Der Umlaufbeschluss und andere Gerüchte

Rechtsanwalt Dr. Nik Sarafi

Dr. Sarafi Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Leerbachstr. 54
D - 60322 Frankfurt am Main
Tel.: +49 69 70793-660
Fax: +49 69 70793-727
E-Mail: info@sarafi.de
Der GlüStV 2021 tritt erst voraussichtlich am 1. Juli 2021 in Kraft und bedarf noch der Ratifizierung durch die Bundesländer. Mit Umlaufbeschluss vom 9. September 2020 haben sich die Chefinnen und Chefs der Staats- und Senatskanzleien der Länder darauf geeinigt, dass sich die Verwaltungspraxis im Vorgehen gegen die Veranstaltung von Online-Glücksspielen ohne behördliche Erlaubnis bereits am 4. Glücksspielneuregulierungsstaatsvertrag (kurz: GlüStV 2021) orientieren soll. Ausgehend von der Rechtsauffassung der Bundesländer führt die Veranstaltung von Online-Glücksspiel ohne Beachtung der technischen Richtlinien ab dem 15. Oktober 2020 zu einem Verlust der Zuverlässigkeit und somit zum Ausschluss vom Erhalt einer Online-Glücksspiel Konzession für das Veranstalten von „virtuellen Automatenspielen“ respektive „Online Casinospielen“. Die Anbieter aber können beruhigt sein: An der materiellen Rechtslage ändert der Umlaufbeschluss ebenso wenig wie an der Unionsrechtswidrigkeit des „voraussichtlich zukünftigen“ – so die Terminologie des Umlaufbeschlusses – GlüStV 2021.

1. Inhalt des Umlaufbeschlusses

Der Umlaufbeschluss legt mit Ziffer 4 für zukünftiges behördliches Verwaltungshandeln fest, dass die Veranstaltung von Online-Glücksspiel ohne behördliche Erlaubnis bei Beachtung der vorgenannten technischen Richtlinien nicht als Grund für die Annahme der Unzuverlässigkeit des Anbieters angeführt werden wird:

„Für den Fortbestand der Sportwettenkonzession und die Zuverlässigkeit in zukünftigen Erlaubnis- und Konzessionsverfahren ist in der Regel unschädlich, wenn Konzessionsinhaber neben erlaubten Glücksspielen ausschließlich virtuelle Automatenspiele und Online-Poker im Sinne des Entwurfs des GlüStV 2021 anbieten und dieses Angebot auf das nach dem Entwurf des GlüStV 2021 legale Maß beschränken und hierbei alle zukünftigen Vorgaben zum Spielerschutz und zur Spielsuchtbekämpfung heute schon tatsächlich umsetzen, die heute schon technisch umgesetzt werden können. Um die technische Umsetzung zu ermöglichen, wird dazu eine Frist bis zum 15. Oktober 2020 gewährt. […] Das Angebot eines der vorgenannten Glücksspiele [d.h. Online-Glücksspiel außerhalb des Rahmens der technischen Richtlinien] führt in der Regel zum Widerruf der Sportwettenkonzession und zum Ausschluss der Zuverlässigkeit in zukünftigen Erlaubnis- oder Konzessionsverfahren.“

Auf die Unzuverlässigkeit eines Anbieters für sein in der Vergangenheit liegendes Verhalten stellt der GlüStV 2021 gerade nicht ab, wird aber erst durch den Umlaufbeschluss für das möglicherweise künftige Konzessionsverfahren und die Erlaubniserteilung nach dem GlüStV 2021 relevant: So sieht der Umlaufbeschluss vor, dass Anbieter, die sich nicht an die technischen Richtlinien halten, als „unzuverlässig“ eingestuft werden und ihnen deshalb ausgehend vom GlüStV 2021 ab dem 1. Juli 2021 keine Konzessionen oder Erlaubnisse zur Veranstaltung von Glücksspiel jeglicher Art erteilt werden können (Bad-Actor-Klausel). Durch die (norminterpretierende) Vorschrift des Umlaufbeschlusses wird der in de facto allen Glücksspielgesetzen der Länder für die Erlaubnis- und Konzessionserteilung maßgebliche unbestimmte Rechtsbegriff der „Zuverlässigkeit“ dahingehend konkretisiert, als dass ein bestimmtes Verhalten, das vor dem Umlaufbeschluss zur Unzuverlässigkeit führte, ferner für die Einstufung als „zuverlässig“ unschädlich ist.

Welche Vorgaben als technisch bereits umsetzbar gelten, wurde durch eine gemeinsame Leitlinie der obersten Glücksspielaufsichtsbehörden der Länder in Bezug auf Angebote von virtuellen Automatenspielen und Online-Poker auf Grundlage des Umlaufbeschlusses der Chefinnen und Chefs der Staats- und Senatskanzleien vom 8. September 2020 vom 30. September 2020 konkretisiert, welche wenige Tage vor Inkrafttreten auf der Seite der Gemeinsamen Geschäftsstelle Glücksspiel veröffentlicht wurde. Dazu gehören unter anderem ein monatliches Einzahlungslimit von 1.000 €, die Einrichtung eines Panik-Knopfs zur 24 Stunden-Sperre, verpflichtende „Reality Checks“ nach einer Stunde Spiel im Internet, das Verbot parallelen Spiels und – ab dem 15. Dezember 2020 – beim virtuellen Automatenspiel eine Mindestspieldauer von mindestens fünf Sekunden und einer Einsatzhöhe von höchstens einem Euro je Spiel.

In Bezug auf Online-Glücksspiel sieht weiterhin Ziffer 5 des Umlaufbeschlusses vor, dass die Verwaltung den Vollzug gegen diejenigen Anbieter von Online-Glücksspiel ohne behördliche Erlaubnis aussetzt, die sich an die im GlüStV 2021 vorgesehenen und bereits umsetzbaren technischen Richtlinien für die Veranstaltung von virtuellem Automatenspiel und Online-Poker halten:

„Die vorstehenden Grundsätze werden auch bei der Ausübung des Ermessens, gegen welche Anbieter unerlaubten Glücksspiels im Rahmen der zur Verfügung stehenden Kapazitäten vorgegangen wird, berücksichtigt. Der Vollzug gegen unerlaubte Glücksspielangebote wird bis zum 30. Juni 2021 daher auf diejenigen Anbieter konzentriert, bei denen abzusehen ist, dass sie sich auch der voraussichtlichen zukünftigen Regulierung entziehen wollen. Als solche Anbieter müssen in Bezug auf Sportwetten, virtuelle Automatenspiele, Online-Poker und Online-Casinospiele angesehen werden

– alle Anbieter von Sportwetten, die bislang keinen Konzessionsantrag gestellt haben,
– alle Anbieter, die noch nach dem 15. Oktober 2020 virtuelle Automatenspiele und/oder Online-Poker anbieten, ohne alle diesbezüglichen und nicht technisch noch unmöglichen Vorgaben des GlüStV 2021 einzuhalten, und
– alle Anbieter, die noch nach dem 15. Oktober 2020 Online-Casinospiele an-bieten, die der Regelung des § 22c GlüStV 2021 unterfallen (Roulette, Black Jack etc.).

Die Länder gehen gegen diese Anbieter unerlaubten Glücksspiels vor.“

Der Vollzug gegen die Veranstaltung illegalen Glücksspiels steht nach derzeitiger Rechtslage unter Entschließungsermessen, d.h. die zuständigen Behörden müssen im jeweiligen Einzelfall ihr Ermessen dahingehend ausüben, ob ein Vollzug verhältnismäßig ist. Durch die Ziffer 5 wird das Entschließungsermessen der Behörden bezüglich des Vollzugs gegen die Veranstaltung nicht erlaubten Glücksspiels dahingehend ausgeübt, dass gegen die Anbieter, die illegales Glücksspiel unter Beachtung der technischen Richtlinien veranstalten, kein Vollzug erfolgt.

2. Der Umlaufbeschluss ist bloß eine Verwaltungsvorschrift

Der Umlaufbeschluss ist keine personenbezogene Allgemeinverfügung i.S.d. § 35 S. 2 Var. 1 VwVfG, weil es an dem für eine Allgemeinverfügung erforderlichen Regelungscharakter fehlt. Eine Regelung liegt vor, wenn die Maßnahme der Behörde darauf gerichtet ist, eine verbindliche Rechtsfolge zu setzen – d.h. wenn durch die Maßnahme Rechte der Betroffenen unmittelbar begründet, geändert, aufgehoben, mit bindender Wirkung festgestellt oder verneint werden. Mit der Vollzugsaussetzung werden die Rechte der Glücksspielanbieter nicht berührt, insbesondere weil die Aussetzung des Vollzugs keine behördliche Genehmigung darstellt. Aber auch die Bestimmung des Umlaufbeschlusses, dass die Veranstaltung von Online-Glücksspiel bei Beachtung der im Umlaufbeschluss genannten technischen Richtlinien für die Zuverlässigkeit der Anbieter unschädlich ist, berührt deren Rechte nicht unmittelbar. Denn der Umlaufbeschluss begründet – so wird es in der Schlussbemerkung der Gemeinsamen Leitlinien der obersten Glücksspielaufsichtsbehörden der Länder in Bezug auf Angebote von virtuellen Automatenspielen und Online-Poker auf Grundlage des Umlaufbeschlusses der Chefinnen und Chefs der Staats- und Senatskanzleien vom 8. September 2020 vom 30. September ausdrücklich betont – keinen Anspruch auf Erlaubniserteilung oder ein Präjudiz für spätere Erlaubniserteilungsverfahren. Der Umlaufbeschluss ändert somit nichts an den Rechtspositionen der Anbieter, sondern ist nur die Grundlage für Verwaltungsakte, die ausgehend von den derzeit geltenden Glücksspielgesetzen der Länder in Verbindung mit dem Umlaufbeschluss erlassen werden können.

Da sich der Umlaufbeschluss primär an die Behörde richtet und keine unmittelbare Außenwirkung entfaltet, handelt es sich bei ihm auch nicht um eine Rechtsverordnung, sondern um bloße Verwaltungsvorschriften. Verwaltungsvorschriften beruhen auf der „Befugnis zur Leitung eines Geschäftsbereichs“ und richten sich dementsprechend an Behörden, um deren Verwaltungshandeln zu lenken. Genauso verhält es sich mit dem Umlaufbeschluss: Bereits die Wortwahl des Umlaufbeschlusses und den gemeinsamen Leitlinien verdeutlicht, dass der Adressat des Umlaufbeschlusses die nachgeordneten Behörden sind: An keiner Stelle richtet sich der Umlaufbeschluss direkt an den Anbieter. Maßgeblich ist zudem, dass der Umlaufbeschluss keine unmittelbare Bindungswirkung im Außenbereich entfaltet. Der Umlaufbeschluss berührt die Veranstalter von Online-Glücksspiel nur insoweit, als dass diese bei Einhaltung der durch die gemeinsamen Leitlinien konkretisierten technischen Richtlinien keinen Vollzug und keine spätere Versagung der Zuverlässigkeit wegen der Veranstaltung von Online-Glücksspiel in späteren Erlaubnis- und Konzessionsverfahren befürchten müssen. Der Umlaufbeschluss ändert aber nichts daran, dass die Veranstaltung von Online-Glücksspiel aus Sicht der Bundesländer nicht erlaubt und nach der geltenden Rechtslage auch nicht erlaubnisfähig ist. Er privilegiert zwar faktisch die Anbieter, die sich an die technischen Richtlinien halten, räumt ihnen aber keine für sie günstige Rechtsposition ein.

3. Keine Auswirkungen auf die materielle Rechtslage

Verwaltungsvorschriften sind generelle Regelungen des verwaltungsinternen Bereichs, die von einer vorgesetzten Behörde an nachgeordnete Behörden bzw. vom Behördenchef an die ihm unterstellten Verwaltungsbediensteten gerichtet sind. Verwaltungsvorschriften können eingesetzt werden, um den vorhandenen Entscheidungs- und Handlungsspielraum einer Behörde zugunsten eines einheitlichen Verwaltungshandelns einzuschränken. Hervorzuheben ist dabei, dass die Gerichte an die Interpretationsvorgaben der Verwaltung nicht gebunden sind und ihren Entscheidungen aufgrund des Vorrangs des Gesetzes eine eigenständige Auslegung der Gesetze zu Grunde legen müssen. Das hat zur Folge, dass die Unschädlichkeit der Veranstaltung nicht erlaubten Online-Glücksspiels unter Beachtung der technischen Richtlinien für die Zuverlässigkeit von der Verwaltung in Befolgung der Vorschriften des Umlaufbeschlusses in gewisser Weise verbindlich ist, damit aber keineswegs gesagt ist, dass – sollte ein Gericht über die Zuverlässigkeit eines Anbieters entscheiden – dieses die Unzuverlässigkeit entgegen des Umlaufbeschlusses mit der Veranstaltung nicht erlaubten Online-Glücksspiels begründet. Die gerichtliche Überprüfung des Verwaltungshandelns auf Grundlage der ermessenslenkenden Verwaltungsvorschrift beschränkt sich auf das Maß, welches bei der Ermessensausübung im Einzelfall angelegt werden wird. Möglich ist aber die Prüfung, ob der Verwaltung bei der Entscheidung Fehler unterlaufen sind, insbesondere, ob die Verwaltung die geltenden Gesetze eingehalten hat. Kurz gesagt: Verbindlich ist der Umlaufbeschluss nur intern für die Verwaltung, nicht aber für die Gerichte, und – da die Vorschriften des GlüStV 2021 offensichtlich unions- und verfassungswidrig sind und deshalb bei einer gerichtlichen Kontrolle keinen Bestand haben dürften – letztlich auch nicht für die Anbieter.

Da der Umlaufbeschluss lediglich Verwaltungsvorschriften enthält, ändert er nichts an der materiellen Rechtslage bzw. allgemeinen Ausgangslage. Aus der Sicht der Bundesländer ist die Veranstaltung von Glücksspiel ohne behördliche Erlaubnis einer Glücksspielbehörde der Bundesländer weiterhin nach § 284 StGB strafbar. Und deshalb kann der Umlaufbeschluss die Anbieter auch nicht davor schützen, dass die Zahlung der Spielerbeträge an den Anbieter des illegalen Glücksspiels nach § 134 BGB i.V.m. § 184 StGB nichtig ist und deshalb zurückgefordert werden kann. Der Umlaufbeschluss stellt gerade keine Duldung dar, sondern lediglich eine behördeninterne Anweisung, wie gegen – aus Sicht der Bundesländer – illegales Online-Glücksspiel vorzugehen und mit ihm umzugehen ist. Ausgehend von der (unionsrechtsmissachtenden) Sicht der Bundesländer kann der Umlaufbeschluss deshalb entgegen seines Wortlauts behördenextern eben nicht vor Unzuverlässigkeit schützen.

Zuverlässigkeit wird in verwaltungsrechtlichen Vorschriften vielfach als Kriterium für eine Erlaubniserteilung angeführt, so beispielsweise in § 7 Abs. 1a LuftSiG, in § 5 Abs. 1 WaffG, in § 7 BRAO (Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft) oder in § 3 StVG (Entziehung der Fahrerlaubnis). Als unzuverlässig gilt dabei beispielsweise im Gewerberecht derjenige, der keine Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe in Zukunft ordnungsgemäß ausüben wird. Überträgt man den Gedanken des Umlaufbeschlusses auf einen anderen Anwendungsfall der Zuverlässigkeit, macht dies die Absurdität des Gedankens deutlich, der Umlaufbeschluss könne auch nur irgendwelche rechtmäßige Außenwirkung entfalten: Nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 und 4 StVG ist beispielsweise nur derjenige zur Führung eines Kraftfahrzeugs geeignet, für den sich aufgrund einer umfassenden Würdigung seiner „Gesamtpersönlichkeit“, d.h. aller Eigenschaften, Fähigkeiten und Verhaltensweisen, die für die Beurteilung der Verkehrsgefährlichkeit relevant sind, nichts gegenteiliges ergibt. Würde eine Gesetzesänderung angekündigt werden, welche jeden Fahrer als ungeeignet einstufen würde, der einen Pkw mit einer niedrigeren Schadstoffklasse als Euro 4 fährt – denn derartige Fahrer seien aufgrund der Umweltschädlichkeit ihrer Fahrzeuge verantwortungslos und stellten deshalb eine besondere Gefahr dar –, ist das grundrechtlich – wie auch der GlüStV 2021 – höchst problematisch. Wird aber dann mit einem Umlaufbeschluss das voraussichtlich künftige Recht beschlossen, dass bereits wenige Wochen nach Veröffentlichung des Gesetzesentwurfs – und lange, bevor es in Kraft tritt oder über das zukünftige Inkrafttreten überhaupt entschieden ist – denjenigen Fahrern, die noch einen Pkw mit einer niedrigeren Schadstoffklasse als Euro 4 fahren, die Geeignetheit zum Führen eines Kraftfahrzeuges für die Zukunft abgesprochen wird, drängt es sich geradezu auf, dass die Repressionen einer derartigen Regelung im Rechtsstaat nur folgenlos verhallen können. Genau so stellt sich die Situation mit dem Umlaufbeschluss dar.

Es ist wichtig zu betonen, dass das vorhergesagte hinsichtlich des Verlusts der Zuverlässigkeit aber nur dann gilt, wenn man das europäische Recht außer Acht lässt. Denn auf Anbieter aus anderen EU-Mitgliedsstaaten, die in ihrem Mitgliedstaat über eine entsprechende Genehmigung zur Veranstaltung von Online-Glücksspiel verfügen, ist § 284 StGB aufgrund des Vorrangs des Unionsrechts – die Anbieter veranstalten Online-Glücksspiel in Ausübung ihrer europäischen Dienstfreiheit – nicht anzuwenden. Das geht sogar so weit, dass die Nichtbeachtung der Vorgaben des Umlaufbeschlusses für Anbieter mit Lizenz aus anderen europäischen Mitgliedstaaten für die Teilnahme an späteren Erlaubnis- oder Konzessionsverfahren unschädlich ist. Einerseits ist der GlüStV 2021 noch nicht durch die Bundesländer ratifiziert worden und kann deshalb noch keine wie auch immer geartete Rechtskraft entfalten. Andererseits verstößt der GlüStV massiv gegen die europäischen Grundfreiheiten, gegen das europäische Wettbewerbsrecht und gegen das Verfassungsrecht. Der EuGH hat in ähnlichen Konstellationen bereits mehrfach die Unionsrechtswidrigkeit festgestellt. Bezüglich der Konzessionserteilung zur Veranstaltung von Glücksspiel hat der EuGH mit Urteil vom 22. Juni 2017 (Az.: C-49/16) über die Voraussetzungen für Regulierung der Erteilung einer Konzession für die Veranstaltung von Online-Glücksspielen entschieden (Unibet International-Entscheidung). Dabei verstoßen Glücksspielgesetze gegen Art. 56 AEUV, wenn sie Anbieter, die in anderen Mitgliedstaaten niedergelassen sind, diskriminieren. Von einer Diskriminierung ist bereits auszugehen, wenn die Regelungen so angewendet oder in einer Weise gehandhabt werden, dass die Bewerbung bestimmter Anbieter, die in anderen Mitgliedstaaten niedergelassen sind, verhindert oder erschwert werden. Nach der ständigen EuGH-Rechtsprechung sind derartige Eingriffe nur gerechtfertigt, wenn die Regelungen kohärent sind. Gegen die Kohärenz spricht jedenfalls, wenn die Behörden in Bezug auf andere Glücksspiele eine Politik verfolgen, die eher darauf abzielt, zur Teilnahme an diesen anderen Spielen zu ermuntern, als darauf, die Spielgelegenheiten zu verringern und die Tätigkeiten in diesen Bereich in kohärenter und systematischer Weise zu begrenzen. Denn dies hätte zur Folge gehabt, dass das der Konzessionsvergabe zugrunde liegende Ziel, Anreize zu übermäßigen Ausgaben für das Spielen zu vermeiden und die Spielsucht zu bekämpfen, nicht mehr wirksam verfolgt werden kann (so der EuGH u.a. in Sporting Odds, Stanleybet Malta, Carmen Media Group). Genau so verhält es sich aber mit dem voraussichtlich künftigen GlüStV 2021, auf dem der Umlaufbeschluss und die technischen Richtlinien fußen.

Der Umlaufbeschluss ist für die Anbieter, die aus einem anderen Mitgliedstaat in Ausübung ihrer europäischen Dienstleistungsfreiheit Online-Glücksspiele in Deutschland veranstalten, deshalb unbeachtlich. Anders aber sieht es für Anbieter aus, die bereits über eine Genehmigung oder eine Erlaubnis zur Veranstaltung von (terrestrischem) Glücksspiel in Deutschland verfügen. Für sie birgt der Umlaufbeschluss die Gefahr, dass sie im falschen Vertrauen auf die vermeintliche Duldung Online-Casinospiele veranstalten und dadurch unzuverlässig werden – denn aus der Sicht der Bundesländer ist dies nach geltendem Recht der Fall, wenn man entgegen dem 3. GlüStV Online-Glücksspiele veranstaltet, der Umlaufbeschluss kann daran nichts ändern. Den Betreibern droht dann aber der Verlust aller bereits erteilten Konzessionen und Erlaubnisse, da sie auch im terrestrischen Bereich als unzuverlässig eingestuft werden würden.

4. Die Profiteure des Umlaufbeschlusses

Die Profiteure des Umlaufbeschlusses sind diejenigen, die den GlüStV 2021 in ihrem eigenen Interesse erheblich mitgestalteten: staatliche Unternehmen (Lottolandesgesellschaften) sowie die Gauselmann Gruppe und die Novomatic Gruppe. Haben diese geplant, den Online-Glücksspielmarkt zu übernehmen und unter sich aufzuteilen, ist der Umlaufbeschluss für sie ein großer Schritt in diese Richtung. Angefangen hat es aber bereits damit, dass bereits in der Entstehungsphase des GlüStV 2021 Informationen darüber weitergegeben wurden, wie die zukünftigen technischen Regulierungen ausgestaltet sein werden. Darauf basierend konnten die technischen Richtlinien bereits deutlich früher umsetzen als durch die europäischen Anbieter, die erst deutlich später – nämlich bei Veröffentlichung des Entwurfs – über die technischen Regulierungen in Kenntnis gesetzt wurden. Der GlüStV 2021 hatte aber einen Haken: Nach Veröffentlichung des Entwurfes hätten alle Anbieter genügend Zeit – nämlich bis zum 1. Juli 2021 – gehabt, ihr Online-Angebot nach den neuen Regelungen zu gestalten und anzubieten. Der Vorsprung vor den europäischen Anbietern durch die frühzeitige Kenntnis der zukünftigen Regulierung wäre so dahin gewesen. Davor soll der Umlaufbeschluss bewahren: Er zog die Geltung des noch nicht einmal durch die Bundesländer ratifizierten GlüStV 2021 auf den 15. Oktober 2020 vor. Anstatt noch mindestens ein Jahr für die Umsetzung der technischen Richtlinien zu haben, blieben den europäischen Anbietern nur wenige Wochen und damit viel zu wenig Zeit, den Vorsprung auch nur annähernd aufzuholen. So sollen die europäischen Anbieter von zukünftigen Konzessionsvergaben in Deutschland dauerhaft ausgeschlossen werden. Denn aus Sicht der Bundesländer sind alle Anbieter, die nun noch Online-Glücksspiel in Deutschland anbieten, ohne die technischen Richtlinien einzuhalten, als unzuverlässig einzustufen. Der besonders lukrative Markt des Online-Casinospiels bleibt so für die staatlichen und privilegierten Unternehmen wie Gauselmann reserviert, der bereits im terrestrischen Bereich an zahlreichen Spielbanken beteiligt ist bzw. in Sachsen-Anhalt selbst betreibt.

Der GlüStV 2021 führt zu einer Fragmentierung des Glücksspielmarkts, die jetzt nicht mehr nur im GlüStV 2021 rechtlich angelegt ist, sondern durch den Umlaufbeschluss bereits faktisch umgesetzt wurde. Der Online-Glücksspielmarkt wird aufgeteilt in virtuelles Automatenspiel, Online-Poker und Online-Casinospiele. Das virtuelle Automatenspiel wird dabei durch Drosselungen der Geschwindigkeit, Zwangspausen, Begrenzungen der Einsatzhöhe und dem Verbot automatischen Spiels zur Unkenntlichkeit verstümmelt und darf nicht einmal mehr mit „Casino“ beworben werden. Abgesehen davon, dass so wohl kaum eine wirksame Kanalisierung gelingen wird, und dass die Regeln auch nicht dem Spielerschutz dienen, ist die Fragmentierung wettbewerbsrechtlich höchst problematisch: Durch die Verdrängung der jetzigen Marktteilnehmer auf einen „virtuellen Spielhallenmarkt“ können die privilegierten Anbieter – staatlichen Unternehmen und terrestrische Anbieter mit marktbeherrschender Stellung – den Online-Casinomarkt ohne weiteres übernehmen. Deshalb gibt es bereits Vorverträge zwischen den Landeslotteriegesellschaften und diesen in Deutschland marktbeherrschenden Unternehmen über den Betrieb von Online-Casinos.

Dass die staatlichen und privilegierten Unternehmen nicht nur bei in der Entstehungsphase des GlüStV 2021, sondern auch bei dem Umlaufbeschluss einen erheblichen Gestaltungsfreiraum hatte, liegt daran, dass einzelne marktbeherrschende Unternehmen aus dem terrestrischen Glücksspielsektor in Deutschland gleich zwei der wichtigsten Online-Glücksspiel-Verbände – nämlich den Deutschen Online Casinoverband (DOCV) und den Deutschen Sportwettenverband (DSWV) – kontrolliert, indem Mitglieder aus dem Management des Unternehmens in leitenden Funktionen der Vereine platziert wurden, von wo sie im direkten Kontakt mit Politikern stehen und direkten Einfluss auf die zukünftige Regulierung nehmen können. Beispielsweise hat der DOCV das Glücksspielkollegium kontaktiert und eine befürwortende Stellungnahme dahingehend abgegeben, die technischen Richtlinien und das Einzahlungslimit zu verschärfen. Das Glücksspielkollegium ist ein Koordinierungsgremium der Bundesländer, welches die Konzessionen vergibt. Weil die Konzessionsvergabeverfahren des Glücksspielkollegiums bereits mehrfach gerichtlich als verfassungswidrig und unionsrechtswidrig bewertet wurden, sieht der GlüStV 2021 vor, dass eine Anstalt öffentlichen Rechts (AöR) gegründet wird, welche die Einhaltung der künftigen technischen Richtlinien kontrollieren und die Konzessionsvergabe übernehmen solle.

5. Fazit

Es scheint so als hätte sich vor allen Dingen im englischsprachigen Teil der Online-Glücksspiel-Industrie der Glaube etabliert, Deutschland hätte durch den Umlaufbeschluss ein sogenanntes „temporäres Tolerierungsregime“ („temporary tolerance regime“) und dass der Umlaufbeschluss Gesetzeskraft erlangt hätte. Dem ist aber – wie oben dargelegt – nicht so. Die Sicherheit, die der Umlaufbeschluss den Anbietern suggeriert ist trügerisch. Denn der Umlaufbeschluss ist gerade keine Duldung, aus der sich Anbieter eine für sie günstige Rechtspositionen ableiten könnten. Es handelt sich lediglich um eine Handlungsanweisung an die Behörden, den Vollzug gegen (aus ihrer Sicht) illegales Glücksspiel zu koordinieren. An der Rechtslage an sich ändert sich dadurch nichts – insbesondere nicht an der unionsrechtlich zulässigen Veranstaltung von Online-Glücksspiel in Deutschland aus einem anderen Mitgliedstaat heraus. Der Umlaufbeschluss ist deshalb vor allen Dingen eines: ein (gewollter) Unruhestifter für die Branche.