Spielhallen in NRW: Kein Bußgeld wegen fehlender Betriebserlaubnis – Intransparentes Verfahren

Ein Beitrag von Rechtsanwalt Dr. Fabian Maschke

Kamen: Am 5.9.2019 wurde vor dem Amtsgericht über ein Bußgeld gegen einen Spielhallenbetreiber verhandelt. Von der „saftigen“ Geldbuße waren die GmbH und deren Geschäftsführer betroffen. Der Vorwurf der Behörde: Der Spielhallenbetrieb erfolge ohne die nach §§ 24 GlüStV iVm. 16 AG NRW zusätzlich zur bundesrechtlichen Betriebserlaubnis nach § 33i GewO verlangten zweiten Betriebserlaubnis.

Die Behörde hatte allerdings nicht nur die verfassungswidrige Mischlage durch die von ihr parallel angewendeten Erlaubnisvorbehalte aus den §§ 33i GewO und 24 GlüStV, sondern auch das höherrangige Unionsrecht ausgeblendet. Der Erteilung einer zweiten Betriebserlaubnis stünden Mindestabstände entgegen. Sie, also die Behörde, habe ihr „Auswahlermessen“ so ausgeübt, dass (Zitat) „die geringsten Auswirkungen für die restlichen Spielhallen nach sich gezogen werden.“

Die Betroffenen argumentierten hauptsächlich unionsrechtlich. Mindestabstände könnten schon angesichts der anreizenden und ermunternden Werbung für staatliches Glücksspiel nicht gerechtfertigt werden. NRW habe es zudem versäumt, unionsrechtlich belastbare Erlaubniskriterien im Voraus festzulegen und dem Publizitätsgebot entsprechend EU-weit bekanntzumachen. Auch sei das förmliche Vergaberecht, das seit 2016 Dienstleistungskonzessionen erfasst, verletzt. Die landesrechtliche Betriebserlaubnis sei als Dienstleistungskonzession definiert. Auch seien die auf Betriebserlaubnisse anwendbaren Vorgaben der Richtlinie über Dienstleistungen verletzt.

Die Amtsrichterin hörte sich die Ausführungen zum Unionsrecht geduldig an. Dann schloss sie kurz und messerscharf: Das Verfahren zur Vergabe landesrechtlicher Betriebserlaubnisse für den Betrieb von Spielhallen ist intransparent. Das Bußgeldverfahren wird eingestellt.

Fazit: Die Kommunen tun gut daran, die Konzessionsverfahren nach §§ 24 GlüStV bzw. 16 AG NRW weiterhin nicht anzufassen und aus dem Fehlen einer landesrechtlichen Betriebserlaubnis keine Nachteile herzuleiten. Die Intransparenz in Kamen ist kein Einzelfall, sondern landesweit (bzw. bundesweit) zu beobachten. Die wenigen im GlüÄndStV und dem Ausführungsgesetz vorhandenen Konzessionskriterien sind derart intransparent, dass nicht einmal die Behörden die staatsvertraglichen und/oder landesrechtlichen Anforderungen an eine landesrechtliche Betriebserlaubnis in der gleichen Weise auslegen und anwenden. Bundesweit macht praktisch jede Konzessionsstelle und Erlaubnisbehörde, was sie will. Die Kommunen in NRW oder in Bayern wissen nicht einmal, dass ihre ständige Praxis, zwei Betriebserlaubnisse parallel zu verlangen, zu einer verfassungswidrigen Mischlage führt. Dennoch machen viele Behörden alles richtig, nämlich gar nichts. Diejenigen Behörden jedoch, die einen zweiten Betriebserlaubnisvorbehalt durchdrücken wollen, können auch nur weiterhin alles falsch machen.

Auch die Verwaltungsgerichte sollten sich auf ihre Aufgabe gemäß Art. 47 der Charta besinnen. Die Verwaltungsrichter sollten ihren Reflex bändigen, stets die irreparablen Fehlleistungen der Verwaltung reparieren zu wollen. Dies gilt namentlich mit Blick auf den Beschluss des Vierten Senats beim OVG Münster in der Sache 4 B 659/18. Die eigensinnige Interpretation des Unionsrechts in diesem Beschluss ist unhaltbar – einmal mehr.

Unvertretbar ist z.B. die These des OVG in Rn. 51, demnach ein Verteilmechanismus, der die staatlich verknappten Standortkapazitäten bestmöglich vergibt, nicht im Voraus festgelegt und bekannt gegeben werden müsste. Da ein gesichertes grenzüberschreitendes Interesse an einer Konzession oder Erlaubnis besteht, müssen selbstverständlich alle Kriterien im Voraus festgelegt und bekannt gemacht sein. Kritirien müssen nicht nur unionsrechtlich belastbar gerechtfertigt werden, weil mit ihnen eine Beschränkung der Grundfreiheiten einhergeht, sondern dürfen nach Beginn des Konzessions- oder Erlaubnisverfahrens nicht geändert werden. Ein konturloses „Auswahlermessen“ wie es die Behörde in Kamen für sich reklamierte, hat in einem EU-Mitgliedstaat nichts verloren.

Die Argumentation des OVG NRW, das Transparenzgebot sei eingehalten, weil „in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (?) geklärt ist, dass die Behörden sich erst nach der bereits durch den Staatsvertrag erfolgten Einführung eines Genehmigungserfordernisses für Spielhallen und nach Ablauf der Übergangsfrist eines verfassungsgemäßen Verteilmechanismus zu bedienen haben“, ist abwegig. Das BVerfG hat zur Aufgabe, die Grundrechte der Beschwerdeführer zu schützen, nicht aber, das Unionsrecht zu interpretieren (vgl. nur BVerfG 1 BvR 1054/01, Rn. 77). Das BVerfG darf daher EU-Recht nicht auslegen. Und das OVG sollte sich auch daran erinnern, dass sich das Bundesverfassungsgericht im Beschluss vom 7.3.2017 zur Rechtslage und zu den unterschiedlich ausgeprägten Verfahren der Kommunen in NRW nicht geäußert hat!

Unverdaulich ist weiters die „Argumentation“ des OVG zum Publizitätsgebot. Die dortige Antragstellerin machte geltend, dass der Beginn des Erlaubnis- oder Konzessionsverfahrens mit der Vergabe von exklusiven Rechten nicht mit der erforderlichen Publizität bekannt gemacht wurde (siehe Rn. 53). Diesen Einwand sieht das OVG Münster „anhand der Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts“ als „nicht nachvollziehbar“ an. Wie bitte? Das Bundesverfassungsgericht hat sich zum unionsrechtlichen Publizitätsgebot nicht geäußert und sich mit den Fakten in NRW nicht befasst.

Ebenso unvertretbar ist die These des OVG, das Transparenzgebot gebiete nicht, dass die Präzisierung der Modalitäten, nach denen Konzessionsanträge zu bewerten sind, vorab zu bestimmen und zumindest potenziellen Interessenten mitzuteilen sind (OVG NRW, Beschl. v. 16.8.2019, Rn. 49). Um diese These zur Auslegung des Transparenzgebotes zu bekräftigen, verweist das OVG auf eine das förmliche Vergaberecht betreffende EuGH-Entscheidung C-226/09. Darin jedoch steht das genaue Gegenteil. Der EuGH stellt klar, dass alle Kriterien einer Konzessionsvergabe im Voraus präzise festgelegt sein müssen. Zitat: „Die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Transparenz der Vergabeverfahren bedeuten für die öffentlichen Auftraggeber, dass sie sich während des gesamten Verfahrens an dieselbe Auslegung der Zuschlagskriterien halten müssen. Für die Zuschlagskriterien selbst gilt erst recht, dass sie während des Vergabeverfahrens nicht geändert werden dürfen.“

Sollte das OVG Münster nunmehr meinen, die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Transparenz hätten außerhalb des förmlichen Vergaberechts eine diametral andere Bedeutung, ist dies grotesk abwegig. Die unionsrechtlichen Grundsätze der Gleichbehandlung und der Transparenz haben unabhängig von der Einstufung als Dienstleistungskonzession oder Genehmigung immer dieselbe Bedeutung. Dies ist das Wesen unionsrechtlicher Grundsätze, zumal Dienstleistungskonzessionen nicht zwingend unter das förmliche Vergaberecht fallen, sondern nur dann, wenn die Schwellenwerte erreicht sind.

Weiteres Fazit: Während richterliche Unabhängigkeit bei Amtsgerichten noch zu finden ist, fällt der Vierte Senat beim OVG in alte Zeiten zurück und suspendiert faktisch – wie schon 2006/07 – den Anwendungsvorrang des Unionsrechts (vgl. EuGH, Winner Wetten).