Die Reichweite des neuen Trennungsgebots nach § 4 Abs. 5 Nr. 5 GlüStV 2021 – Anlass für „Goldgräberstimmung“ auch bei den deutschen Lotterien?

Ein Artikel von Rechtsanwalt Dr. Matthias Spitz

Die Internetpräsenz der Österreichischen Lotterien unter www.win2day.at geizt gegenüber Spielinteressierten nicht mit werblichen Anreizen für das dortige Casino-, Poker- und Bingo-Angebot, das „Abwechslung ohne Ende“ verheißt – es wird „geklotzt und nicht gekleckert“ und „Gewinne gestapelt“ solange die Spieler „nicht vom Sessel fallen“. Kurzum: es herrscht „Goldgräberstimmung“ auf dem Weg „nach Vegas“. Mit Inkrafttreten des GlüStV 2021 zum 1. Juli 2021 wurde das sog. „Trennungsgebot“ nach § 4 Abs. 5 Nr. 5 Satz 1 GlüStV 2021 aufgeweicht, das auf eine Trennung von Spielformen mit niedrigerem und höherem Spielsuchtpotenzial bei Internetangeboten abzielt und zuvor kombinierte Angebote der staatlichen Lotteriegesellschaften mit anderen Glücksspielformen auf derselben Internetdomain verhinderte.

Der DLTB bewertet die zusätzlichen Vertriebsmöglichkeiten im Internet ausweislich seiner Pressemitteilung zum Inkrafttreten des GlüStV 2021 positiv – gibt die Neuregelung des Trennungsgebots nun etwa auch Anlass für Goldgräberstimmung bei deutschen Lotterien?

Jedoch lässt sich schon der Begründung zum GlüStV 2021 entnehmen, dass die Modifizierung des Trennungsgebots auf der einen Seite ein gemeinsames Angebot von staatlichem Lotterie- und Sportwettangebot ermöglichen sollte und auf der anderen Seite vor allem mit Blick auf die Vorteile im technischen Spielerschutz bei kombinierten Angeboten privater Anbieter erfolgte. Schon das spricht dafür, allenfalls ein kombiniertes Angebot von Lotterien und Sportwetten auf derselben Internetdomain zuzulassen. Entscheidend dürfte aber sein, dass eine derartige expansive Geschäftspolitik in Deutschland das staatliche Lotteriemonopol letztlich insgesamt in Frage stellen würde.

Zur Modifizierung des Trennungsgebots

Nach der Modifizierung des § 4 Abs. 5 Nr. 5 Satz 1 GlüStV 2021 dürfen über dieselbe Internetdomain unterschiedliche Glücksspielformen nur angeboten werden, wenn für jede Glücksspielform ein selbstständiger und grafisch jeweils voneinander abgetrennter Bereich eingerichtet wird. Danach schließt zwar der Wortlaut eine Kombination von Online-Lotterieangeboten mit anderen genehmigungsfähigen Glücksspielen im Internet nicht per se aus, allerdings stellt sich die Frage, ob angesichts der Regulierungssystematik des GlüStV 2021 und der Gesetzgebungshistorie derartige Angebote nicht auf eine Kombination von Lotterie- mit Sportwettangeboten im Internet beschränkt sein sollten:

Im Vergleich zu anderen Internet-Spielformen sind Lotterien (mit geringer Ereignisfrequenz) deutlich privilegiert, d.h. sie sind von wesentlichen Einschränkungen, wie z.B. der OASIS-Abfrage (§ 8 Abs. 2 und 3 GlüStV 2021) oder von verschiedenen Werbebeschränkungen, wie z.B. dem Verbot von umsatzabhängiger Affiliate-Werbung nach § 5 Abs. 6 GlüStV 2021 oder der Zeitgrenze für TV- und Online-Werbung zwischen 6 und 21 Uhr nach § 5 Abs. 3 GlüStV, ausgenommen.

Diese Beschränkungen würden durch ein kombiniertes Angebot von Lotterie und Spielformen mit deutlich höherem Spielsuchtpotenzial, wie z.B. virtuelles Automatenspiel oder Online-Casinospiele unterlaufen. Bei Online-Casinospielen wäre dies besonders problematisch, da hier – anders als bei virtuellem Automatenspiel – im GlüStV 2021 im Grundsatz keine Produktbeschränkungen zum Spielerschutz, wie z.B. Einsatzlimits, vorgesehen sind. Darüber hinaus wurde auf eine 5-minütige Pause beim Spielformwechsel wie beim virtuellen Automatenspiel (§ 22a Abs. 9 GlüStV 2021) verzichtet, sodass ein Spieler bereits nach einer Minute in ein deutlich gefährlicheres Spielumfeld wechseln kann.

Ausweislich der Begründung des GlüStV 2021 erfolgte die Modifizierung des Trennungsgebots ausdrücklich vor dem Hintergrund der bisherigen restriktiveren Regelung, die ein gemeinsames Angebot der staatlichen Lotteriegesellschaften und des staatlichen Sportwettenanbieters, der ODDSET Sportwetten GmbH, verhinderte:

„Mit der Neufassung von Nummer 5 wird das bislang geltende Trennungsgebot modifiziert. Bislang durften Sportwetten und Lotterien – die einzigen beiden im Internet erlaubnisfähigen Glücksspiele – nur über getrennte Internetdomains angeboten werden; ein Verweis oder die Verlinkung auf andere Glücksspiele war untersagt. Hintergrund dieser Regelung war, dass der einfache Wechsel zwischen verschiedenen Glücksspielarten auf derselben Plattform für suchtgefährdete Spieler spezifische Gefahren mit sich bringt. Eine derartige strikte Trennung ist im internationalen Vergleich unüblich.“ (Landtag NRW-Vorlage 17/3960 vom 30.09.2020, Erläuterungen zum GlüStV 2021, S. 38).

Das spricht in der Gesamtschau dafür, das allenfalls ein kombiniertes Angebot von Lotterien und Sportwetten auf derselben Internetdomain zuzulassen.

Zielsetzung der Absicherung des Lotteriemonopols und unionsrechtliche Rechtfertigung

Die mit dem Trennungsgebot aus Spielerschutzgründen vorgegebenen Beschränkungen dienen letztlich auch der weiteren Absicherung des staatlichen Lotteriemonopols. Vor dem Hintergrund der unionsrechtlichen Anforderungen an die Rechtfertigung des Monopols dürfte in der Praxis insofern eine restriktive Handhabung von kombinierten Angeboten von staatlichen Lotterien auf derselben Internetdomain angezeigt sein.

Die Dualität von Lotteriemonopol auf der einen Seite und Erlaubnismodell für Sportwetten, virtuelles Automatenspiel und Online-Poker auf der anderen Seite kann die Rechtfertigung des staatlichen Lotteriemonopols gefährden, wenn Lotterien selbst eine expansive Geschäftspolitik betreiben und selbst andere Glücksspielprodukte anbieten. In Sporting Odds weist der EuGH auf folgende Grundsätze hin:

„Ein solches duales System zur Organisation des Glücksspielmarkts kann sich jedoch als im Widerspruch zu Art. 56 AEUV stehend erweisen, wenn festgestellt wird, dass die zuständigen Behörden in Bezug auf andere Glücksspiele als die, die dem staatlichen Monopol unterliegen, eine Politik verfolgen, die eher darauf abzielt, zur Teilnahme an diesen anderen Spielen zu ermuntern, als darauf, die Spielgelegenheiten zu verringern und die Tätigkeiten in diesem Bereich in kohärenter und systematischer Weise zu begrenzen, was zur Folge hat, dass das der Errichtung dieses Monopols zugrunde liegende Ziel, Anreize zu übermäßigen Ausgaben für das Spielen zu vermeiden und die Spielsucht zu bekämpfen, mit ihm nicht mehr wirksam verfolgt werden kann.“ (EuGH, Urteil vom 28.02.2018, Rs. 3/17, Sporting Odds, Rn. 24.)

Damit meint der EuGH im Sinne einer intersektoralen Kohärenz zwar zunächst, dass auch bei einem dualen Regulierungssystem nicht nur das staatliche Lotteriemonopol, sondern auch ein Erlaubnissystem für andere Glücksspiele insgesamt konsequent am Ziel der Spielsuchtbekämpfung ausgerichtet sein muss. Gleichzeitig impliziert das aber auch, dass der Monopolist nicht selbst das Ziel der Spielsuchtbekämpfung durch eine expansive, von den Behörden zugelassene Geschäftspolitik konterkarieren darf.

In seinem Urteil vom 15. September 2011 in Dickinger formulierte der EuGH weitere Anforderungen an die Rechtfertigung von Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 AEUV im Bereich des Internet-Glücksspiels. In dem zu Grunde liegenden Fall ging es im Kern um die Frage, ob das österreichische Lotteriemonopol angesichts der expansiven Geschäftspolitik der Österreichischen Lotterien noch mit Unionsrecht vereinbar ist. Nach Auffassung des EuGH ist das Angebot weiterer Spielformen in dieser Konstellation indes nur unter engen Voraussetzungen möglich:

„Da das Ziel, die Verbraucher vor der Spielsucht zu schützen, grundsätzlich schwer mit einer Politik der Expansion von Glücksspielen, die insbesondere durch die Schaffung neuer Spiele und die Werbung für sie gekennzeichnet ist, vereinbar ist, kann eine solche Politik nur dann als kohärent angesehen werden, wenn die rechtswidrigen Tätigkeiten einen erheblichen Umfang haben und die erlassenen Maßnahmen darauf abzielen, die Spiellust der Verbraucher in rechtmäßige Bahnen zu lenken […] Jedenfalls muss die vom Inhaber eines staatlichen Monopols eventuell durchgeführte Werbung maßvoll und eng auf das begrenzt bleiben, was erforderlich ist, um die Verbraucher zu den kontrollierten Spielenetzwerken zu lenken. Hingegen darf eine solche Werbung nicht darauf abzielen, den natürlichen Spieltrieb der Verbraucher dadurch zu fördern, dass sie zu aktiver Teilnahme am Spiel angeregt werden, etwa indem das Spiel verharmlost, ihm wegen der Verwendung der Einnahmen für im Allgemeininteresse liegende Aktivitäten ein positives Image verliehen wird oder seine Anziehungskraft durch zugkräftige Werbebotschaften erhöht wird, die bedeutende Gewinne verführerisch in Aussicht stellen.“ (EuGH, Urteil vom 15.09.2011, Rs. 347/09, Dickinger, Rn. 67 f.)

Gefährdung des staatlichen Monopols durch expansive Geschäftspolitik der Lotterien im Internet?

Unter Kohärenzgesichtspunkten wirken die Sonderregeln über Online-Casinospiele in § 22c GlüStV 2021 besonders problematisch und angreifbar, vor allem im Vergleich zu den Restriktionen für Online-Poker in § 22b GlüStV 2021 und virtuelle Automatenspiele in § 22a GlüStV 2021. Anders als bei Online-Casinospielen sind für diese Spielformen im GlüStV 2021 weitreichende Produktbeschränkungen (Maximaleinsätze, Mindestspieldauer und Beschränkung der Zahl der bespielbaren Tische) vorgesehen (zu den Kohärenzproblemen des GlüStV 2021: Berwanger, Neuer Glücksspielstaatsvertrag, NVwZ 2020, 920).

Für die kohärente Ausgestaltung verweist die Begründung des GlüStV 2021 lapidar auf die Länder, ohne aber einen konkreten Rahmen dafür vorzugeben. Der in § 22c Abs. 1 GlüStV 2021 angelegte föderale Flickenteppich bei der Regulierung des Online-Casinospiels widerspricht dem Erfordernis der intersektoralen Kohärenz. Der EuGH hat den Mitgliedstaaten im Rahmen der Glücksspielregulierung zwar zubilligt, dass diese aufgrund fehlender Harmonisierung einen gewissen Gestaltungsraum bei der Ausgestaltung nationaler Regulierung haben und dass in föderal organisierten Mitgliedstaaten gliedstaatliche Besonderheiten wegen Art. 4 Abs. 2 EUV beachtet werden (EuGH, Urteil vom 12.06.2014, Rs. C-156/13, Digibet). Wenn dann im nationalen Recht Unterschiede in der Regulierung verschiedener Spielformen bestehen, kommt es letztlich darauf an, ob diese durch zwingende Allgemeininteressen gerechtfertigt werden können; hier gewinnt die Effektivität des Spielerschutzes besondere Relevanz (Barczak/Hartmann, Kohärenz im Glücksspiel, 2021, S. 18).

Vor diesem Hintergrund erscheint es kaum vorstellbar, dass eine erhebliche Erweiterung von staatlichen Lotterieangeboten in Kombination mit anderen Online-Glücksspielformen, wie z.B. im österreichischen Modell durch ein Online-Casinoangebot auf derselben Internet-Domain, mit dem Kohärenzgebot im Einklang stehen könnte. Ein kombiniertes Internet-Angebot staatlicher Lotterien mit anderen Glückspielformen würde über die dem Monopolisten vom EuGH zugebilligte „Steigerung der Attraktivität“ (s.o.) deutlich hinausgehen und vielmehr dazu führen, dass Verbraucher zur Teilnahme an diesen anderen Spielformen angeleitet würden, was insbesondere bei Spielformen mit höherem Suchtrisiko, einschließlich Online-Casinospielen, dem Ziel der Spielsuchtbekämpfung zuwiderliefe. In diesem Fall erbrächte die leichte Zugänglichkeit anderer Glücksspielformen im Internet über eine Lotto-Domain den Nachweis dafür, dass das staatliche Monopol nicht konsequent am Ziel der Spielsuchtbekämpfung ausgerichtet ist und der Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit nicht mehr zu rechtfertigen ist. Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass durch eine derartige expansive Geschäftspolitik der Lotterien im Internet das Lotteriemonopol rechtlich noch angreifbarer würde.

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