Landgericht München I – Vermittlung von Sportwetten auch in der Übergangszeit bis zum 31.12.2007 nicht nach § 284 StGB strafbar

Rechtsanwalt Guido Bongers

Rechtsanwaltskanzlei Bongers
Landgrafenstraße 49
D - 50931 Köln
Das Landgericht München I hat mit Entscheidung vom 29.10.2007 – 5 Kls 307 Js 21714/05 – die Anklage der Staatsanwaltschaft München gegen einen Betreiber einer Annahmestelle für Sportwetten, der an ein lizensiertes Unternehmen in Malta Sportwetten vermittelt hat, aus rechtlichen Gründen nicht zur Hauptverhandlung zugelassen.

Dabei betont das Landgericht, dass eine Strafbarkeit nach § 284 StGB auch in Fällen, welche sich nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28.03.2006 ereigneten, nicht gegeben sei, da die gemeinschafts- verfassungsrechtlichen Voraussetzungen einer grundsätzlich möglichen Beschränkung der Dienstleistungs- und Berufsfreiheit auf der Grundlage der derzeit im Freistaat Bayern bestehenden Rechtslage nicht erfüllt seien.

Das Bundesverfassungsgericht habe in seiner Entscheidung festgestellt, dass das Bayerische Staatslotteriegesetz vom 29.04.1999 mit Artikel 12 Abs. 1 Grundgesetz unvereinbar sei, wobei insbesondere beanstandet wurde, dass eine hinreichende gesetzliche Regelung zur materiellen und strukturellen Sicherung der Erreichung der mit dem Verbot verfolgten Ziele nicht bestünden. Die rechtliche Ausgestaltung des Wettmonopols gewährleiste gerade nicht hinreichend, dass das staatliche Wettangebot konsequent in den Dienst einer aktiven Suchtbekämpfung und der Begrenzung der Wettleidenschaft gestellt sei.

Das Landgericht verdeutlicht weiter, dass auch das Angebot von sog. Power-Races, also Wetten auf aufgezeichnete Hunde-, Pferde- und Kamelrennen, bei denen das Zufallsprinzip noch deutlicher überwiege, vergleichbar mit den Sportwetten seien und sich insoweit auch kein Unterschied zur rechtlichen Einordnung bei der Strafbarkeit ergebe. Auch das Angebot solcher Wetten in Form der sog. Power-Races hält das Landgericht München für nicht strafbar.

Insgesamt enthalte das Bayerische Staatslotteriegesetz derzeit keine entsprechenden materiell rechtlichen Regelungen und strukturellen Sicherungen, die eine Rechtfertigung für ein Wettmonopol geben würden. Dieses Regelungsdefizit werde weder durch § 284 StGB, noch durch den Lotteriestaatsvertrag, in Kraft getreten am 01.07.2004 beseitigt.

Selbst wenn sich die tatsächliche Ausrichtung des Wettangebots durch die Lotteriegesellschaften verändert habe, reiche dies ebenfalls nicht aus, um die Strafbarkeit gemäß § 284 StGB zu bejahen, da das normative Regelungsdefizit eben nicht behoben sei.

Die Kammer des Landgerichts München hebt darüber hinaus hervor, dass zudem auch ein Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Gebot der Bestimmtheit von Straftatbeständen (Artikel 103 Abs. 2 Grundgesetz) vorliege, wenn die Durchführung der behaupteten Maßnahmen ausreichend wäre, um eine sich aus § 284 StGB ergebende Strafbarkeit zu begründen. Der gesetzliche Tatbestand sei nur dann ausreichend bestimmt, wenn die Voraussetzungen der Strafbarkeit so klar umschrieben seien, dass der Einzelne die Möglichkeit habe, sein Verhalten auf die Rechtslage einzurichten und wenn sich die Tragweite und Anwendungsbereich des Straftatbestandes erkennen lassen. Dies sei dann nicht der Fall, wenn der einzelne Wettanbieter bzw. Vermittler zunächst Überprüfungen anzustellen habe, welche tatsächlichen Maßnahmen durch die staatlichen Lotterieverwaltung erfolgt sind und ob diese Maßnahmen überhaupt ausreichend seien. Dies würde im Übrigen bedeuten, so dass Landgericht weiter, dass in Zukunft in Strafverfahren über die Art und Weise der Oddset-Werbung der Staatslotterieverwaltung, die Gewinnquoten, die Vertriebswege, deren Wirkung auf Spieler etc. Beweis erhoben werden müsste, wobei wiederum der jeweils Beschuldigte nachweisen müsste, dass er von diesen Maßnahmen wusste und sie zutreffend einordnete. Darüber verhalte sich die Anklageschrift aber gerade nicht. Zudem lasse sich diese Einordnung für einen Laien auch gar nicht abschließend treffen.

Das Landgericht München stellt weiter fest, dass das bayerische Staatslotteriegesetz darüber hinaus auch mit dem europäischen Gemeinschaftsrecht nicht vereinbar sei, was schon durch das OLG München im Urteil vom 26.09.2006 festgestellt worden ist. Dies führe ebenfalls zur Nichtanwendung des § 284 StGB. Dabei verweist das Landgericht München explizit auf die Gambelli-Entscheidung des EuGH, sowie auf die Placanica-Entscheidung des EuGH, wobei sich insbesondere aus der Placanica-Entscheidung auch ergäbe, dass das Strafrecht nicht die durch das Gemeinschaftsrecht garantierten Grundfreiheiten beschränken dürfe.

Letztlich sei die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit der hier betroffenen Wettveranstalterin, der Firma Cashpoint (Malta) Ltd., in unzulässiger Weise verletzt. Daher verfüge die Firma Cashpoint (Malta) Ltd. insoweit auch über eine notwendige, behördliche Erlaubnis im Sinne des § 284 StGB. Folglich liege auch kein strafbewehrtes Verhalten beim Wettvermittler vor.

Das Landgericht München weist abschließend darauf hin, dass sich die Kammer des Landgerichts insbesondere auch durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 16.08.2007 – 4 StR 62/07 – in vollem Umfange bestätigt sieht. Dabei betont das Landgericht, dass die Ausführungen des Bundesgerichtshofes auch auf die Übergangszeit, also auf sogenannte „Neu-Fälle“ zu übertragen seien. Dies vor allem deshalb, weil sich die rechtlichen Grundlagen des bayerischen Staatsmonopols gerade nicht geändert haben. Etwas anderes ergäbe sich auch nicht aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 19.10.2006, zumal das Bundesverfassungsgericht dort gerade nicht über die Anwendbarkeit von § 284 StGB entschieden habe.

Schließlich verweist das Gericht darauf, dass auch aus der Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes vom 10.07.2006 nichts Gegenteiliges zu entnehmen sei. Zwar setze sich der Verwaltungsgerichtshof ausführlich mit den faktischen Maßnahmen des Freistaates Bayern und der Staatslotterieverwaltung hinsichtlich der Umsetzung der Maßgaben des Bundesverfassungsgerichts auseinander. Diese faktischen Maßnahmen mögen – so das Landgericht – zwar möglicherweise zur Bestätigung von verwaltungsrechtlichen Verboten geeignet seien, jedenfalls aber keine Grundlage für die Anwendbarkeit der Strafnorm des § 284 StGB bilden können.

Abschließend ist als persönliche Anmerkung des Unterzeichners festzuhalten, dass nach den Entscheidungen zahlreicher Verwaltungsgerichte, die auf das gesetzliche Regelungsdefizit auch in der Übergangszeit verwiesen haben, nunmehr nach und nach auch Zivil- und Strafgerichte diesen Rechtsgedanken zutreffend beachten. Unabhängig von der Frage, ob die Maßgaben des Bundesverfassungsgerichts überhaupt umgesetzt sind, liegt nämlich auch in der Übergangszeit unbestreitbar ein gesetzliches Regelungsdefizit vor. Das Staatslotteriegesetz in Bayern bleibt trotz der Übergangsregelung ebenso gemeinschaftswidrig, wie die Sportwettgesetze anderer Bundesländer. Daraus folgt aus Sicht des Unterzeichners nicht nur die Nichtanwendbarkeit der Strafnorm des § 284 StGB, sondern vor allem auch die Unanwendbarkeit verwaltungsrechtlicher Normen. Das Landgericht München schließt sich damit im Übrigen auch der Rechtsauffassung des Landgerichts Berlin an, das in einem Zivilverfahren vor wenigen Wochen mit vergleichbarer Argumentation zu Gunsten eines Wettanbieters entschieden hat. Diverse andere Landgerichte gelangen ebenfalls zur Unanwendbarkeit der Strafnorm auch in der Übergangszeit unter Berücksichtigung der hier ausgeführten Gesichtspunkte (vgl. nur OLG Hamburg, LG Regensburg, LG Aschaffenburg, LG Krefeld u. v. a.).