Neue BGH Entscheidung zum Wettrecht: Rechtsgeschichte oder Kehrtwende?

Rechtsanwalt Dr. Wulf Hambach

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München 14.02.2008: Der unter anderem für Wettbewerbsrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute in vier Fällen die Klagen von staatlichen Glücksspielanbietern (u.a. Westlotto) gegen private DDR– und EU-lizenzierte Sportwettenbetreiber (u.a. bwin) abgewiesen. In seiner Pressemitteilung titelt der BGH: „Anbieten und Veranstalten von Sportwetten in Altfällen nicht wettbewerbswidrig“. Erste Presseberichte sprechen davon, dass „Die Klagewelle gegen Anbieter von Sportwetten vom Bundesgerichtshof (BGH) am Donnerstag abgeschmettert worden ist.“

Was steckt hinter dieser Entscheidung und vor allem ist sie nur als ein Stück deutscher Rechtsgeschichte zu betrachten („nur für Altfälle vor dem 28.3.2006“) oder lässt die BGH-Entscheidung schon Schlüsse für das Jetzt und die Zukunft der Rechtmäßigkeit des Wettmonopols zu?

Hintergrund:

Die beklagten Wettbetreiber hatten im Zeitraum zwischen Januar 2003 bis Dezember 2005 die Beteiligung an Sportwetten mit festen Gewinnquoten angeboten, für die ihnen in Deutschland eine behördliche Erlaubnis nicht erteilt worden war. Die Vorinstanzen – u.a. das Oberlandesgericht Hamburg, Urteil vom 12.08.2004 – 5 U 131/03 – hatten darin einen Verstoß gegen die Strafvorschrift des § 284 des Strafgesetzbuches (StGB) gesehen, nach der das Veranstalten und Vermitteln von Glücksspielen ohne behördliche Erlaubnis strafbar ist. Wegen des in der Zuwiderhandlung gegen § 284 StGB liegenden Wettbewerbsverstoßes waren die Beklagten in den jetzt aufgehobenen vier Entscheidungen unter anderem dazu verurteilt worden, es zu unterlassen, Sportwetten in Deutschland anzubieten.

In seiner 2004-Entscheidung hatte die Vorinstanz, das OLG Hamburg, auf die sog. „Schöner-Wetten“-Entscheidung des BGH Bezug genommen und im Leitsatz ausgeführt:

„Anknüpfungspunkt für die Beurteilung der Wettbewerbswidrigkeit ist allein das Fehlen einer inländischen Erlaubnis. Die Frage, ob die hierfür heranzuziehenden landesrechtlichen Rechtsvorschriften europarechtlich unbedenklich sind und/oder die tatsächliche Genehmigungspraxis diskriminierungsfrei gehandhabt wird, ist jedenfalls wettbewerbsrechtlich nicht von entscheidender Bedeutung (Leitsätze des Gerichts).“

In der Begründung hatte das OLG Hamburg ausgeführt:

„Denn selbst wenn die Beklagte im Besitz einer zureichenden ausländischen Genehmigung sein sollte, so wäre dies jedenfalls nicht ausrechend, um die Rechtsfolgen des § 284 Abs. 1 StGB zu vermeiden. Diesen Grundsatz hat der BGH erst kürzlich erneut ausdrücklich betont und ausgeführt, dass die (…) für die Betätigung im Inland notwendige Erlaubnis einer inländischen Behörde nicht mit Rücksicht darauf entbehrlich ist, dass dem Veranstalter in seinem Heimatland eine solche Erlaubnis zur Veranstaltung von Glücksspielen erteilt worden ist (BGH NJW 2004, 2158, 2160 = K&R 2004, 388, 390 – Schöner wetten).“

Zwar hatte der Bundesgerichtshof in seinen aktuellen Entscheidungen vom 14. Februar 2008, denen Fälle zwischen 2003 und 2005 zugrunde lagen, nach der am 12.08.2004 geltenden Rechtslage zu beurteilen, da an diesem Tag z. B. das angefochtene Urteil des OLG Hamburg (Az.: 5 U 131/03) ergangen ist und nur dessen Entscheidung überprüft wurde. Der aktuell geltende Glücksspielstaatsvertrag trat jedoch erst zum 01.01.2008 in Kraft, so dass für den BGH unerheblich war, ob das Wettmonopol in seiner momentanen Ausgestaltung gegen Europarecht oder Verfassungsrecht verstößt.

Aber:

Nunmehr führt der BGH in seiner aktuellen Pressemitteilung vom 14.2.2008 aus:

„(…) die Vorinstanzen (hatten) einen Verstoß des strafbewehrten Verbots unerlaubten Glücksspiels gegen europäisches Gemeinschaftsrecht und deutsches Verfassungsrecht verneint. (…) Der Bundesgerichtshof hat sich dieser Beurteilung nicht angeschlossen. Aus der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2006 (1 BvR 1054/01) ergebe sich, dass das staatliche Wettmonopol in Deutschland in seiner gesetzlichen und tatsächlichen Ausgestaltung in dem hier maßgeblichen Zeitraum vor dem 28. März 2006 einen unverhältnismäßigen und deshalb mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbaren Eingriff in die Berufsfreiheit der an entsprechender beruflicher Tätigkeit interessierten Personen dargestellt habe. Zugleich habe darin eine nicht gerechtfertigte Beschränkung der nach Art. 43 und 49 EG garantierten Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs gelegen. Wegen der Verfassungs- und Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des staatlichen Wettmonopols in dem Zeitraum vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2006 könne § 284 StGB auf das Angebot von Sportwetten in den hier zu entscheidenden Fällen, in denen in den Jahren 2003 bis 2005 begangene Tathandlungen zu beurteilen seien (sog. Altfälle), nicht angewendet werden.“

Während der BGH also 2004 in der „Schöner Wetten“-Entscheidung noch ausdrücklich eine deutsche Wettgenehmigung gefordert hat, um eine Anwendbarkeit des § 284 StGB auszuschließen, wendet er sich nun von diesem Grundsatz ab und dem Gemeinschaftsrecht hin.

Falls also auch der neue Glücksspielstaatsvertrag gegen Gemeinschaftsrecht verstößt, würde EU-Lizenz ausreichen, um die Anwendbarkeit des § 284 StGB und damit die Wettbewerbswidrigkeit auszuschließen. Und für die EU-Gemeinschaftsrechtswidrigkeit spricht vieles:

In dem das Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesregierung einleitenden Aufforderungsschreiben der Europäischen Kommission an die Bundesregierung wird unter anderem ein Verstoß der §§ 284, 285 und 287 gegen die in Art. 49 EG geregelte Dienstleistungsfreiheit festgestellt.

Darüber hinaus wird der Verstoß des deutschen Glücksspielmonopols gegen Art. 43, 49 EG vom Europäischen Gerichtshof überprüft, nachdem das VG Schleswig in einem von der Kanzlei Hambach & Hambach erstrittenen Beschluss diese Frage dem EuGH vorgelegt hat.

Die neue BGH-Entscheidung hat weitreichende Bedeutung über das Wettbewerbsrecht und über die sogenannten Altfälle hinaus: Das höchste deutsche Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit hat die Schlüsselvorschrift des gesamten Glücksspielrechts eindeutig unter den Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts gestellt. Dies ist auch für die Rechtslage nach neuen Staatsvertrag von entscheidender Bedeutung, wie auch die Europäische Kommission in ihrem letzten Schreiben festgestellt hat.