Verwaltungsgerichtshof erklärt Strafbestimmungen für unionsrechtswidrig, legt beim EuGH vor und setzt Verfahren aus.

Ein Beitrag von Rechtsanwalt Dr. Fabian Maschke und Rechtsanwaltsanwärter Mag. Simon Wallner

Der VfGH hat in der Entscheidung vom 10.03.2015, G 203/2014 ua dargetan, dass sich die Strafsätze des § 52 GSpG an denen des § 28 Abs 1 AuslBG orientieren bzw. diesen nachgebildet sind.

Der EuGH hat in den verbundenen Rechtssachen zu C-64/18, C-140/18, C-146/18 und C-148/18 vom 12.09.2019, Rs Maksimovic, zu Recht erkannt, dass Art 56 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung wie der in den Ausgangsverfahren entgegensteht, die für den Fall der Nichteinhaltung arbeitsrechtlicher Verpflichtungen in Bezug auf die Einholung verwaltungsbehördlicher Genehmigungen und auf die Bereithaltung von Lohnunterlagen die Verhängung von Geldstrafen vorsieht,

  1. die einen im Vorhinein festgelegten Betrag nicht unterschreiten dürfen,
  2. die für jeden betreffenden Arbeitnehmer kumulativ und ohne Beschränkung verhängt werden,
  3. zu denen im Fall der Abweisung einer gegen den Strafbescheid erhobenen Beschwerde ein Verfahrenskostenbeitrag iHv 20% der verhängten Strafe hinzutritt und
  4. die im Fall der Uneinbringlichkeit in Ersatzfreiheitsstrafen umgewandelt werden.

Nachdem aufgrund der Ansicht des VfGH in der oben zitierten Entscheidung die Strafsätze des § 52 GSpG den Strafsätzen des § 28 Abs 1 AuslBG nachgebildet sind, kann daher eine Bestrafung aufgrund einer Übertretung des § 52 GSpG nicht erfolgen. 
Diesbezüglich ist auf den Beschluss des VwGH vom 27. April 2020, Zl: EU 2020/0002-1 (Ra 2020/17/0013) hinzuweisen. Hier legt der VwGH dem Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art 267 AEUV Fragen hinsichtlich der Vereinbarkeit des § 52 GSpG mit dem Unionsrecht unter Hinweis auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 12.09.2019 zu C-64/18, C-140/18, C-146/18 und C-148/18, Rs Maksimovic ua.,  zur Vorabentscheidung vor.

Zugleich erließ der VwGH am 27.04.2020 zur Zl: Ra 2020/17/0013-7 einen Beschluss gem. § 38a Abs. 1 VwGG. Die für die Wirksamkeit notwendige Veröffentlichung fand am 30.06.2020 statt. Diese Veröffentlichung hat unter anderem zur Folge, dass keine Handlungen/Entscheidungen/Anordnungen getroffen werden dürfen, die dem späteren Erkenntnis des VwGH zuwiderlaufen könnten. Beschlagnahmen gem. § 53 GSpG, Einziehungen nach § 54 GSpG oder Betriebsschließungen iSd § 56a GSpG dürfen daher nicht durchgeführt werden, da diese im Sinne einer Akzessorietät explizit auf (den Verdacht einer bzw.) eine Übertretung des § 52 GSpG abstellen und aufgrund der nunmehr vom VwGH an den EuGH gestellten Vorlagefragen davon ausgegangen werden muss, dass § 52 GSpG nicht in Einklang mit dem Unionsrecht steht. 

Hierzu genauer:

Vorfrage ist eine Rechtsfrage, deren Lösung unabdingbare (notwendige [VwGH 18. 12. 2003, 2001/08/0204]) Voraussetzung für die Lösung einer anderen Frage, nämlich der – jeweiligen (vgl VwGH 27. 2. 1996, 95/05/0041; Kralik, Vorfrage 49; Rz 37) – Hauptfrage ist. 

Nach stRsp des VwGH bildet die Frage, wie Gemeinschaftsrecht auszulegen ist (vgl VwGH 20. 2. 2003, 2001/16/0518; 26. 6. 2003, 98/18/0334), einschließlich der Frage, ob es unmittelbar anwendbar ist (VwGH 29. 1. 2003, 99/03/0151) und innerstaatliches Recht verdrängt (VwGH 4. 3. 1999, 98/16/0166; 31. 1. 2003, 2002/02/0158; 3. 7. 2003, 2000/15/0137), eine (solche) Vorfrage, weil sie zufolge dieses Auslegungsmonopols des EuGH in Angelegenheiten des primären und sekundären Gemeinschaftsrechts von einem Gericht zu entscheiden ist.

Der VwGH sieht demnach sowohl die (Verwaltungs-)Behörden (VwGH 19. 9. 2001, 2001/16/0439; 31. 1. 2003, 2002/02/0158; vgl auch VwGH 19. 12. 2000, 99/12/0286) als auch – in unzähligen Beschlüssen – sich selbst als berechtigt an, das Verfahren gem  § 38 letzter Satz AVG auszusetzen, wenn die betreffende (noch nicht entschiedene [VwGH 31. 1. 2003, 2002/02/0158; vgl auch § 38a Rz 7]) Frage insb auf Grund eines Vorabentscheidungsersuchens – etwa des VwGH selbst (vgl VwGH 3. 3. 2004, 2003/18/0167; 28. 9. 2004, 2004/18/0107) – in einem gleich gelagerten Fall bereits beim EuGH anhängig ist (vgl etwa auch VwGH 19. 12. 2000, 99/12/0286 mwN; zustimmend Schima, Vorabentscheidungsverfahren 96). Ferner genügt es, wenn eine von mehreren vorgelegten Fragen auch für die aussetzende Behörde präjudiziell ist (vgl VwGH 31. 1. 2003, 2002/02/0158).

Mit dieser Rsp gibt der VwGH zu erkennen (so schon Hengstschläger 2 Rz 299), dass er den Vorabentscheidungsurteilen des EuGH Bindungswirkung nicht nur für den vorgelegten, sondern auch für alle gleich gelagerten Fälle beimisst.

Der Sinn des § 38 AVG besteht in der Erzielung möglichst richtiger und einheitlicher Entscheidungen (VwGH 9. 11. 1994, 93/03/0202; 22. 5. 2001, 2001/05/0029) und damit in der Vermeidung von Wiederaufnahmen wegen nachträglicher abweichender Vorfragenentscheidung (VwGH 12. 3. 1999, 97/19/0066).

Gegenstand des Beschlusses des VwGH vom 26.04.2020,Ra 2020/17/0013 ist ua die Frage der Vereinbarkeit der Strafbestimmungen des GSpG im Lichte der EuGH Rs Maksimovic mit §49 GRC, der in Anwendung des Unionsrechts im Verfassungrang steht (Auf Grund der innerstaatlichen Rechtslage hat der Äquivalenzgrundsatz zur Folge, dass auch die von der Grundrechte-Charta garantierten Rechte vor dem Verfassungsgerichtshof als verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte gemäß Art144 bzw Art144a B-VG geltend gemacht werden können und sie im Anwendungsbereich der Grundrechte-Charta einen Prüfungsmaßstab in Verfahren der generellen Normenkontrolle, insbesondere nach Art139 und Art140 B-VG bilden (VfGH Erkenntnis 14.03.2012 U 466/11 ua)).

Die Behörde hat die Beantwortung einer präjudiziellen Frage durch das zuständige Gericht abzuwarten, soweit dies gesetzlich vorgesehen ist, zb in §62 Abs 3 VfGG (Wessely, Verwaltungsstrafverfahren in der Praxis (2011), 24.).

§62 Abs 3 VfGG sieht Folgendes vor: „Hat ein Gericht (Art. 140 Abs. 1 Z 1 lit. a B-VG) einen Antrag auf Aufhebung eines Gesetzes oder von bestimmten Stellen eines solchen gestellt, so dürfen in dem bei ihm anhängigen Verfahren bis zur Verkündung bzw. Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes nur solche Handlungen vorgenommen oder Anordnungen und Entscheidungen getroffen werden, die durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes nicht beeinflusst werden können oder die die Frage nicht abschließend regeln und keinen Aufschub gestatten.“

Da die Vereinbarkeit des §52 GSpG mit §49 GRC ua. Gegenstand des Beschlusses des VwGH ist, diese Bestimmung bei Anwendung des Unionsrechts im Verfassungrang steht, im vorl. Fall aufgrund des Vorabentscheidungsersuchens des VwGH nicht ausgeschlossen werden kann, dass Strafbestimmungen des GSpG gegen GRC und damit gegen verfassungsgesetzl. gewährl. Rechte verstoßen und ein Aufhebungsantrag gem. § 62 Abs 3 VfGG in weiterer Folge an VfGH nicht auszuschließen ist, hat die Behörde die Beantwortung der relevanten Fragen durch das zuständige Gericht abzuwarten.
Zudem ist bezüglich der möglichen Unionsrechtswidrigkeit der Werbung für Glücksspiel der Konzessionäre in Österreich ein weiteres Vorabentscheidungsverfahren zurzeit beim EuGH zur Zahl C-920/19 anhängig. Darin legt das Landesverwaltungsgericht Steiermark dem EuGH wiederum Fragen bezüglich der Werbepraktiken von Konzessionsinhabern vor und äußert Bedenken bezüglich der Gesamtkohärenz der Monopolregelung.

Aus all diesen Gründen ergibt sich, dass eine Vorgehensweise im hier gegenständlichen Fall nach § 53 GSpG (Beschlagnahme) bzw. nach § 54 GSpG (Einziehung) rechtlich nicht gedeckt ist. Im Falle einer Beschlagnahme ist es derartig klar gestaltet, weil Grundvoraussetzung für die Durchführung einer Beschlagnahme der Verdacht eines Verstoßes gegen 52 GSpG ist. Alleine diese Akzessorietät bewirkt die rechtliche Unzulässigkeit der Vornahme derartiger Handlungen durch die einschreitenden Behörden bis zur Aufhebung des oben angeführten Unterbrechungsbeschlusses.

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