EuGH-Urteil iS Liga Portuguesa – oder: Was nicht sein soll, das nicht sein darf!

Rechtsanwalt Dr. Manfred Hecker
Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht
CBH - Rechtsanwälte
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D - 50672 Köln
Zwischenzeitlich ist die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache Liga Portuguesa (Az. C -42/07) im Netz unter der Website des Europäischen Gerichtshofes www.curia.eu abrufbar und wird in der nächste Woche (KW 38) erscheinenden ZfWG 2009, S. 304 ff als Druckversion vorliegen. Die Vertreter der kommerziellen Glücksspielanbieter unternehmen durch entsprechend interpretierende Pressemitteilungen verzweifelte Versuche, dieser Entscheidung jegliche Relevanz für das deutsche Glücksspielrecht abzusprechen. Wartet Deutschland wirklich weiter, wie es in einer dieser Stellungnahmen heißt? Bei einer unaufgeregten Analyse der Entscheidungsgründe bietet das Urteil weit mehr klärende Worte auch zu den glücksspielrechtlichen Regelungen in Deutschland, als es den kommerziellen Glücksspielanbietern offensichtlich genehm ist.

In seiner Entscheidung hat die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) für Recht erkannt:

„Art. 49 EG steht einer Regelung eines Mitgliedsstaates wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht entgegen, nach der Wirtschaftsteilnehmer wie die bwin International Ltd., die in anderen Mitgliedsstaaten niedergelassen sind, in denen sie rechtmäßig entsprechende Dienstleistungen erbringen, im Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedsstaates keine Glücksspiele über das Internet anbieten dürfen.“

Folgende Gesichtspunkte des Urteils sind von besonderer Bedeutung:

1) Bemerkenswert ist zunächst die Tatsache, dass sich der Europäische Gerichtshof nicht mit der vom Generalanwalt in seinen Schlussanträgen (dort Rn. 321 Ziff. 2) festgestellten Beanstandung äußert, die portugiesischen Regelungen seien nicht nach Maßgabe der Richtlinie 98/34 bzw. 98/48 ordnungsgemäß notifiziert worden. In seinen Schlussanträgen 14.10.2009 (Rn. 321 Ziff. 2.; ZfWG 2008, 323 ff, 350) hatte der Generalanwalt die Anwendbarkeit des portugiesischen Internetmonopols aus diesen formalen Gesichtspunkten derzeit für unzulässig erachtet. Ohne auf diese Problematik näher einzugehen, hat der EuGH die Vorlagefrage auf das Thema der europarechtlichen Zulässigkeit einer nationalen Regelung beschränkt, „nach der Wirtschaftsteilnehmer wie Bwin, die in anderen Mitgliedstaaten niedergelassen sind, in denen sie rechtmäßig entsprechende Dienstleistungen erbringen, im Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedstaates keine Glücksspiele über das Internet anbieten dürfen.“ (Rn. 50)

2) Dem gegenüber bestätigt der Europäische Gerichtshof mit bemerkenswerter Klarheit die Möglichkeit der Mitgliedsstaaten, Beschränkungen des in Art. 49 EG verbürgten freien Dienstleistungsverkehrs aus den bereits in früheren Urteilen näher beschriebenen Gründen der öffentlichen Ordnung, der Sicherheit oder Gesundheit sowie den zwingenden Gründen des Allgemeininteresses vorzunehmen (Rn. 56 ff.). Hierzu zählt insbesondere auch der von der portugiesischen Gesetzgebung mit dem Internetmonopol für einzelne Glücksspielarten zu Gunsten der Santa Casa in erster Linie verfolgte Zweck der Betrugs- und Kriminalitätsbekämpfung (Rn. 62, 63).

In diesem Zusammenhang erkennt der EuGH zum ersten Mal auch ausdrücklich die Kanalisierung des Spieltriebes in kontrollierte Bahnen zur Ausschaltung eines auf Betrug und andere Straftaten ausgerichteten Spieltriebes als eine legitime Maßnahme zur Durchsetzung ansonsten begründeter Restriktionen an (Rn. 64).

3) Mit aller Deutlichkeit betont der EuGH sodann, dass die Mitgliedsstaaten berechtigt sind, das Anbieten von Glücksspielen über das Internet auf einen einzigen nationalen Anbieter – hier die Santa Casa – gesetzlich zu beschränken. (Rn. 67).

Der Europäische Gerichtshof begründet seine Entscheidung u. a. damit, dass Glücksspiele über das Internet wegen des fehlenden unmittelbaren Kontaktes zwischen Verbraucher und Anbieter eine erhöhte Gefahr für die Verbraucher darstellen, Opfer krimineller Handlungen zu werden (Rn. 70).

Erstmals hebt der EuGH auch den Schutz der Integrität des Sports hervor, indem er die Gefahr der Spielmanipulationen aufzeigt, welche durch Sportwettenanbieter begründet werden können, welche – wie Bwin – als Sponsoren der Liga oder einzelner Mannschaften aktiv sind (Rn. 71). Mit diesem Hinweis erteilt der EuGH dem Geschäftsmodell von Bwin, bei dem ein Sportwettenanbieter gleichzeitig als Sponsor von Mannschaften oder Ligen auftritt, eine klare Absage.

4) Von ganz besonderer Bedeutung ist die Feststellung der Europäischen Gerichtshofs, dass der Sektor der über das Internet angebotenen Glücksspiele in der Europäischen Gemeinschaft nicht harmonisiert ist und dass deshalb ein Mitgliedsstaat sich nicht darauf verlassen muss, dass Anbieter von Glücksspielen in anderen Mitgliedsstaaten hinreichend überwacht werden (Rn. 69).

Damit erklärt der EuGH die Grundsätze des freien Dienstleistungsverkehrs nach Art. 49 EG im Bereich des Internetvertriebes von Glücksspielen im Wesentlichen für nicht anwendbar. Anders als nach den Grundsätzen des freien Dienstleistungsverkehrs festgelegt, brauchen sich die Mitgliedsstaaten im Zusammenhang mit dem Vertrieb von Glücksspielen nicht darauf zu verlassen, dass die Behörden der anderen Mitgliedsstaaten die Anbieter von Sportwetten zur Vermeidung von Betrugs- und anderen Straftaten hinreichend kontrollieren. Wenn Sportwettenveranstalter wie Bwin zwar „grundsätzlich bereits rechtlichen Anforderungen und Kontrollen durch die zuständigen Behörden dieses anderen Mitgliedsstaats“ (gemeint ist der Staat des Unternehmenssitzes) unterliegen, brauchen die anderen Mitgliedstaaten dies „nicht als hinreichende Garantie für den Schutz der nationalen Verbraucher vor den Gefahren des Betruges und anderer Straftaten“ anzusehen. Hier verweist der EuGH auf die Schwierigkeiten, denen sich die Behörden des Sitzmitgliedstaates bei der Beurteilung der Qualitäten und der Redlichkeit der Anbieter im Zusammenhang mit der Ausübung ihres Gewerbes gegenüber sehen. Damit wird unter den vom EuGH zuvor nochmals deutlich geschilderten Voraussetzungen (Rn. 56 ff.) den Mitgliedsstaaten auf dem Glücksspielsektor ein weitgehender individueller Gestaltungsfreiraum eingeräumt.

5) Entgegen ersten Verlautbarungen in den Medien hat der EuGH mit diesem Urteil auch die Auslegungsanforderungen an ein kohärent und systematisch gestaltetes Glücksspielwesen weiter konkretisiert:

Zunächst bestätigt der EuGH seine bisherige Rechtsprechung dahin gehend, dass eine nationale Regelung nur dann geeignet sein kann, die gerechtfertigten Ziele zu gewährleisten, wenn sie diese in kohärenter und systematischer Weise verfolgen (Rn. 61 mit Hinweis auf die insoweit wortidentische Formulierung in der Entscheidung Hartlauer, Urteil vom 10.03.2009, Rn. 55, C-169/07).

Sodann nimmt der EuGH auf die nationalen Regelungen in Portugal Bezug und stellt fest, dass das dort vornehmlich verfolgte Ziel der Kriminalitätsbekämpfung unter die in seiner bisherigen Rechtsprechung für eine Beschränkung der europarechtlichen Dienstleistungsfreiheit als zulässig erachteten Gründe fällt (Rn. 62, 63).

Bei der anschließenden Beurteilung der Europarechtskonformität des portugiesischen Internetmonopols im Rahmen der Geeignetheit nimmt der EuGH ausschließlich die von der Santa Casa veranstalteten Glücksspiele in den Blick (Rn. 65 ff). So bestandet der EuGH nicht den Vortrag der portugiesischen Regierung, das „durch Recht und Satzung errichtete System gebe dem Staat hinreichende Sicherheit für die Einhaltung der Vorschriften zur Wahrung der Redlichkeit der von Santa Casa veranstalteten Glücksspiele“ (Rn. 65) und spricht von den „Ausschließlichkeitsrechten für die Veranstaltung von Glücksspielen an Santa Casa“ (Rn. 67).

Gegenstand des vom EuGH geprüften Rechtssystems ist also nicht das Regelungskonzept für sämtliche in Portugal betriebenen Glücksspiele, sondern lediglich die Struktur der im Monopol der Santa Casa betriebenen Glücksspiele. Die vom Generalanwalt vorgetragene Tatsache, dass die Santa Casa in Portugal nicht über Ausschließlichkeitsrechte für sämtliche in Portugal veranstalteten Glücksspiele verfügt und dass die Zahl der Konzessionen für Spielkasinos in Portugal erst vor kurzem nennenswert erhöht worden ist, war für den EuGH zur Beurteilung der Kohärenzfrage nicht relevant!

Damit macht der EuGH deutlich, dass er seinem Verständnis einer kohärenten und systematischen Regelungsstruktur nicht das gesamte Glücksspielwesen eines Mitgliedsstaates zugrunde legt (horizontale Kohärenz), sondern seine europarechtliche Überprüfung auf die Regelungen der einzelnen Glücksspiele beschränkt (vertikale Kohärenz). Jede andere Sichtweise hätte zu einer Überprüfung der Regelungsstrukturen aller Glücksspiele in Portugal führen müssen, also auch derjenigen, die nicht von der Santa Casa veranstaltet werden.

6) Zusammenfassend ist somit festzustellen, dass der EuGH im Vorliegenden ausdrücklich nur die Regelung der von der Santa Casa veranstalteten Glücksspiele auf die Erfüllung der Kohärenzanforderungen überprüft.

Das Erfordernis einer horizontalen Kohärenz unterstellt, hätte er jedoch sämtliche Glücksspielregelungen des Mitgliedsstaates auf ihre systematische Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht in den Blick nehmen müssen. Diese Entscheidung darf daher als Absage des EuGH an das Erfordernis einer Überprüfung sämtlicher nationaler Regelungen zur Gestaltung des Glücksspiels verstanden werden.

Bemerkenswert ist weiter, dass der EuGH mit seinem heutigen Urteil dem vorlegenden portugiesischen Gericht nicht nur Auslegungsgrundsätze für die Beurteilung des Gemeinschaftsrechts an die Hand gegeben hat, die sodann bei der Entscheidung des nationalen Gerichts über den konkreten Fall zu beachten sind. Hier hat der EuGH zusätzlich eine eigene Bewertung des konkreten Sachverhalts vorgenommen und die Rechtslage in Portugal insoweit für gemeinschaftsrechtskonform befunden.

Für die Rechtslage in Deutschland lässt sich mit dieser Entscheidung einerseits der Schluss ziehen, dass die bisher gegen die Europarechtskonformität des Glücksspielstaatsvertrages vorgetragenen Argumente einer Europarechtswidrigkeit des umfassenden Internetverbotes widerlegt sind. Den Bedenken in Bezug auf eine angeblich inkohärenten Ausgestaltung des Glücksspielrechts dürfte mit diesem Urteil der Boden weitgehend entzogen sein.

Der Entscheidung über die Vorlageverfahren deutscher Gerichte, welche im nächsten Jahr beim EuGH anstehen dürfte, mag man daher mit größerer Gelassenheit entgegen sehen.