Die Geister, die ich rief…

Rechtsanwalt Dr. Wulf Hambach

Hambach & Hambach Rechtsanwälte
Haimhauser Str. 1
D - 80802 München
Tel.: +49 89 389975-50
Fax: +49 89 389975-60
E-Mail: w.hambach@timelaw.de
Eine Jahresbilanz des Glücksspielstaatsvertrages aus rechtsökonomischer Sicht

Ein Kommentar von Rechtsanwalt Dr. Wulf Hambach, Founding Partner, Hambach & Hambach Rechtsanwälte

Alle Jahre wieder zur Weihnachtszeit flimmert der an Charles Dickens Weihnachtsgeschichte angelehnte Film „Die Geister, die ich rief…“ (engl. Scrooged) über Deutschlands Bildschirme. In der US-amerikanischen Filmkomödie erscheinen dem skrupellosen und uneineinsichtigen TV Produzenten Franks, gespielt von Bill Murray, nacheinander drei Geister als Geister der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Die drei Spiegel, die die Geister Franks vorhalten, offenbaren nichts Gutes und bringen ihn am Ende des Filmes zur Läuterung.

Erlauben wir uns, dem viel diskutieren Glücksspielstaatsvertrag bzw. dessen Befürwortern den Spiegel vorzuhalten und Bilanz zu ziehen.

Der Spiegel der Vergangenheit:

Vor Inkrafttreten des Glücksspielstaatsvertrages wurde die Neuregelung einerseits insbesondere von den 16 Landeslotteriegesellschaften als Heilsbringer gehuldigt. Unter anderem hieß es auf der Webseite von Lotto.de im Jahre 2007 während der Ratifizierungsphase des Glücksspielstaatsvertrages:

„Der Glücksspielstaatsvertrag setzt die Politik die Vorgaben aus dem Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2006 konsequent um. Damit orientiert sich die Regelung des Glücksspiels in Deutschland strikt an den Zielen des Spielerschutzes. Die Gesellschaften des Deutschen Lotto- und Totoblocks begrüßen, dass die Regierungschefs der Länder diesen Weg konsequent weitergehen. Der Staatsvertrag ist zum 1. Januar 2008 in Kraft getreten und sorgt für Rechtssicherheit (vgl. http://www.lotto.de kommerzialisierung(3).html . )“

Andererseits zeichneten sich aber auch schon erhebliche Umsatzeinbußen für die staatlichen Anbieter bereits vor Inkraftreten des neuen Staatsvertrages ab. So titelte die Berliner Morgenpost am 19. Oktober 2007: „Berlins Bundesliga-Sportclubs sind massiv gefährdet“ und resümierte die Absicht der Länder den Staatsvertrag umsetzen zu wollen wie folgt:

„Der politische Kampf der deutschen Bundesländer gegen Spielsucht und die private Konkurrenz zu den staatlichen Monopolen auf dem Glücksspielmarkt kommt den Berliner Haushalt teuer zu stehen und bedroht über kurz oder lang auch die Finanzierung von diversen Sportklubs, Kunstaktionen und Sozialprojekten.“

Der Spiegel der Gegenwart:

Nach nur einem Jahr scheint „das Begrüßen“ des Glücksspielstaatsvertrages offensichtlich in ein Bedauern umzuschlagen. So forderte jüngst der Chef von Lotto Rheinland-Pfalz, Hans-Peter Schössler, vor dem Hintergrund eines erwarteten Umsatzeinbruches von etwa 50 Millionen Euro bei Lotto Rheinland-Pfalz „einen „sauberen Wettbewerb“ zwischen privaten und staatlichen Glücksspielanbietern.“ (vgl. http://www.azbadkreuznach. de/region/regional.php?oid=4308080).

Anders ausgedrückt heißt das: „weg mit dem Glücksspielstaatsvertrag – her mit einem liberalen Gesetzesmodell.“

Die indirekte Forderung von Schössler nach einem vernünftigen Wettbewerbsmodell im Glücksspielbereich ist nicht nur angesichts des Umsatzeinbruchs verständlich (dem Deutschen Lottoverband zufolge könnten den Ländern durch den Glücksspielstaatsvertrag bis 2011 Einnahmen in Höhe von 5,5 Milliarden Euro fehlen, vgl.: http://www.welt.de/wams_print/article2874493/Das-Spiel-verdorben.html; dazu auch: TIME Law News 1/2008 Gesetzgebungsbilanz – 100 Tage Glücksspielstaatsvertrag: Finanzieller und rechtlicher Segen oder Waterloo für Bundesländer und Destinäre? Denn: Auch die EU Kommission zeigt sich bekanntlich wenig begeistert vom deutschen Gesetzeswerk.

„Brüssel rügt Neufassung des deutschen Wettmonopols“ titelt „DIE WELT“ in einem Bericht vom 28. November 2008 und schreibt weiter:

„Wegen des umstrittenen Glücksspielstaatsvertrages gibt es in Brüssel heftigen Ärger. So hat der Juristische Dienst der EU-Kommission in einem deutschen Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) bemerkenswert klar gegen den Glücksspielstaatsvertrag Stellung bezogen. Demzufolge ist die deutsche Glücksspielpolitik im Kern widersprüchlich, entsprechend seien die in der europäischen Rechtsprechung festgelegten Kriterien der Kohärenz und Systematik nicht erfüllt, heißt es in einem Schriftsatz an den EuGH, der der WELT vorliegt. Diese offene Kritik von europäischer Seite zeigt, auf welch wackligen Füßen das erst Anfang 2008 in Kraft getretene Vertragswerk steht, das staatlichen Glücksspielanbietern ihre Monopolstellung sichert.“

Dem betreffenden Kommissions-Schriftsatz an den EuGH liegt ein durch den gibraltarischen Online-Glücksspielanbieter Carmen Media (vertreten durch die Kanzlei Hambach & Hambach) vor dem Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht (VG) geführtes Hauptsacheverfahren zugrunde. Das Ziel von Carmen Media: Anerkennung der gültigen EU-Glücksspiellizenz vor dem Hintergrund des gemeinschaftsrechtswidrigen und deshalb nicht anwendbaren Glücksspielstaatsvertrages. Das VG beschloss Anfang 2008, das Verfahren auszusetzen und entscheidungserhebliche Fragen zum Europarecht im Vorabentscheidungsverfahren durch den EuGH klären zu lassen.

Wenn man die Vorlageentscheidung des Schleswig-Holsteinischen VG studiert, wird deutlich, dass die Kommission die Meinung des VG teilt. Denn bereits in der mündlichen Verhandlung im Januar 2008 äußerte die vorsitzende Richterin die Rechtsauffassung, dass ein staatliches Sportwettenmonopol nur dann mit dem Ziel der Spielsuchtbekämpfung begründet werden könne, wenn alle rechtlichen Regelungen und tatsächlichen Ausgestaltungen eines Mitgliedsstaates zum gesamten Glücksspielmarkt und nicht nur die dem Sportwetten- und Lotteriemonopol zugrunde liegenden Vorschriften Teil einer systematischen und kohärenten Regelung sind.

Dazu zog die Richterin einen sehr anschaulichen Vergleich: Wenn ein staatliches Verbot oder Monopol für Wein und Bier mit einem Verweis auf die Gefahren der Alkoholsucht begründet werden sollte, dann wäre es ebenfalls kaum verständlich, wenn harte Alkoholika wie z. B. Schnaps, weiterhin frei verkäuflich blieben (vgl. dazu PM von Hambach & Hambach vom 31.1.2008).
Dieser anschauliche Vergleich kommt nicht von ungefähr. So hat im Jahr 2007 der EuGH zum Alkoholvertriebsmonopol in Schweden in der Rechtssache Rosengren entschieden, dass ein staatliches Monopol nicht mit der Suchtbekämpfung begründet werden kann, wenn die Abgabemenge des suchtgefährlichen Stoffes nicht begrenzt wird (Urteil vom 5.6.2007, in der Rechtssache C-170 (Rosengren, Slg. 2007, I-4071), Randnrn. 44-47). Auf die nicht stoffgebundene „Lottosucht“ (wenn es sie gäbe) übertragen hieße es, dass die Mengenbegrenzung auf das Suchtprodukt Lotto von Staat eingeführt werden müsste.
Also: Der potentiell Lottosuchgefährdete dürfte z. B. nur einmal in der Woche einen Lottoschein abgeben und würde für die Teilnahme an den übrigen Lottoziehungen gesperrt werden. Eine bis heute mengenmäßig unbegrenzte Teilnahme am staatlichen Lotto wäre danach rechtswidrig.

Zurück zur EU Kommission: Sie gelangt in der betreffenden Stellungnahme zu dem Ergebnis, dass der Glücksspielstaatsvertrag aufgrund der Inkohärenz der deutschen Glücksspielregelungen gegen vorrangiges Gemeinschaftsrecht verstößt. Folgt der EuGH dieser Auffassung, wären deutsche Gerichte gehalten, die europarechtswidrigen Regelungen nicht mehr anzuwenden. In diesem Fall müsste das Schleswig-Holsteinische VG über die Wirksamkeit der EU-Lizenz von Carmen Media in Deutschland entscheiden, ohne das Verbot privater Anbieter aus dem Glücksspielstaatsvertrag zu beachten. In der Randnummer 43 des betreffenden Schreibens schlägt die Kommission zudem dem EuGH vor, dass reine Ermessensentscheidungen der Behörde bei Vorliegen aller Erteilungsvoraussetzungen ebenfalls gemeinschaftsrechtswidrig wären. Gelangt also das VG nach dem Richterspruch des EuGH zu dem Ergebnis, dass die Dienstleistungsfreiheit nach Art. 49 EG-Vertrag ungerechtfertigt beschränkt wird, z. B. weil das Monopolsystem in Deutschland in sich widersprüchlich, also nicht kohärent ist, könnte es entweder feststellen, dass Carmen Media mit der gibraltarischen Lizenz unmittelbar in Deutschland tätig werden darf oder das Ermessen der Glücksspielaufsichtbehörde (hier: Innenministerium von Schleswig-Holstein) bei Vorliegen aller Urteilungsvoraussetzungen auf null reduziert sei, mit der Folge, dass Carmen Media in Schleswig-Holstein rechtmäßig tätig werden könnte. Zwangsläufig würde die derzeitige Klagewelle gegen das Glücksspielmonopol zugunsten der privaten Glücksspielanbieter entschieden werden und so das Monopol endgültig zu Fall bringen.

Falls die Landespolitik trotz der gegenwärtig einsetzenden Einsicht auf Seiten einiger Lottogesellschaften und des gegenwärtig bestehenden Rechtschaos stur am Glücksspielstaatsvertrag festhalten sollte, wird es zum Show-Down vor dem EuGH und danach dem VG Schleswig-Holsteinischen kommen.

In dem kürzlich in der Europäischen Zeitschrift für Wirtschaftsrecht veröffentlichten Artikel „Gelten die Grundfreiheiten auch für Geld- und Glücksspiele?“ (nachfolgend) befassen wir uns mit einem EuGH Vorlageverfahren in Portugal, das zeitlich und prozessual weiter ist als die deutschen Verfahren. Lassen sich aus diesen Verfahren Rückschlüsse für die deutschen Verfahren ziehen?

Zuvor befassen wir uns mit einem Thema, das die EU-Kommission im Anfang 2008 eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland (dazu: http://www.bettinglaw.de/cms/cms/front_content.php?idart=373) in das Zentrum ihrer Kritik gerückt hat: Die Frage nach der Durchsetzbarkeit des Internetverbots aus § 4 Abs. 4 GlüStV. Im Aufforderungsschreiben (Vertragsverletzung-Nr. 2007/4866) stellt die Kommission fest: “Das Verbot von Glücksspielen im Internet ist nicht dazu geeignet, das gesetzte Ziel zu erreichen, da es den deutschen Behörden nahezu unmöglich ist, ein solches Verbot durchzusetzen.“

Stellt diese Regelung eine Sollbruchstelle des Glücksspielstaatsvertrages dar? Wenn „ja“ werden die Geister, die Verfechter des Glücksspielstaatsvertrages mit dessen umstrittenerer Verabschiedung Ende 2007 gerufen haben, dem Spuk sehr bald ein Ende bereiten und einen neuen Geist heraufbeschwören: Horrende Schadensersatzforderung privater Glücksspielanbieter (u. a. von Carmen Media) gegen die Bundesländer und damit gegen die ohnehin bereits gebeutelten Steuerzahler.

Der Spiegel der Zukunft:

Eine überwachte – also nicht schleichende – Liberalisierung des (Internet-) Glücksspielmarktes (vgl. dazu „Gesetzliche Neuordnung des Glücksspielrechts am Beispiel der Sportwette“) ist bereits in Italien, Spanien und (bald) Frankreich Realität (vgl. dazu die nachfolgenden Artikel unser italienischen, spanischen und französischen Kooperationsanwälte). Dies wird nicht nur dem Spieler bzw. Verbraucher die Möglichkeit bieten, zwischen streng überwachten, legalen Online-Glücksspielangeboten zu wählen, sondern auch wieder – wie z. B. in Italien geschehen – wesentlich mehr Glücksspielgelder in die EIGENEN (!) Staatskassen spülen. Dieses Geld wird nicht nur dringend für einen längst überfälligen strukturierten, bundesweiten Aufbau eines wirksamen Sucht- und Kriminalitätsbekämpfungssystems im Bereich (Online-)Glücksspiele benötigt, sondern auch um die Unterstützung gemeinnütziger Zwecke wie Sport und Kultur künftig gewährleisten zu können.

Aus: TIME LAW NEWS 1/2009 (www.timelaw.de) der Kanzlei Hambach & Hambach Rechtsanwälte