Das Märchen vom Spielen ohne Risiko

Ein Artikel von Ansgar Lange

Das Thema Glücksspielregulierung und die Auslegung der Rechtslage sind in Deutschland extrem politisiert. Was das Ziel angeht, sind sich beide Lager einig. Spielerschutz, Betrugsprävention und Suchtbekämpfung sollen erreicht werden. Doch der Weg zum Ziel ist umstritten. Die eine Seite setzt auf eine qualitativ regulierte Öffnung des Online-Glücksspielmarktes, die andere Seite fordert eine strenge Verbotspolitik inklusive Online-Casino-Verbot.

Doch was inzwischen glasklar ist und auch durch mehrere positive Urteile bestätigt wurde, ist folgender Sachverhalt: Das Märchen vom Spielen ohne Risiko ist wie eine Seifenblase zerplatzt! Für diejenigen, die Glücksspiel sowieso für des Teufels halten, mag es eine beruhigende Vorstellung sein, dass man angeblich sündigen konnte, ohne Buße zu tun. Das heißt im konkreten Fall: Einige Juristen schürten oder schüren noch immer bei den Spielern die unrealistische Hoffnung, dass sie verlorene Glücksspieleinsätze einfach von den Banken zurückholen können. Entsprechende juristische Websites im Internet tragen marktschreierische Namen wie wirholendeingeld.de. Das ist Populismus pur! Ein Hamburger Zivilrichter vertritt sogar öffentlich die Ansicht, dass Spieler ungestraft das von ihnen eingesetzte Geld zurückfordern dürften, selbst wenn sie zuvor bewusst diesen Spieleinsatz geplant hätten.

Der Hamburger Richter Jan-Philipp Rock stellt sich öffentlich auf eine politische Seite und kritisiert ebenfalls öffentlich die Rechtslage (Vgl. „Richter Rock kritisiert deutsches Recht zu Online-Casinos“.

Ruft Richter Rock zum Rechtsbruch auf?

In seinem Aufsatz in der ZBB 2008 fordert er gar ein „Spiel ohne Reue“. Rechtsexperten sind der Ansicht, dieser Aufruf von Rock zum Spielen mit der Absicht, sich das Geld im Falle des Verlusts später wieder zurückzuholen, stelle sogar einen Aufruf zum Betrug dar. (Vgl. ZfWG 2018, 536)

Dass Richter Rock und andere „Märchenonkel“ falsch liegen, belegt ein Urteil des Landgerichts Wuppertal, das am 30.10.2019 verkündet wurde. Dass es ein Recht auf risikoloses Glücksspiel gibt, gehört also eher in die Märchensammlung der Brüder Grimm oder in die Märchenwelt von Tausendundeine Nacht. Im konkreten Fall ging es darum, dass der unterlegene Kläger gegen ein Kreditinstitut in Luxemburg geklagt hatte. Der Kläger hatte zu „einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt“ vom Baum der Erkenntnis genascht und war auf einmal der Ansicht, dass er „von der vermeintlichen Illegalität des Online-Glücksspiels erfahren haben will“. Nach diesem „Aha“-Erlebnis buchte er Lastschriften im Wert von 13.900,00 Euro einfach zurück auf sein Konto. Mit einem anwaltlichen Schreiben forderte er sogar die Beklagte auf, einen Beitrag in Höhe von 36.450,13 Uhr zu erstatten.

Der Kläger sei bei seinen Spieleinsätzen für Online-Glücksspiele irrig von der Legalität ausgegangen. Der Beklagten sei hingegen bewusst gewesen, dass es sich um verbotenes Glücksspiel gehandelt habe.

Das Landgericht Wuppertal wies die Klage verständlicherweise ab. Es legte fest, dass der Kläger keinen Anspruch auf Schadensersatz habe. Es führte in seiner Urteilsbegründung ferner aus, dass dem beklagten Kreditinstitut keine Pflichtverletzungen nachzuweisen seien. „Es ist letztlich nicht Aufgabe der Beklagten, den Kläger vor möglicherweise illegalen Zahlungsvorgängen zu schützen und ihn davon abzuhalten“, hielt das Gericht fest. Die Verantwortlichkeit für sein strafbares Verhalten trage der Kläger selbst. Dies ergebe sich aus den Nutzungsbedingungen der Beklagten, wo deutlich gemacht werde, dass sie die Dienstleistungen, die der Kläger mithilfe des von der Beklagten angebotenen Services bezahlt, nicht überprüft und keine Haftung übernimmt. Auf gut Deutsch: Das Märchen vom Spielen ohne Risiko – wie es in erster Linie vom Anwalt Lenne (wirholendeingeld.de) verbreitet wird – entbehrt jeder sachlichen Grundlage.

Es gibt kein Recht auf Dummheit

Es erscheint vor dem Hintergrund einschlägiger Urteile wie des Landgerichts München vom 22.08.2019 sowie des Landgerichts Wuppertal vom 30.10.2019 grob fahrlässig, dass Juristen Spielern, die eigenverantwortlich handeln, vorgaukeln, sie könnten etwa beim Online-Casinospiel eingesetzte Gelder einfach wieder zurückfordern. Doch das Prinzip „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“ war bisher noch kein Grundsatz unserer Rechtsprechung.

Dass der Kläger keinen Anspruch auf Schadenersatz hatte, begründeten die Wuppertaler Richter wie folgt: „Der vermeintliche Schaden wurde nicht etwa durch eine Handlung der Beklagten verursacht, sondern durch einen eigenen Willensentschluss des Klägers.“

Damit ist juristisch belegt, dass es im normalen Alltag wie vor Gericht meist nichts bringt, wenn ein „ertappter Sünder“ mit dem Finger auf andere zeigt. Zum mündigen Bürger und Verbraucher gehört, dass er sich, bevor er beispielsweise per PayPal für Online-Dienstleistungen zahlt, über die entsprechenden Angebote selbst und eigenverantwortlich kundig macht.

Nach einschlägigen Entscheidungen gegen Spieler und für Zahlungsdienstleister des Landgerichts München, des Oberlandesgerichts München, des Landgerichts Berlin, des Amtsgerichts Berlin-Mitte, des Landgerichts Düsseldorf sowie des Landgerichts Wuppertal sollte das Märchen vom risikolosen Spiel endlich ausgeträumt sein. Es gibt nämlich kein Recht auf Dummheit beziehungsweise „Auf sich dumm stellen“.

Ansgar Lange wurde 1971 in Arnsberg / Westfalen geboren und wuchs im Sauerland auf. Er studierte Politische Wissenschaft, Geschichte und Germanistik in Bonn mit dem Abschluss Magister Artium. Während seines Studiums war er freier Mitarbeiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Schloss Eichholz bei Wesseling. Lange ist als freier Journalist tätig und war mehrere Jahre in einer Bonner PR-Agentur tätig. Seit 2008 arbeitet er in der Politik, so seit 2009 als CDU-Fraktionsgeschäftsführer im nordrhein-westfälischen Remscheid.