Glückspielgesetz unhaltbar! Verfassungsgerichtshof hebt Spielerschutzbestimmungen betreffend Spielbanken im österr. Glückspielgesetz wegen Ineffektivität unter Verweis auf das Sachlichkeitsgebot auf.

Ein Artikel von RA Dr. Fabian Maschke, RA Rolf Karpenstein, RAA Mag. Simon Wallner

1. Ausgangslage: Eine bemerkenswerte Entscheidung des VfGH wurde jüngst im Rechtsinformationssystem des Bundes veröffentlicht.

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Bemerkenswert warum? Der VfGH hebt die in Paragraph 25 Abs 3 GSpG verankerten Spielerschutzbestimmungen für Besucher von Spielbanken auf. Und dies mir folgender Begründung:

„Die Regelung des §25 Abs3 GSpG ist vor dem folgenden unionsrechtlichen Hintergrund zu verstehen:

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat wiederholt festgehalten, dass die Ziele, die von den Mitgliedstaaten mit den Glücksspielsektorbeschränkenden Rechtsvorschriften regelmäßig verfolgt werden (insbesondere der Spielerschutz), zu den zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gehören, die Eingriffe in die Grundfreiheiten rechtfertigen können (zB EuGH 6.3.2007, Rs C-338/04 ua, Placanica ua, Rz 46; 30.6.2011, Rs C-212/08, Zeturf Ltd, Rz 38; 15.9.2011, Rs C-347/09, Dickinger/Ömer, Rz 44). Auf Grund der sittlichen, religiösen und kulturellen Besonderheiten und der mit Glücksspielen einhergehenden sittlich und finanziell schädlichen Folgen für den Einzelnen wie für die Gesellschaft besteht in diesem Zusammenhang ein ausreichendes Ermessen der staatlichen Stellen. Diese können im Einklang mit ihrer eigenen Wertordnung festlegen, welche Erfordernisse sich aus dem Schutz der Verbraucher und der Sozialordnung ergeben (EuGH 8.9.2010, Rs C-316/07 ua, Stoß ua, Rz 76; 15.9.2011, Rs C-347/09, Dickinger/Ömer, Rz 45). In Ermangelung einer Harmonisierung auf Unionsebene steht es den Mitgliedstaaten grundsätzlich frei, die Ziele ihrer Politik auf dem Gebiet der Glücksspiele festzulegen und gegebenenfalls das angestrebte Schutzniveau genau zu bestimmen (EuGH 11.6.2015, Rs C-98/14, Berlington Hungary Tanácsadó és Szolgáltató kft ua, Rz 56). Eine nationale Regelung ist allerdings nur dann geeignet, die Erreichung des geltend gemachten Ziels zu gewährleisten, wenn sie tatsächlich dem Anliegen gerecht wird, es in kohärenter und systematischer Weise zu erreichen (EuGH 6.11.2003, Rs C-243/01, Gambelli ua, Rz 67; 3.6.2010, Rs C-258/08, Ladbrokes, Rz 21; vgl auch EuGH 8.9.2009, Rs C-42/07, Liga Portuguesa de Futebol Profissional, Rz 61; 8.9.2010, Rs C-46/08, Carmen Media Group Ltd, Rz 55; 9.9.2010, Rs C-64/08, Engelmann, Rz 35; 24.1.2013, Rs C-186/11 ua, Stanleybet International Ltd ua, Rz 27; 30.4.2014, Rs C-390/12, Pfleger ua, Rz 43; 11.6.2015, Rs C-98/14, Berlington Hungary Tanácsadó és Szolgáltató kft ua, Rz 64; 30.6.2016, Rs C-464/15, Admiral Casinos & Entertainment AG ua, Rz 33).

Vor diesem Hintergrund haben sowohl der Verwaltungsgerichtshof (VwGH 16.3.2016, Ro 2015/17/0022) als auch der Verfassungsgerichtshof (vgl VfSlg 20.101/2016) ausgesprochen, dass das in Österreich geltende Glücksspielmonopol (deswegen) nicht den unionsrechtlichen Vorgaben widerspricht, weil im Glücksspielgesetz die Ziele des Spielerschutzes, der Spielsuchtbekämpfung, der Verringerung der Beschaffungskriminalität sowie der Verhinderung von kriminellen Handlungen gegenüber Spielern in kohärenter und systematischer Weise verfolgt werden. Der Gestaltungsspielraum des nationalen Gesetzgebers ist insofern aus unionsrechtlichen Gründen eingeschränkt.

Die angefochtene Bestimmung erweist sich vor diesem Hintergrund als gleichheitswidrig.

Nach den Materialien zur Stammfassung (vgl ErläutRV 1067 BlgNR 17. GP, 19 f.) sollte mit §25 GSpG "vor allem erreicht werden, daß derjenige, der unmittelbar seine Spieler beobachten kann und daher auch den besten Überblick über sein Spielerpublikum hat, nämlich der Spielbankunternehmer, entsprechende Maßnahmen setzt, um Spieler, die die negativen Voraussetzungen des Abs3 höchstwahrscheinlich erfüllen, nicht mehr zum Spiel zuzulassen". §25 Abs3 GSpG diente in seiner Stammfassung – und nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes auch in der geltenden Fassung – zuvorderst dem Spielerschutz und soll verhindern, dass Spielteilnehmer durch ihr Spielverhalten ihr Existenzminimum gefährden.

Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes wird der unionsrechtlich gebotene Spielerschutz in der angefochtenen Bestimmung nicht in einer dem Sachlichkeitsgebot entsprechenden Weise verwirklicht:

Die Schutz- und Sorgfaltspflichten der Spielbankleitung werden gemäß dem ersten Satz des §25 Abs3 GSpG (erst) dann ausgelöst, wenn die begründete Annahme besteht, dass Häufigkeit und Intensität der Spielteilnahme das Existenzminimum des Spielteilnehmers gefährden. Beobachtet die Spielbankleitung ein solches "problematisches" Spielverhalten, ist sie in einem ersten Schritt (nur) dazu verpflichtet, Auskünfte bei einer unabhängigen Einrichtung einzuholen, die Bonitätsauskünfte erteilt. Nur wenn die Einholung unabhängiger Bonitätsauskünfte nicht möglich ist oder diese nicht aussagekräftig sind, ist zusätzlich ein Beratungsgespräch mit dem Spielteilnehmer durchzuführen und sind seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse abzuklären.

Über die Einholung einer Bonitätsauskunft hinausgehende Schutz- und Sorgfaltspflichten der Spielbankleitung werden daher regelmäßig erst dann ausgelöst, wenn eine Bonitätsauskunft vorliegt, aus der sich Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Existenzminimums des Spielteilnehmers ergeben. Dies ergibt sich nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes daraus, dass sich die Spielbankleitung auf Grund der ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung grundsätzlich auf die eingeholten Bonitätsauskünfte verlassen kann, weswegen nicht ersichtlich ist, unter welchen Umständen die eingeholte Bonitätsauskunft "nicht aussagekräftig" im Sinne des §25 Abs3 Z2 GSpG sein sollte. Die Spielbankleitung muss daher nach der angefochtenen Bestimmung bei Vorliegen einer "unauffälligen" Bonitätsauskunft im Regelfall keine weiteren Schritte setzen (vgl §25 Abs3 Z1 iVm Z2 GSpG).

Der Verfassungsgerichtshof ist der Auffassung, dass die Anordnung zusätzlicher Schutz- und Sorgfaltspflichten (erst) für den Fall, dass eine "auffällige" Bonitätsauskunft vorliegt, in einer Durchschnittsbetrachtung vielfach zu spät kommen wird, um eine Gefährdung des Existenzminimums des Spielteilnehmers hintanzuhalten (idS auch OGH 30.9.2002, 1 Ob 175/02w, wonach sich die beklagte Spielbankleitung nicht auf die Einholung einer "nichtssagenden Kreditauskunft" verlassen dürfe). Der Spielteilnehmer wird in einem solchen Fall regelmäßig bereits in einer Situation sein, in der er seine laufenden Verpflichtungen nicht mehr begleichen kann und daher eine Gefährdung seines Existenzminimums bereits eingetreten ist. Die in §25 Abs3 GSpG angeordneten (zusätzlichen) Schutz- und Sorgfaltspflichten der Spielbankleitung, insbesondere die Durchführung eines Beratungsgespräches, kommen diesfalls zu spät. Die angefochtene Bestimmung ist somit in einer Durchschnittsbetrachtung nicht geeignet, einen effektiven Spielerschutz zu gewährleisten.“

2. Bedeutung für die Monopolregelung sowie die ausufernden Spielerklagen:

Der VfGH hat völlig recht, wenn er sagt, und es kann nicht oft genug wiederholt werden:

Eine nationale Regelung ist allerdings nur dann geeignet, die Erreichung des geltend gemachten Ziels zu gewährleisten, wenn sie tatsächlich dem Anliegen gerecht wird, es in kohärenter und systematischer Weise zu erreichen (EuGH 6.11.2003, Rs C-243/01Gambelli ua, Rz 67; 3.6.2010, Rs C-258/08Ladbrokes, Rz 21; vgl auch EuGH 8.9.2009, Rs C-42/07Liga Portuguesa de Futebol Profissional, Rz 61; 8.9.2010, Rs C-46/08Carmen Media Group Ltd, Rz 55; 9.9.2010, Rs C-64/08Engelmann, Rz 35; 24.1.2013, Rs C-186/11 ua, Stanleybet International Ltd ua, Rz 27; 30.4.2014, Rs C-390/12Pfleger ua, Rz 43; 11.6.2015, Rs C-98/14Berlington Hungary Tanácsadó és Szolgáltató kft ua, Rz 64; 30.6.2016, Rs C-464/15Admiral Casinos & Entertainment AG ua, Rz 33).

Vor diesem Hintergrund haben sowohl der Verwaltungsgerichtshof (VwGH 16.3.2016, Ro 2015/17/0022) als auch der Verfassungsgerichtshof (vgl VfSlg 20.101/2016) – jetzt nachweislich falsch ausgesprochen, dass das in Österreich geltende Glücksspielmonopol (deswegen) nicht den unionsrechtlichen Vorgaben widerspricht, weil im Glücksspielgesetz die Ziele des Spielerschutzes, der Spielsuchtbekämpfung, der Verringerung der Beschaffungskriminalität sowie der Verhinderung von kriminellen Handlungen gegenüber Spielern in kohärenter und systematischer Weise verfolgt werden. Wie kommt man nun zu der kühnen Behauptung, dass diese beiden Entscheidungen falsch waren? Nun, der VfGH sagt selbst, dass diese Entscheidungen nicht mehr haltbar sind. Dies erklärt sich in wenigen Sätzen wie folgt:

  1. Um eine gesetzliche Beschränkung der unionsrechtlichen Freiheiten bezogen auf Glückspiel – wie in Österreich - zu rechtfertigen, müssen die Ziele des Spielerschutzes, der Spielsuchtbekämpfung, der Verringerung der Beschaffungskriminalität sowie der Verhinderung von kriminellen Handlungen gegenüber Spielern in kohärenter und systematischer Weise verfolgt werden.

  2. Ist das nicht der Fall, ist eine Monopolregelung wie in Österreich nicht haltbar.

  3. Der VfGH sagt (siehe oben) in der hier diskutierten Entscheidung vom 14.12.2022 zu G259/2022, dass die klare Regelung betreffend Spielerschutz für Spielbanken nicht geeignet ist einen tatsächlichen Spielerschutz zu gewährleisten. Daher steht fest, dass bei komplettem Fehlen von Regelungen zum Spielerschutz im online Casino Bereich jedenfalls das Monopol europarechtlich keinen Bestand haben kann. Das Glückspielgesetz enthält keine eigenen Vorschriften bzw. Regelungen zum Thema Spielerschutz bei elektronischen Lotterien (online Casino) im Sinne des Paragraph 12a GSpG. Paragraph 14 GSpG sieht lediglich vor, dass bei Vergabe einer Konzession für ein online Casino darauf zu achten ist, ob vom Konzessionswerber insbesondere auf Grund seiner Erfahrungen, Infrastrukturen, Entwicklungsmaßnahmen und Eigenmittel sowie seiner Systeme und Einrichtungen zur Spielsuchtvorbeugung, zum Spielerschutz, zur Geldwäsche- und Kriminalitätsvorbeugung, zur Betriebssicherheit, zur Qualitätssicherung, zur betriebsinternen Aufsicht und zu anderen ihn treffenden Bestimmungen dieses Bundesgesetzes die beste Ausübung der Konzession zu erwarten ist. Ein wie in Österreich von win2day festgesetztes maximales Einzahlungslimit von EUR 800/Woche = EUR 3.200/Monat kann – im Sinne der Entscheidung des VfGH vom 14.12.2022 zu G259/2022 – als einziges Mittel niemals dem Spielerschutz gerecht werden oder diesen tatsächlich gewährleisten. € 2.243 brutto = 1678,32 netto laufender Bezug = monatsdurchschnitt inkl. 13. Und 14. Bezug = 1972,58. Bereits nach dem ersten Monat ist somit ein durchschnittlich verdienender österr. Staatsbürger bereits bei Ausschöpfung des Maximalbetrages existentiell bedroht. Zum Thema Spielsucht und Beschaffungskriminalität hat die Republik bereits selbst ausgeführt, dass es keine statistischen Daten dazu gibt: https://www.parlament.gv.at/dokument/XXV/J/14051/imfname_669747.pdf sowie https://www.parlament.gv.at/dokument/XXV/AB/13230/imfname_673552.pdf

Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass die Monopolregelung im österr. Glückspielgesetz betreffend online Casinos nunmehr auch auf Basis der neuesten Judikatur des VfGH nicht mehr zu halten ist.

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