Entscheidung LG Gießen hält Sportwettenvermittlung an einen innerhalb der EU staatlich konzessionierten Buchmacher während der Übergangszeit für straffrei

Auch Landgericht Gießen hält Sportwettenvermittlung an einen innerhalb der EU staatlich konzessionierten Buchmacher während der Übergangszeit für straffrei.

Das Landgericht Gießen hat mit Beschluss vom 12.10.2007 einen Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Gießen vom 29.01.2007 aufgehoben. Darin hatte das Amtsgericht Gießen eine Hausdurchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume eines Sportwettenvermittlers der Firme Tipico angeordnet. Auf die Beschwerde des Unterzeichners hat nunmehr das Landgericht Gießen diesen Beschluss aufgehoben. Weiterhin hat das Landgericht festgestellt, dass die Anordnung der Durchsuchung der Geschäftsräume des Beschuldigten rechtswidrig gewesen ist. Der Staatsanwaltschaft Frankfurt wurde aufgegeben dem Beschuldigten die sicher gestellten Gegenstände herauszugeben.

Dieter Pawlik, RechtsanwaltDas Landgericht Gießen reiht sich nunmehr in die lange Liste der Strafgerichte ein, die allesamt von der Straffreiheit der gewerblichen Tätigkeit der Sportwettenvermittlung an einen innerhalb der EU staatlich konzessionierten Buchmacher ausgehen. Das Landgericht Gießen geht davon aus, dass auf Grundlage der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28.03.2006 davon auszugehen ist, dass auch der § 1 I, V des Gesetzes über staatliche Sportwetten, Zahlenlotterien und Zusatzlotterien in Hessen vom 03.11.1998 verfassungswidrig ist. Es geht weiterhin davon aus, dass gegenwärtige staatliche Wettmonopol in Hessen gegen europäisches Recht verstößt.

Die Kammer schließt sich dem Beschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichtes vom 05.07.2007 an und führt hierzu aus:

Die von dem Bundesverfassungsgericht angeordnete Fortgeltung des Staatslotteriegesetzes gilt jedoch ausdrücklich nur für das Ordnungsrecht. Im Hinblick auf den rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers ist für eine Übergangszeit eine an sich verfassungswidrige Rechtslage hinzunehmen. Dies führt aber nicht dazu, dass diese während der Übergangszeit als verfassungsgemäß anzusehen wäre, sie bleibt vielmehr in ihrer gegenwärtigen gesetzlichen Form verfassungswidrig. Ein Verstoß gegen eine verfassungswidrige, aber übergangsweise hinzunehmende Freiheitsbeschränkung kann nicht als kriminelles Unrecht geahndet werden. Eine solche Fortgeltensanordnung stellt für das Strafrecht keine tragfähige Grundlage dar.

Die Rechtsfertigung für die Fortgeltensanordnung liegt darin, den Übergang von der verfassungswidrigen zur verfassungsgemäßen Gesetzeslage zu sichern. Vor diesem Hintergrund ist es sachgerecht, während der Übergangszeit die Veranstaltung und Vermittlung von privaten Sportwetten ordnungsrechtlich und wettbewerbsrechtlich zu untersagen. Dieses legitime gesellschaftspolitische Ziel kann eine strafrechtliche Sanktion hingegen nicht rechtfertigen. Für den grundrechtsintensiven Bereich des Strafrechts bleibt im Vordergrund, dass die derzeitige (verwaltungsrechtliche) Gesetzeslage vom Bundesverfassungsgericht für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden ist (Widmaier, a. a. O., S. 11). Das Staatslotteriegesetz, der Lotteriestaatsvertrag, das staatliche Sportwettenmonopol und der Ausschluss privater Wettunternehmen an der Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten verstoßen weiterhin gegen das Grundgesetz. Daraus folgt, dass die Verhängung einer strafrechtlichen Sanktion verfassungsrechtlich solange ausgeschlossen bleibt, bis der Gesetzgeber ein verfassungsgemäßes Gesetz erlassen hat, nach dem entweder das staatliche Sportwettenmonopol verfassungsrechtlich gerechtfertigt oder die Veranstaltung von Sportwetten generell „also auch für den Staat“ verboten ist.

In strafrechtlicher Hinsicht ist es daher unerheblich, ob die Bundesländer mit der Umsetzung der vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Maßnahmen bereits begonnen oder sie sogar bereits vollständig erfüllt haben (vgl. dazu OVG Hamburg, Beschluss vom 01.06.2007 ? 1 Bs 107/07). Eine Bestrafung nach § 284 StGB ist erst dann möglich, wenn der Gesetzgeber „wie vom Bundesverfassungsgericht verlangt“ das staatliche Sportwettmonopol auf eine verfassungsgemäße gesetzliche Grundlage gestellt hat (so auch Widmaier, a. a. O., Seite 13).

Ohne eine solche verfassungsgemäße gesetzliche Grundlage, die erforderlich ist, um den Eingriff in das Grundrecht des Art. 12 Abs. 1 GG zu rechtfertigen, kommt eine Bestrafung nach § 284 StGB nicht in Betracht. Das Strafrecht kann nicht zur Durchsetzung eines staatlichen Wettmonopols herangezogen werden, das gegen Verfassungsrecht verstößt. Der Staat verhält sich willkürlich, wenn er die Erteilung einer Erlaubnis unter Berufung auf ein mit der Verfassung unvereinbares Gesetz (Staatslotteriegesetz bzw. Lotteriestaatsvertrag) versagt und gleichzeitig denjenigen bestraft, der ohne diese behördliche Erlaubnis einen grundrechtlich geschützten Beruf ausübt.

Die Entscheidung ist auf der Homepage www.vewu.de
im Volltext abrufbar.

Dieter Pawlik
Rechtsanwalt

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