Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 22.11.2007: Keine Überraschung, sondern konsequente Fortsetzung höchstrichterlicher Rechtsprechung!

Rechtsanwalt Dr. Manfred Hecker
Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht
CBH - Rechtsanwälte
Bismarckstr. 11-13
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Sehr verkürzt titelt der VDSD e.V. in ISA-Casinos vom 05.12.2007 (http://www.isa-casinos.de/articles/18780.html) „Untersagung der Vermittlung von Sportwetten aus Bayern an die Sportwetten Gera GmbH ist verfassungswidrig“. Das ist ebenso irreführend wie unzutreffend. Das BVerfG konnte in seinem Beschluss vom 22.11.2007 lediglich einen Sachverhalt beurteilen, der nach der Entscheidung des BVerwG vor dem 28.03.2006 abgeschlossen war. Die Bestimmung des für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunktes der Sach- und Rechtslage durch das BVerwG, nämlich der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, sieht das BVerfG allerdings offensichtlich kritisch. Weder für Vermittlungshandlungen nach dem 28.03.2006, noch für solche, die als Dauerhandlung zuvor begonnen und über diesen Zeitpunkt hinweg begangen wurden, hat das BVerfG den herbeigesehnten Freibrief erteilt.

Was sind die Kernsätze der Entscheidung?

1. Zunächst verweist das Bundesverfassungsgericht auf seine Entscheidung vom 28.03.2006, in der es festgestellt hat, dass das in Bayern bestehende staatliche Sportwettenmonopol in seiner damaligen Ausgestaltung mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit nicht vereinbar ist. Das Gericht hat den Gesetzgeber verpflichtet, die Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten unter Berücksichtigung der Grundsätze des Bundesverfassungsgerichts und spätestens bis zum 31.12.2007 neu zu regeln. Für die Zeit bis zur Neuregelung hat das Bundesverfassungsgericht einen Maßgabekatalog formuliert, bei dessen Einhaltung die als verfassungswidrig qualifizierte Rechtslage weiterhin angewendet werden darf.

Unter Bezug auf diese Entscheidung betont das Bundesverfassungsgericht nochmals, dass der Ausschluss gewerblicher Wettveranstaltungen durch private Wettunternehmer in der gesetzlichen und tatsächlichen Ausgestaltung vor dem 28.03.2006 einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Berufsfreiheit darstellt. Konsequenterweise hätte nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts daher das Bundesverwaltungsgericht „die gegenüber der Beschwerdeführerin ergangene Untersagungsverfügung nach der als maßgeblich zugrunde gelegten Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung [Anm.: diese lag vor dem 28.03.2006] als mit Artikel 12 Abs. 1 GG unvereinbar beurteilen müssen.“ Diese Rechtslage stelle eine Beschränkung der Berufsfreiheit dar, die mit Art. 12 Abs. 1 GG nicht vereinbar sei. Eine hierauf gestützte ordnungsrechtliche Verfügung könne „jedenfalls in der Zeit bis zum 28. März 2006 nicht als rechtmäßig“ angesehen werden.

Besonders bedeutungsvoll erscheint es, dass das Bundesverfassungsgericht sodann ausdrücklich nochmals seine Feststellungen aus dem Beschluss vom 28.03.2006 betont und hervorhebt, dass „der Ausschluss der Vermittlung anderer als der vom Freistaat Bayern veranstalteter Wetten in Bayern … während der Übergangszeit bis zur Neuregelung des Bereichs der Sportwetten verfassungsrechtlich hinnehmbar“ ist, wenn die in dem Urteil vom 28.03.2006 näher bezeichneten Maßgaben umgesetzt sind. Hieraus ergebe sich aber nicht, dass in der Zeit vor dem 28.03.2006 die Vermittlung von Sportwetten auf ordnungsrechtlicher Grundlage hätte unterbunden werden können.

Zusammenfassend hat das Bundesverfassungsgericht somit festgestellt, dass ordnungsrechtliche Verbotsverfügungen, die sich auf solche Sachverhalte beziehen, welche vor dem 28.03.2006 abgeschlossen sind, verfassungsrechtlich defizitär sind. Aus solchen Verfügungen können keinerlei Rechte  also weder Verbote noch Kostenentscheidungen  hergeleitet werden.

2. Bedeutsamer als diese bereits durch frühere Entscheidungen zu erwartende Konsequenz erscheint der Hinweis des Bundesverfassungsgerichts auf die Ermittlung des Zeitpunktes, der für die Entscheidung zugrunde zu legenden Sach- und Rechtslage.

Nach der im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts geäußerten Ansicht, die für das Bundesverfassungsgericht als fachgerichtliche Auslegung bindend war, soll für die entscheidungserhebliche Sach- und Rechtslage der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung ausschlaggebend sein. Damit folgt das Bundesverwaltungsgericht der Definition des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes. Anders definiert z.B. der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg diesen maßgeblichen Zeitpunkt, indem er auf die letzte mündliche Verhandlung abstellt.

Das Bundesverfassungsgericht scheint hier eher der Ansicht des von ihm zitierten Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg zuzuneigen, denn ohne Not betont die Spruchkammer am Ende des Beschlusses, dass vor dem 28.03.2006 ergangene Untersagungsverfügungen anders zu beurteilen sein könnten, „wenn es nach dem jeweils maßgeblichen einfachen Recht für die Rechtsmäßigkeit einer Untersagungsverfügung auf einen späteren Zeitpunkt, insbesondere den der letzten mündlichen Verhandlung […] ankommt, wofür immerhin die Dauerwirkung dieser Maßnahme für den betroffenen Unternehmer spricht, oder in denen eine nach der Erfüllung der Maßgaben des Bundesverfassungsgerichts ergangene ergänzende Verfügung eine frühere Untersagungsverfügung bestätigt und insoweit an dieser festgehalten werden kann.“

Dieser Hinweis dürfte ein kaum misszuverstehender Fingerzeig an das Bundesverwaltungsgericht sein, seine diesbezügliche Rechtsprechung im Sinne der Entscheidungspraxis des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg zu überdenken. Dort heißt es anlässlich eines vergleichbaren Falles im Beschluss vom 28.03.2007 (6 S 1972/06): „Maßgeblich für die verwaltungsgerichtliche Beurteilung ist insoweit – wie regelmäßig bei Dauerverwaltungsakten – der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung.“

Sollte das Bundesverwaltungsgericht diesem Hinweis folgen und nun nicht mehr auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, sondern auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung, abstellen, so dürfte es im vorliegenden Fall angesichts der nach dem 28.03.2007 liegenden letzten mündlichen Verhandlung  mit geringfügigen Änderungen in der Begründung  erneut zu demselben Ergebnis kommen. Denn dass die Maßgaben des Bundesverfassungsgerichts aus dem Urteil vom 28.03.2006 in Bayern erfüllt sind, hat das Bundesverfassungsgericht selbst bereits in seiner Entscheidung vom 31.03.2006 (1 BVR 1840/05) festgestellt.

Kein Zweifel dürfte allerdings daran bestehen, dass auch dieses Urteil des Bundesverwaltungsgerichts auf den Prüfstand des Bundesverfassungsgerichts gestellt werden wird.

3. Entgegen anderweitiger Interpretationen hat das Bundesverfassungsgericht weder ausdrücklich noch versteckt irgendwelche Aussagen zu der Frage der Wirksamkeit von DDR-Genehmigungen nach DDR-GewG gemacht. Im Gegenteil: Das BVerfG läßt es ausdrücklich dahinstehen, „ob und inwieweit das Grundrecht der Berufsfreiheit durch die angegriffene Entscheidung auch insoweit verletzt wird, als das Bundesverwaltungsgericht der Sportwettenerlaubnis, die der Sportwetten GmbH Gera im Jahre 1990 aufgrund des DDR-Gewerbegesetzes erteilt wurde, im Hinblick auf die Tätigkeit der Beschwerdeführerin keine straf- und verwaltungsrechtliche Legalisierungswirkung beigemessen hat“.