vorsieht (Rdn. 49 i.V.m. Rdn. 55).

2. Wenn die tatsächlichen Regelungen in einem Mitgliedsstaat (also die allgemeine Rechtslage, aber auch die tatsächliche Handhabung) den Voraussetzungen des Europäischen Gerichtshofes an eine zulässige Beschränkung der Grundfreiheiten entsprechen, besteht kein Raum für eine Kollision mit dem europäischen Recht (Rdn. 58) und damit auch kein Grund für eine temporäre Aussetzung der Grundfreiheiten.

3. Entsprechen allerdings die tatsächlichen Regelungen nicht den Voraussetzungen des EU-Rechts für eine zulässige Beschränkung der Grundfreiheiten (Rdn. 78), dann gibt es auch keine Veranlassung, eine temporäre Aussetzung vorzunehmen, denn selbst bei einer derartigen Aussetzung würden die Ziele nicht erreicht, die nach dem europäischen Recht eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit rechtfertigen können (Rdn. 112, 113).

4. Der Generalanwalt bezweifelt die rechtliche Einschätzung des Verwaltungsgerichts Köln dahin gehend, dass die tatsächlichen Regelungen in Nordrhein-Westfalen zu dem vom Verwaltungsgericht als relevant angesehenen Zeitpunkt, nicht denjenigen Voraussetzungen entsprachen, die der Europäische Gerichtshof an eine zulässige Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit stellt (Rdn. 34, 48, 55).

5. Weil aber die Einschätzung über die Erfüllung der europarechtlichen Voraussetzungen Sache des nationalen Gerichts ist (Rdn. 47), muss der EuGH die Vorlagefrage unter den vom Verwaltungsgericht Köln aufgestellten Prämissen prüfen (Rdn. 59).

6. Wenn die tatsächlichen Regelungen, wie dies nach der Prämisse des Verwaltungsgerichts Köln der Beantwortung der Vorlagefrage zugrunde zu legen ist, keine gerechtfertigte Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit darstellt, gibt es auch keinen Grund für eine nach wie vor aber theoretisch denkbare (Rdn. 109, 110) temporäre Aussetzung von EU-Grundfreiheiten.

7. Conclusio des Unterzeichners: Würde das Verwaltungsgericht Köln die Anforderungen an eine zulässige Begrenzung der Dienstleistungsfreiheit nach den vom EuGH aufgestellten und vom Generalanwalt betonten Grundsätzen zutreffend anwenden, müsste es eine Gemeinschaftsrechtswidrigkeit zu dem von ihm angenommenen Zeitpunkt verneinen.

Im Einzelnen:

Der Generalanwalt subsumiert zunächst den rechtlichen Rahmen der deutschen Vorschriften (Rdn. 5 ff.) in der sog. Übergangsfrist nach der Sportwettenentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28.03.2006. Insbesondere weist der Generalanwalt auch auf § 31 BVerfGG hin, wonach die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden binden (Rdn. 6). Auf die Frage, welche Auswirkungen diese Entscheidung auf die Rechtslage in Nordrhein Westfalen entfaltet, geht der Generalanwalt angesichts der vom Vorlagegericht unterbreiteten Rechtsansicht nicht ein.

Sodann befasst sich der Generalanwalt mit dem Sachverhalt des Vorlageverfahrens (Rdn. 12 – 22) und weist darauf hin, dass das vorlegende Gericht die Ansicht vertritt, dass die neuen Regelungen nach der der tatsächlichen Ausgestaltung des staatlichen Wettmonopols entsprechend den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in der Sportwettenentscheidung vom 28.03.2006 nicht ausreichen, um die Unvereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht auszuräumen (Rdn. 20).

Anschließend schildert der Generalanwalt die eher ungewöhnliche Korrespondenz des EuGH mit dem vorlegenden Verwaltungsgericht Köln, in der es um die Frage des maßgeblichen Zeitpunktes für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ging. In dieser Korrespondenz teilte das VG Köln dem EuGH mit, dass es ungeachtet der hiervon abweichenden Rechtsprechungspraxis des OVG NRW nicht auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (also auf einen Zeitpunkt, zu dem die Vorschriften des Glücksspielstaatsvertrages anzuwenden wären) abstellen wolle, sondern auf den letzten Tag der Übergangsfrist am 31.12.2007 (Rdn. 26).

Außerordentlich kritisch befasst sich sodann der Generalanwalt mit den Rechtsansichten des vorlegenden Verwaltungsgerichts Köln, obwohl diese allein der Beurteilungsbefugnis des nationalen Gerichts unterliegen. So wird zum Einen deutlich, dass der Generalanwalt die Richtigkeit der Ansicht des Verwaltungsgerichts Köln hinsichtlich des Zeitpunktes bezweifelt, welcher der Entscheidung der anhängigen Anfechtungsklage zugrunde zu legen sei (Rdn. 31). Im Ergebnis verweist er aber auf die Aufgabenverteilung zwischen dem nationalen Gericht und dem Gerichtshof und merkt an, es „ist zur Kenntnis zu nehmen, dass das Verwaltungsgericht Köln der Ansicht ist, es habe weiterhin über den Rechtsstreit des Ausgangsverfahrens zu entscheiden, und dass es seine Fragen aufrechterhält“ (Rdn. 32).

Zum Anderen sieht der Generalanwalt auch die Rechtsansicht, die Regelungen im Land Nordrhein-Westfalen über Sportwetten verstießen tatsächlich gegen das Gemeinschaftsrecht, anders als das vorlegende Gericht. Er merkt an: „Mit der Kommission und der deutschen Regierung bin ich zudem der Auffassung, dass angesichts der Erläuterungen des vorlegenden Gerichts angezweifelt werden kann, ob es diese Frage zutreffend beurteilt hat.“ (Rdn. 34).

Besonders bedeutsam werden die Ausführungen des Generalanwalts, wenn er sich mit den „Prämissen des vorlegenden Gerichts, wonach die Regelung des Landes Nordrhein-Westfalen gegen das Gemeinschaftsrecht verstößt“ näher befasst (Rdn. 42 ff.). Zwar seien die „Schritte der rechtlichen Argumentation“, also die formalen Voraussetzungen, anhand derer die Europarechtskonformität zu prüfen ist, unangreifbar (Rdn. 43 ff.). So seien Beschränkungen zum Schutz der öffentlichen Ordnung und zwingende Gründe des Allgemeininteresses, wie der „Schutz der Verbraucher vor Anreizen zu überhöhten Ausgaben für das Spielen“ geeignet, eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit zu rechtfertigen. Diese Beschränkungen müssten jedoch in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten Ziel stehen und „dieses kohärent und systematisch“ verfolgen.

Solche Voraussetzungen lägen dann nicht vor, wenn „ein Mitgliedsstaat eine restriktive Regelung im Bereich der Glücksspiele einzig zu dem Zweck erlassen habe, die Verbraucher gegen die Gefahren überhöhter Ausgaben zu schützen, tatsächlich jedoch eine Politik verfolge, mit der für die Verbraucher starke Anreize zur Teilnahme an diesen Spielen geschaffen würden“ (Rdn. 46).

Obwohl der Generalanwalt betont, dass die Beurteilung dieser Frage allein Sache des nationalen Richters sei (Rdn. 47), weist er mit außergewöhnlicher Deutlichkeit darauf hin, dass er die insoweit vom vorlegenden Gericht vorgenommenen Erwägungen „in Frage“ stelle (Rdn. 48).

Von grundsätzlicher Bedeutung ist in diesem Zusammenhang der Hinweis des Generalanwalts, es könne „nicht ausgeschlossen werden, dass die Voraussetzungen, die das Grundgesetz vorsieht, strenger sind als diejenigen, die das Gemeinschaftsrecht vorschreibt“ (Rdn. 49).

Damit widerspricht der Generalanwalt der auch in der deutschen Fachliteratur nicht selten (und wohl auch vom OVG NRW vom 28.06.2006, ZfWG 2006, 140 ff, S. 142) vertretenen Meinung, das Europarecht setze für eine Beschränkung der Grundfreiheiten dieselben Anforderungen voraus, wie das deutsche Verfassungsrecht an eine Beschränkung des Grundrechts der Berufsfreiheit. Diese Ansicht wird häufig insbesondere aus Rdn. 144 der Sportwettenentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28.03.2006 (ZfWG 2006, S. 16 ff., 30) abgeleitet. Dabei übersieht diese Meinung allerdings, dass das Bundesverfassungsgericht eine Parallelität der Anforderungen des deutschen Verfassungsrechts zum europäischen Gemeinschaftsrecht lediglich insoweit in Bezug nimmt, als die Beschränkungen nur dann zulässig sein sollen, wenn sie „wirklich dem Ziel dient, die Gelegenheit zum Spiel zu verhindern, und die Finanzierung sozialer Aktivitäten mit Hilfe einer Abgabe auf die Einnahmen aus genehmigten Spielen nur eine nützliche Nebenfolge, nicht aber der eigentliche Grund der betriebenen restriktiven Politik ist“ (BVerfG, a.a.O.). Demgegenüber wird aber in den weiteren Ausführungen des Generalanwalts deutlich, dass das europäische Recht lediglich auf „Regelungen eines Mitgliedsstaates im Bereich der Glücksspiele“ abstellt, worunter neben rechtlichen Vorschriften insbesondere (auch) die tatsächlichen Verhältnisse zu verstehen sind. Insofern sind die Voraussetzungen an eine Beschränkung des Grundrechts der Berufsfreiheit i.S.d. Art. 12 GG tatsächlich strenger als die Voraussetzungen an eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit, weil Art. 12 Abs. 1 Satz 2 vorschreibt: „Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes geregelt werden.“

Bemerkenswert für die Auslegung der Europarechtskonformität des deutschen Rechts (insbesondere auch des Glücksspielstaatsvertrages) ist auch der Hinweis des Generalanwalts auf seine Schlussanträge in den Verfahren Sporting Exchange (C-203/08) und Ladbrokes (C-258/08), in welchen er ausdrücklich auch die Einführung neuer Spiele und die entsprechende Werbung keineswegs als inkohärent ansieht, wenn sowohl die neuen Spiele als auch die Werbung „streng kontrolliert und begrenzt werden, um ebenfalls mit der Verfolgung des Ziels des Schutzes der Verbraucher vor der Spielsucht vereinbar zu sein“ (Rdn. 52).

Die Einschätzung, ob ein „Gleichgewicht“ zwischen dem Angebot und der Einführung neuer Spiele sowie der damit verbundenen Werbung einerseits und der Verfolgung des Zieles des Schutzes der Verbraucher vor der Spielsucht andererseits gewahrt ist, obliegt nach Ansicht des Generalanwalts einem weiten Ermessensspielraum der Mitgliedsstaaten (Rdn. 53). Ob allerdings die konkrete Ausgestaltung in den jeweiligen Mitgliedsstaaten diese Ziele kohärent und systematisch verfolgt, obliegt allein der Beurteilung des nationalen Richters (Rdn. 53).

Insbesondere betont der Generalanwalt, dass die vom staatlichen Glücksspielanbieter betriebene Werbung, „um das Angebot attraktiver zu machen“ (Rdn. 52) keineswegs notwendigerweise bedeutet, „dass eine Missachtung der Bedingung vorliegt, wonach die Ziele kohärent und systematisch verfolgt werden müssen, und damit auch nicht, dass die betreffende Regelung gegen das Gemeinschaftsrecht verstößt. Der nationale Richter muss die Gesamtheit der Ziele der fraglichen Regelung berücksichtigen und ihre konkreten Folgen für die Verbraucher unter Berücksichtigung des weiten Ermessensspielraums der Mitgliedsstaaten in diesem Bereich würdigen.“ (Rdn. 54).

Deutliche Verständnislosigkeit äußert der Generalanwalt für die Ansicht des vorlegenden Gerichts, die „Änderungen, die Westlotto in Umsetzung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich ihrer Tätigkeit vorgenommen habe“, könnten die vom Gericht festgestellte Unvereinbarkeit mit den Zielen des deutschen Gesetzes nicht beseitigen (Rdn. 55). Aus dieser Anmerkung erschließt sich nochmals in aller Deutlichkeit die Ansicht des Generalanwalts, dass es für die Frage der Europarechtskonformität der Beschränkungen in erster Linie auf die tatsächlichen Umstände im Mitgliedsstaat ankommt und nicht – wie nach Art. 12 GG – auf das Vorliegen eines formalen Gesetzes.

Sodann erhebt der Generalanwalt gegenüber dem Verwaltungsgericht (auch dies ist außergewöhnlich!) das ausdrückliche Petitum, seine Prämissen aufgrund dieser Hinweise nochmals zu überprüfen (Rdn. 57) und fügt auch gleich ein entsprechendes Prüfungsschema an (Rdn. 58). Gemäß dem dortigen Spiegelstrich 2 ist „die Gesamtheit der Ziele der fraglichen Regelungen“ zu berücksichtigen „und ihre konkreten Folgen für die Verbraucher unter Berücksichtigung des weiten Ermessensspielraums der Mitgliedsstaaten in diesem Bereich“ zu würdigen.

Es ist außerordentlich bemerkenswert, dass der Generalanwalt sich bis hier ausschließlich mit einem Repetitorium zugunsten des Verwaltungsgerichts Köln befasst hat, worin dem Vorlagegericht diejenigen Kriterien an die Hand gegeben werden sollen, wonach es zu überprüfen hat, ob die nationalen Regelungen den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs für eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit entsprechen oder nicht. Diese Entscheidung obliegt allein dem nationalen Gericht und die Tatsache, dass der Generalanwalt eine derart ausführliche Prüfungsanleitung vorgibt, belegt deutlich seine Zweifel an der Richtigkeit der vom Vorlagegericht erhobenen europarechtlichen Bedenken.

Erst jetzt (ab Rdn. 59) beschäftigt sich der Generalanwalt unter der (von ihm nicht gebilligten) Arbeitshypothese des VG Köln, die nationale Regelung stelle eine „nicht gerechtfertigte Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit“ dar, mit der eigentlichen Vorlagefrage, ob vom europarechtlichen Anwendungsvorrang zur Vermeidung einer „inakzeptablen Gesetzeslücke“ entsprechend der Rechtsprechung des OVG NRW abgewichen werden könne. In diesem Zusammenhang verweist der Generalanwalt auf die einschlägige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Rdn. 67 ff.) und betont, der Vorrang des Gemeinschaftsrechts sei immer dann sicherzustellen, wenn er sich in einem Konflikt mit nationalen Rechtsvorschriften befinde (Rdn. 72). Somit könne auch die vom Bundesverfassungsgericht verfügte Aufrechterhaltung der europarechtswidrigen Normen nicht die Verpflichtung des vorlegenden Gerichts vermindern, „die Regelung in dem bei ihm anhängigen Rechtsstreit unangewandt zu lassen, wenn es der Auffassung ist, sie verstoße gegen Art. 49 GG“ (Rdn. 73).

Eine solche Sistierung europäischen Rechts sei auch nicht aus dem Gesichtspunkt zu rechtfertigen, dass hierdurch eine Gesetzeslücke geschlossen werde, die es „allen Anbietern von Sportwetten, die in anderen Mitgliedsstaaten niedergelassen sind, erlauben würde, den Verbrauchern im Land NRW ihre Wetten anzubieten, ohne dass andere Regulierungsmaßnahmen bestünden, als die in ihrem Herkunftsstaat geltenden“ (Rdn. 76). Und erneut betont der Generalanwalt hier, „dass die fragliche Regelung nach der Prämisse des vorlegenden Gerichts eine wirksame Bekämpfung der Spielsucht nicht ermöglicht“ und daher ungeeignet sei, „die Verbraucher vor einem übermäßigen Anreiz zu solchen Wetten seitens des zugelassenen Veranstalters zu schützen“ (Rdn. 78). Unter diesem Gesichtspunkt sei nämlich eine Aufrechterhaltung der defizitären Regelung nicht nur angesichts eines Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz abzulehnen. Vielmehr sei die defizitäre Regelung – unter den vom Verwaltungsgericht Köln angenommenen Prämissen – zur Erreichung ihrer Ziele und somit auch unter dem Gesichtspunkt einer zulässigen Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit ungeeignet (Rdn. 84).

Sodann referiert der Generalanwalt die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, nach der Akte des sekundären Gemeinschaftsrechts rückwirkend für die Vergangenheit ausgesetzt worden sind (Rdn. 85 ff.). Er betont, dass nur der Gemeinschaftsrichter (also der Europäische Gerichtshof) zu solchen Maßnahmen berechtigt sein könne (Rdn. 91 sowie erneut Rdn. 115). Die Übertragung dieser Grundsätze auf Vorschriften des innerstaatlichen Rechts, welche gegen eine unmittelbar anwendbare Norm des Gemeinschaftsrechts verstoßen, hält der Generalanwalt zwar nicht für ausgeschlossen, aber nur in extremen Ausnahmefällen für denkbar (Rdn. 94 ff.). Er führt im Einzelnen aus, dass die Grundsätze des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts grundsätzlich nicht abgeschwächt sein dürfen (Rdn. 99) und der nationale Richter verpflichtet sei, mit dem Gemeinschaftsrecht als unvereinbar angesehenes nationales Recht auszusetzen, „um die durch den Vertrag gewährten Rechte vorläufig zu garantieren, auch wenn ihm sein nationales Recht dies nicht erlaube“ (Rdn. 100).

Zwar sieht der Generalanwalt in einzelnen Ausnahmefällen die Möglichkeit, dass das innerstaatliche Interesse der durch das Gemeinschaftsrecht geschützten Rechte vorgehen könne, wie z.B. in Fällen der Bekämpfung des Terrorismus. Ein solcher Fall könne hier aber nicht angenommen werden (Rdn.  110).

Diese Schlussfolgerung begründet der Generalanwalt mit dem Hinweis darauf, dass nach der Prämisse des vorlegenden Gerichts die in Nordrhein-Westfalen bestehenden Regelungen nicht dazu beitragen, die Wetttätigkeit kohärent und systematisch einzuschränken. Somit könne diese Regelung auch nicht die Verbraucher vor übermäßigem Anreiz zum Glücksspiel seitens des zugelassenen Veranstalters schützen (Rdn. 112). Fehle es der Norm aber an ihrer Eignung, die Verbraucher zu schützen, so stelle sie – nach der Prämisse des Gerichts – in Wirklichkeit lediglich eine diskriminierende oder zumindest protektionistische Maßnahme dar (Rdn. 113).

Ergänzend verweist der Generalanwalt auch auf die Tatsache, dass die Kriterien für eine zulässige Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit bereits in dem Urteil Gambelli niedergelegt seien, das mehr als 18 Monate vor dem Erlass der mit der Klage angefochtenen Verfügungen ergangen ist (Rdn. 114). Nachdem der EuGH dort die Kriterien für eine zulässige Einschränkung des Gemeinschaftsrechts aufgezeigt habe, könne es keine Aussetzung mehr geben (Rdn. 118). Die Mitgliedsstaaten seien nämlich aus ihrer Loyalitätspflicht verpflichtet, „ihre Rechtsvorschriften ständig und schnellstmöglich an die Gemeinschaftsrechtsprechung anzupassen, ohne abzuwarten, dass ihre Rechtsvorschriften selbst im Rahmen eines Vorab-entscheidungsverfahrens oder eines Vertragsverletzungsverfahrens angefochten werden“ (Rdn. 119).

Vor diesem Hintergrund unterbreitet der Generalanwalt dem Europäischen Gerichtshof eine Antwort auf die Vorlagefragen des Verwaltungsgerichts, die sich in vier Einzelpositionen gliedert:

1) Wird durch die Regelung eines Mitgliedsstaates die Veranstaltung von Sportwetten zu dem Zweck eingeschränkt, nach den Grundsätzen des Europarechts als berechtigt angesehene Interesse zu verteidigen, müssen die betreffenden Regelungen diese Ziele in kohärenter und systematischer Weise verfolgen.

2) Das nationale Gericht muss überprüfen, ob diese Bedingungen erfüllt sind. Dabei hat das nationale Gericht „die Gesamtheit der Ziele der freiheitlichen Regelung“ zu berücksichtigen und ihre weiteren Auswirkungen auf die Verbraucher unter Berücksichtigung des weiten Ermessensspielraumes der Mitgliedsstaaten in diesem Bereich zu beurteilen.

3) Der Generalanwalt verweist das vorlegende Gericht ergänzend auf die Hinweise des Europäischen Gerichtshofs in den noch anhängigen weiteren Verfahren Markus Stoß u. a.. In diesen Verfahren wird der dortige Generalanwalt Mengozzi seine Schlussanträge am 03.03.2010 verkünden.

4) Eine nationale Regelung über Sportwetten darf auch nicht ausnahmsweise oder übergangsweise weiter angewendet werden, „wenn diese Regelung eine nicht gerechtfertigte Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit darstellt, weil sie nicht in kohärenter und systematischer Weise zur Begrenzung der Wetttätigkeit beiträgt.“

Zusammenfassend stellen diese Schlussanträge des Generalanwalts deutliche Hinweise an das vorlegende Verwaltungsgericht Köln dar, seine Ansicht nochmals zu überprüfen. Dies gilt sowohl im Hinblick auf den zugrunde zu legenden Zeitpunkt der rechtlichen Würdigung als auch in Bezug auf die Voraussetzungen, die das Gericht für die Beurteilung der Zulässigkeit der Beschränkung gemeinschaftlicher Rechte anzuwenden hat.

Es kann allerdings nicht übersehen werden, dass der Generalanwalt neben dieser deutlichen Kritik an den Rechtsansichten des vorlegenden Verwaltungsgerichts Köln auch der Ansicht des Oberverwaltungsgerichts Münster eine klare Abfuhr erteilt, indem er eine ausnahmsweise Aussetzung gemeinschaftsrechtlicher Grundfreiheiten klar zurückweist. Auch das Oberverwaltungsgericht Münster wird angesichts der Ausführungen des Generalanwalts seine Ansicht überdenken müssen, es bedürfe für die Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit derselben Voraussetzungen wie für eine Beschränkung der Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG.